Bauzinsen

Wie der Immobilienmarkt die Gesellschaft spaltet

Berlin / Lesedauer: 5 min

Durch die stark gestiegenen Bauzinsen können sich immer weniger Normalbürger ein Eigenheim leisten. Dadurch droht eine neue Art der gesellschaftlichen Spaltung.
Veröffentlicht:24.05.2023, 19:39

Von:
  • Author ImageCarsten Korfmacher
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Am deutschen Immobilienmarkt findet gerade eine Katastrophe statt, die weit über die geplatzten Eigenheim-Träume Zehntausender junger Mittelklasse-Familien hinausgeht. Nach mehr als einem Jahrzehnt steigender Immobilienpreise sind die Bauzinsen explodiert. Konnten potenzielle Käufer eine Immobilie Anfang 2022 meist noch zu unter einem Prozent finanzieren, werden heute knapp vier Prozent Kreditzins fällig.

Die Folge: Die monatlichen Kreditraten sind in die Höhe geschossen, so dass viele Normalverdiener den Traum von den eigenen vier Wänden aufgegeben haben.

Deutschlands größter Kreditvermittler für private Baufinanzierungen, die Interhyp AG, hat die Kostenunterschiede bei Immobilienkrediten für den Nordkurier durchgerechnet: Wer im Jahr 2021 einen Kredit über 500.000 Euro bei einer zehnjährigen Laufzeit und einer Tilgung von 2 Prozent aufgenommen hat, musste bei einem damaligen Durchschnittszinssatz von 0,73 Prozent monatlich 1138 Euro aufbringen. Legt man denselben Konditionen nun den derzeitigen Bauzinssatz von rund 3,8 Prozent zugrunde, würde der Kapitaldienst bei 2417 Euro pro Monat liegen. Die monatliche Rate hätte sich also innerhalb von kurzer Zeit mehr als verdoppelt.

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Knapp 50 Prozent weniger Baufinanzierungen

All dies führt dazu, dass das Neugeschäft der großen Immobilienfinanzierer in den vergangenen zwölf Monaten nahezu zum Erliegen gekommen ist. Die im Verband der Pfandbriefbanken zusammengeschlossenen Kapitalgeber reichten im ersten Quartal 2023 Immobiliendarlehen über 25,6 Milliarden Euro aus. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist das ein Minus von 47,8 Prozent.

Wie verheerend die gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklung sind, wird bei näherem Hinsehen klar: Pauschal kann man nämlich sagen, dass ein Rückgang der Baufinanzierungen um 50 Prozent bedeutet, dass die finanziell schwächere Hälfte aller Immobilieninteressierten ihren Traum vom Eigenheim beerdigen musste. Das Gros dieser Bürger sind aber nicht die sogenannten „sozial Schwachen“, die sich ohnehin keine Immobilie leisten könnten, hohe Zinsen hin oder her.

Die bürgerliche Mitte wird abgehängt

Die meisten Eigenheim-Träume zerplatzen derzeit in der bürgerlichen Mitte, bei Durchschnittshaushalten, Normalverdienern und jungen Familien ohne reiche Verwandtschaft. Übrig bleiben in erster Linie Gutverdiener und bereits vermögende Bürger, die die gestiegenen Eigenkapitalanforderungen der Banken erfüllen können. Das führt zu einer gesellschaftlichen Spaltung, die in der Bundesrepublik lange überwunden schien: nämlich die Abkopplung von immer größeren Teilen der Bevölkerung, einschließlich der bürgerlichen Mitte, vom wachsenden Wohlstand des Landes.

Denn Immobilienbesitz spielt bei der Wohlstandsentwicklung eine ganz entscheidende Rolle. Die Bundesrepublik ist laut Statistischem Bundesamt mit einem Bruttoinlandsprodukt von über vier Billionen US–Dollar hinter den USA, China und Japan die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Beim mittleren Pro–Kopf–Vermögen, das die Bevölkerung in eine ärmere und eine reichere Hälfte teilt, hinken die Deutschen aber weit hinterher. Nach jüngsten Zahlen aus dem „Global Wealth Report“ der Credit Suisse lag Deutschland im Jahr 2021 mit einem mittleren Pro-Kopf-Vermögen von 60.633 US–Dollar nur auf dem 30. Platz, knapp hinter Slowenien mit 60.956 Dollar. In Australien (273.900) und Belgien (267.890) sind die Bürger mehr als vier Mal so vermögend, auch viele EU-Staaten, darunter Frankreich (139.170), Italien (112.140) und Spanien (104.160), hängen die Bundesrepublik beim Bürgerreichtum ab.

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Immobilienmarkt lässt soziale Ungleichheit wachsen

Der wichtigste Grund dafür ist, dass sich Immobilienpreise dynamisch entwickeln, Immobilienbesitz also zu Vermögenswachstum führt. Gleichzeitig hat die Bundesrepublik die geringste Wohneigentumsquote in der Europäischen Union. Während nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat im Jahr 2021 beispielsweise in Italien 73,7 Prozent und in Spanien 75,8 Prozent der Bevölkerung in den eigenen vier Wänden lebten, haben nur 49,5 Prozent der Deutschen ein Eigenheim.

Wenn sich jetzt nur noch wohlhabende Haushalte in Deutschland Immobilien leisten können, spitzt sich die soziale Ungleichheit weiter zu und Deutschlands Bürger werden im Mittel ärmer. Warum? Wer heute ein Eigenheim kauft und dieses monatlich abbezahlt, der mag anfänglich mehr Geld auf den Tisch legen als jemand, der zur Miete wohnt. Die Kreditraten stagnieren aber für den Zeitraum der Zinsbindung, meistens also 10, 15 oder 20 Jahre. Gleichzeitig reduzieren sich die Immobilienschulden, so dass ein immer größerer Teil der Immobilie dem Eigennutzer gehört. Wer im selben Zeitraum zur Miete wohnt, baut nicht nur kein Vermögen in Form von Immobilienbesitz auf. Die Wahrscheinlichkeit ist außerdem hoch, dass die Miete im Laufe der Jahre ebenso ansteigt wie die Löhne und die Inflation. Darüber hinaus steigt die Immobilie selbst ebenfalls in ihrem Wert, so dass die Vermögensschere zwischen Mieter und Immobilienbesitzer weiter auseinandergeht. Die Folge: Wenn sich nur noch wohlhabende Personen eine Immobilie leisten können, dann verschärft sich zwangsläufig die soziale Ungleichheit.

Der Politik fehlt der Weitblick bei Problemlösungen

„Das hat erhebliche gesellschaftliche Auswirkungen“, sagte Dr. Klein–Chef Michael Neumann. Für junge Familien sei es heute kaum mehr möglich, ein Eigenheim ohne familiäre Unterstützung zu kaufen. „Wenn man hineingeboren sein muss in die Möglichkeit, eine Immobilie zu kaufen, dann birgt das einen enormen sozialen Sprengstoff.“ Zudem würde sich die soziale Ungleichheit durch Folgeentwicklungen weiter verschärfen. „Wir erleben derzeit, dass sich der Druck im Mietmarkt erhöht“, so Neumann weiter. Da sich viele potenzielle Käufer den Traum von den eigenen vier Wänden nicht erfüllen konnten, bleiben sie zur Miete wohnen. Gleichzeitig rücken viele Mietinteressenten nach. Der Markt verstopft und die Mieten steigen.

Genau an diesem Punkt ist politische Unterstützung notwendig – und zwar nicht in Form von staatlichen Ausgleichszahlungen oder Mietpreisbremsen, die lediglich die Symptome und nicht die Ursachen des Problems bekämpfen. Die Politik muss eine klare Antwort auf die Frage geben, wie mehr Bürger in Eigentum gebracht werden können. „Es gibt hier und da mal eine Subvention, doch politisch fehlt einfach der Weitblick“, sagte Neumann.

Die Probleme beim Wohneigentum seien struktureller Natur: Es gebe keine einheitliche Bauordnung zwischen den Ländern, keinen Bürokratieabbau, keine Strategie, wie in Deutschland mehr Wohnangebot geschaffen werden könne. „Aus der Politik kommen nur Lippenbekenntnisse, aber es wird nichts bewirkt.“ Stattdessen würden zum Beispiel mit dem Heizungsverbot neue Baustellen geschaffen, die potenzielle Immobilienkäufer weiter verunsicherten.