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Politikpfusch

Darum bleiben Kunden von Thomas Cook auf den Kosten sitzen

Neubrandenburg / Lesedauer: 6 min

Die Pleite von Thomas Cook und Tochter-Firmen wie Neckermann hat mehr als 100.000 Menschen eiskalt erwischt. Viele Kunden bleiben auf den Kosten sitzen, wie ein Fall aus Neubrandenburg zeigt.
Veröffentlicht:11.11.2019, 05:53

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Das Schreiben trägt keine Unterschrift und bietet wenig Anlass zu Hoffnung: „Nach uns vorliegenden Informationen gehen wir davon aus, dass dieser versicherte Haftungsmaximalbeitrag bei Weitem nicht ausreichen wird, um Ersatzansprüche aller Kunden der insolventen Thomas-Cook-Gesellschaften vollständig zu befriedigen.“ Absender des Schreibens ist die Kaera AG, ein Dienstleister der Zurich Versicherung. Empfängerin ist, wie Zehntausende andere enttäuschte Kunden, Mandy Schülke aus der Nähe von Neubrandenburg.

Die ganze Familie hatte sich auf den Mallorca-Urlaub in den Oktoberferien gefreut: 5387 Euro für 7 Personen, gebucht bei Neckermann-Reisen, Tochterunternehmen des Cook-Konzerns, der wenige Tage vor dem geplanten Reisetermin Pleite ging. „Wir haben zwei Jahre lang drauf gespart“, sagt die 27-Jährige enttäuscht. Aus dem Versicherungsschreiben weiß sie aus erster Hand, dass die Haftpflicht von Thomas Cook nicht ausreicht, um den kompletten Reisepreis erstattet zu bekommen.

„Da werden nur die Gerichte helfen.“

Bisher hat die zuständige Zurich-Versicherung einen Schaden von 250 Millionen Euro registriert, das Ende der Fahnenstange ist noch nicht in Sicht. Das bedeutet: Mandy Schülke muss sich darauf einstellen, deutlich weniger als die Hälfte ihrer Kosten ersetzt zu bekommen. Trotzdem hofft sie weiter darauf, doch noch die gesamte Summe zu erhalten.

Das aber kann dauern. „Da werden nur die Gerichte helfen“, ist sich Marija Linnhoff sicher. Die Chefin des Verbandes unabhängiger selbstständiger Reisebüros geht davon aus, dass die Bundesregierung für den Schaden bei den Kunden aufkommen muss. Sie vermisst eine klare Aussage aus dem Verbraucherschutzministerium. „Dort muss sich jemand hinstellen und sagen, dass kein deutscher Kunde durch die Thomas Cook-Pleite Geld verlieren wird.“

Für Marija Linnhoff grenzt fast schon an ein Wunder, dass der eigentliche Schuldige der Misere bisher ungeschoren davon kommt. Denn es sei die Bundesregierung gewesen, die die Haftungsgrenze von 110 Millionen Euro nicht angepasst hat. „Seit mehreren Jahren gibt es schon Warnungen davor, dass der Betrag zu niedrig sei“, berichtet sie.

Alarmsignale zeichneten sich frühzeitig ab

Allein die wirtschaftlich schwache Lage von Thomas Cook, die sich 2012 schon einmal abgezeichnet habe, sei ein Alarmsignal gewesen. Angesichts des Milliardenumsatzes des Branchenriesen sei absehbar gewesen, dass im Notfall die Haftung zu niedrig bemessen sei. Darüber habe die Kunden aber niemand informiert. Als Beweis dient ihr das Formschreiben, das jeder Käufer einer Pauschalreise erhält. „Nirgendwo ist die Rede davon, dass bei 110 Millionen Euro Entschädigung Schluss ist.“

Jetzt müsse der Staat wegen seiner Versäumnisse haften. „Wir bereiten eine Klage vor“, kündigt Linnhoff an. Da der Verband kein Klagerecht habe, werde eine betroffene Kundin die Restsumme von der Bundesrepublik einklagen. Das beginne beim zuständigen Amtsgericht und ende möglicherweise beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Dass dieser Gang durch die Instanzen zwei Jahre dauern könnte, sei kein Hinderungsgrund.

Doch Linnhoff wird auch politisch aktiv: In einer Petition an den Bundestag fordert sie die Zusage, wonach die fehlenden Kundengelder aus der Staatskasse zu bedienen seien, weil die Bundesregierung „grob fahrlässig“ gehandelt habe. „Die Deutschen haben in Europa das schlechteste Absicherungssystem für Kundengelder. Das muss sich ändern“ ist für sie die Marschrichtung klar.

Antrag der Grünen fiel durch

Dabei hatte es im März im Bundestag durch die Grünen bereits einen Anlauf gegeben, die Haftungsgrenze bei Pleiten von Reiseveranstaltern auf 300 Millionen Euro anzuheben – unter anderem wegen der Risiken durch den Brexit, der als einer der Auslöser für die Cook-Pleite gilt.

Doch der Antrag fiel am 25. September durch: Wenige Stunden vor Beginn des Insolvenzverfahrens für Thomas Cook Deutschland. Eine Allianz aus CDU, SPD und Alternative für Deutschland hatte den Antrag abgebügelt und die geltende Rechtslage für ausreichend befunden. Lediglich die Linken plädierten neben den Grünen für die bessere Absicherung, die FDP enthielt sich.

Zu den Initiatoren des Antrags gehört Markus Tressel, Tourismusexperte der Grünen im Bundestag. „Dass die Haftungssumme bei Pauschalreisen nicht ausreichen könnte, war schon lange absehbar. Ebenso, dass Thomas Cook ein Kandidat für eine große Veranstalterpleite ist. Das Unternehmen war ja bereits 2011 in einer massiven Krise. Leider hat die Bundesregierung nichts unternommen, um für so einen Fall vorzusorgen“, sagt er.

Es könne gut sein, dass sich aus diesem Versagen eine Staatshaftung begründe. „Dann muss am Ende der Steuerzahler die Thomas-Cook-Kunden entschädigen. Sehenden Auges und trotz zahlreicher Warnungen ist die Bundesregierung damit in ein riesiges Problem gestolpert“, so Tressel.

Ob sich aus der unzureichenden Haftungsbeschränkung von 110 Millionen Euro tatsächlich ein Anspruch auf Staatshaftung ergeben könnte, hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages im Auftrag der Grünen untersucht. Dabei ergeht kein eindeutiges Urteil. „Problematisch erscheint jedoch von dem Hintergund der allgemeinen Inflation und des Wachstums des Reisemarktes, dass die Begrenzung seit 1993 der Höhe nach nicht angepasst wurde“, heißt es in der Analyse, die unserer Zeitung vorliegt.

Appell des Bundesrates verhallte ungehört

Damit wird auch auf eine Stellungnahme des Bundesrates Bezug genommen, der schon im Dezember 2016 angesichts der deutlich steigenden Ausgaben der Deutschen für Pauschalreisen gewarnt hat, dass die geltende Haftungsgrenze zu niedrig liegen könnte. Der Vorschlag der Länderkammer: Eine flexible Höchstgrenze der Insolvenzabsicherung entsprechend der Unternehmensgröße. Doch auch dieser Appell verhallte ungehört. Politisch verantwortlich seinerzeit: Justizminister Heiko Maaß und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (beide SPD).

Nachdem die betroffenen und enttäuschten Kunden geschlagene sechs Wochen lang im Regen gestanden haben, ist Berlin in dieser Woche aufgewacht: Nachdem auch ihre Amtsvorgängerin Katarina Barley durch Nichtstun geglänzt hat, kündigte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht am Donnerstag an, Verbraucher künftig besser vor Schäden durch abgesagte Pauschalreisen schützen zu wollen. Sie bringt einen Fonds ins Spiel, in den Reiseveranstalter und Kunden einen Beitrag zahlen – als „geringen“ Zuschlag auf den Reisepreis.

Verbraucherschutz-Staatssekretär abgetaucht

Gleich ganz abgetaucht ist wochenlang der zuständige Verbraucherschutz-Staatssekretär Gerd Billen. Er war lange Jahre Chef der Verbraucherzentralen. Ausgerechnet sein ehemaliger Arbeitgeber hat schon im Juli 2016 erklärt: „Es ist nur glücklichen Umständen zu verdanken, dass es zu keinen Großinsolvenzen gekommen ist, denen die geltende Regelung nicht gewachsen gewesen wäre. Der Vorschlag der Verbraucherzentralen: Mindestens 250 Millionen Euro als Insolvenzschutz festlegen.

„Jetzt will es keiner gewusst haben“, sagt Marija Linnhoff vom Verband der unabhängigen Reisebüros. Und auch die neue Bundesjustizministerium Lambrecht leidet unter Vergesslichkeit oder unvollständigen Informationen aus dem eigenen Haus: „Ich will das nicht als Versagen bezeichnen. Ich glaube, man konnte zum Zeitpunkt der Richtlinienumsetzung (im Jahr 2017 – die Redaktion) nicht absehen, dass es tatsächlich zu einem Schadensfall dieser Dimension kommen wird.“