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Schwangerschaftsabbruch

Der kleine Lennard kam still zur Welt

Prenzlau / Lesedauer: 5 min

Wer eine Schwangerschaft in der 29. Woche unterbrechen lässt, muss triftige Gründe haben. Bei Claudia Knauft und ihrem Partner lagen diese vor. Leicht machten sich die zwei die Entscheidung, ihren ungeborenen Sohn gehen zu lassen, trotzdem nicht.
Veröffentlicht:19.10.2018, 17:35

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Für frischgebackene Eltern gibt es nichts Schöneres, als den ersten Moment zu dritt. Das Neugeborene im Arm seiner ihn liebenden Eltern – von diesem Augenblick hatten auch Claudia Knauft und ihr Partner Roland geträumt. Doch als diese Stunde endlich gekommen war, befanden sich die beiden längst in einem schlimmen Wechselbad der Gefühle. Denn der Winzling in der weißen Babydecke lebte zum Zeitpunkt seiner Geburt schon nicht mehr. Lennard war vorher still und leise aus dem Leben geschieden. Die Ärzte hatten durch die Nabelschnur Medikamente injiziert, die sein kleines Herz stillstehen ließen, weil er aufgrund eines Gendefektes schwerst missgebildet war.

Beim Ultaschall die ersten Anzeichen entdeckt

Die Entscheidung dazu hatten sich seine Eltern nicht leicht gemacht. Wie auch? Schließlich sollte der neugeborene Sohn die Krönung ihrer Liebe sein. Doch ab der 21. Schwangerschaftswoche hatte sich plötzlich alles geändert. Da fiel beim Ultraschall zum ersten Mal auf, dass die Beine des Ungeborenen viel zu kurz waren. „Zu diesem Zeitpunkt bestand aber noch Hoffnung, dass sich diese Entwicklungsverzögerung wieder gibt“, erinnert sich Claudia Knauft zurück. Die zwei Wochen bis zur nächsten Feinsonografie verbrachten die 26-Jährige und ihr Lebensgefährte mit bangem Warten. Vielleicht hatte der Knirps ja noch einen Wachstumssprung gemacht, vielleicht hatte das Ultraschallgerät verrückt gespielt...

Das Kind hätte nie ein normales Leben führen können

Doch ihre Hoffnung, dass alles gut wird, starb jäh. Beim zweiten Mal sahen die Ärzte nämlich schon, dass auch die Arme viel zu kurz geraten und vermutlich weitere Schädigungen zu befürchten waren. „Die Fruchtwasseruntersuchung am 22. März 2018 sollte endgültige Klarheit bringen“, blickt Claudia Knauft zurück. Das Ergebnis war verheerend, wie die Steuerfachangestellte sagt: „Nun stand fest, dass alle Röhrenknochen betroffen waren und unser Kind – wenn überhaupt lebend, dann doch schwerstbehindert zur Welt kommen würde.“ Spätere Untersuchungen ergaben, dass beispielsweise die Herzarterie falsch verlief. „Uns wurde mit jedem Arztgespräch klarer, dass unser Sohn nie ein normales Leben führen können wird“, berichtet die Fürstenauerin.

Am 5. Mai kam er auf die Welt

Anfang Mai sei sie mit ihrer Kraft am Ende gewesen, räumt Claudia Knauft ehrlich ein: „Ich sah mich jede Nacht im Traum an seinem Bettchen stehen und sehen, wie er sich vor Schmerzen windet. Nein, das wollte ich nicht. Wir entschieden uns deshalb, Lennard gehen zu lassen.“ Die Tage danach seien wie im Nebel an ihnen vorbei gerauscht, erzählt Claudia Knauft bewegt. Nur irgendwie alles überstehen, das sei ihr Ziel gewesen, setzt sie leise hinzu. Als sie ihren Jungen am 5. Mai still zur Welt bringt, hat sie aber schon wieder die Kraft, ihn für die Aufnahmen der Sternenkindfotografin im Arm zu halten.

Sternenkindfotografin hielt die Erinnerung fest

„Wir waren nach der Geburt super stolz auf unseren kleinen Engel. Die Hormone sind da unwahrscheinlich gesprüht. Ich bin meinem Partner unendlich dankbar, dass er diesen schweren Weg mit mir gegangen ist und dass unsere Beziehung daran gewachsen ist. Es war nicht einfach, mich so zu sehen. Und er hätte mir am liebsten etwas abgenommen. Aber das hat er ja. Lennard macht unser Leben reicher und uns zu besseren Menschen. Ich bereue keine einzige Sekunde dieser Schwangerschaft, oder dass es ihn gibt in unserem Leben. Wir haben das Bedürfnis, immer wieder über ihn zu sprechen, so wie es andere Eltern mit ihren Kindern an der Hand ja auch tun. Nur leider merkt man auch, dass man teilweise gemieden wird oder dass das Thema totgeschwiegen werden soll. Man hört da immer die gleichen Empfindungen, auch bei anderen Sterneneltern“, bedauert die Uckermärkerin. Sie und ihr Partner gehen einen anderen Weg.

Mutter trägt eine Genveränderung in sich

Auch, weil sie die Hoffnung auf ein weiteres Kind nicht aufgegeben haben. Um zu erfahren, woran ihr Kleiner denn letztlich litt, hatten sie nach der Geburt einer Obduktion und weiteren Untersuchungen zugestimmt. Die brachte letztlich zu Tage, dass Claudia Knauft eine Genveränderung in sich trägt, obwohl sie selbst gesund ist. Nur bei der Geburt eines Jungen bestand zu fünfzig Prozent die Gefahr, dass er erkrankt. Bei einem Mädchen hätte man nichts gemerkt. „Der schlimmste Fall ist also eingetreten.“

Aber das muss beim nächsten Mal ja nicht so sein, ist Claudia Knauft optimistisch. Sollte sie wieder schwanger werden, „werden wir in der neunten Woche gucken lassen, ob es ein Junge wird. Und falls ja, steht dann in der elften Woche eine Mutterkuchenpunktion an, die Gewissheit bringt.“ Was den späten Schwangerschaftsabbruch anbelangt, wirbt die junge Frau stellvertretend für andere Eltern in dieser Situation um Verständnis: „Man kann vorher nie sagen, wie man sich selbst entscheiden würde. Wir für unseren Fall können nur versichern, dass Lennard nie ein lebenswertes Leben gehabt hätte. Dieses Schicksal wollten wir ihm, nicht uns, ersparen.“