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Angelserie

Teil 1: Der frühe Vogel wurmt den Fisch

Mühlen-Eichsen / Lesedauer: 10 min

Die Ruhe am See, die Ruhe im See und ein Angler, den nichts aus der Ruhe bringt – Andre Hundt ist so ein Angler aus Leidenschaft. Er ist nicht allein. Rund fünf Millionen Deutsche gehen angeln. Und knapp eine Million ist in Vereinen organisiert.
Veröffentlicht:24.06.2013, 13:48
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 Am Haken ein wahrlich kapitaler Räuber, mit Zähnen so spitz und groß, dass selbst Enten sicherheitshalber ihre Flossen einziehen, wenn er vorbei schwimmt und mit Filets so lang, dass zwei Pfannen nebeneinander auf dem Herd stehen müssen. Das ist Angeln.

Der Wecker zeigt eine 4 als erste Zahl als er klingelt. Und eine 5 als das Auto von der Straße auf den Feldweg rollt. Das Wort Weg ist eine Übertreibung. Schlammwüste wäre treffender. Mit Mühe schlingern die Reifen hindurch. In der Nacht hat der Himmel Sturzbäche geheult. Jetzt hängen die Wolken leergeweint träge herum und geben dem Morgengrauen die Farbe. Gummistiefel schmatzen die letzten Meter ans Ufer, freuen sich über den festen Halt im Gras. Dunst wabert über den kleinen See, verbindet am Horizont Himmel und Erde.

Viele Fische sind dämmerungsaktiv

Ein paar Enten sind auch schon wach, paddeln übers dunkle Wasser, daneben dreht ein weißer Schwan seine Morgenrunde, verleiht dem schwarzen See seinen Glanz. Es ist die richtige Zeit, dem Wecker die Zunge auszustrecken und sich im Bett noch einmal umzudrehen. Es ist die richtige Tageszeit, um Angeln zu gehen. Viele Fische sind dämmerungsaktiv. Wenn die Sonne herauskommt, dann ist am meisten Betrieb unter Wasser. Der frühe Angler wurmt den Fisch!

„Es ist eigentlich noch nicht die richtige Zeit in diesem Jahr“, sagt Andre Hundt und packt seine Angeln aus. Ein bisschen zu kalt ist es noch in diesem April. Zwei Wochen später wäre besser. Im Moment hat er den See noch ganz für sich allein. Die Ruhe ist es, die er beim  Angeln am Binnensee liebt und meint damit die innere Ruhe. „Wer 12 manchmal 13 Stunden arbeitet“, sagt er, „der braucht keine Aufregung mehr.“

Kommt her, hier gibts Frühstück

In aller Ruhe macht Andre Hundt seine Angeln klar, Sucht den Haken, entwirrt die Sehne, steckt die Rute zusammen. Ein Karpfen soll es erstmal sein, oder ein Schlei. Neues Futter will er heute ausprobieren.  Eine Mischung mit Getreide darin. Biologisch selbstverständlich. Er feuchtet es an, knetet es durch, der Mais darin färbt die Finger gelb. Ein paar Brocken landen im Wasser, sie sollen schon mal die Fische locken. Kommt her, hier gibts Frühstück. Mehlwürmer beleben den festen Brei.

Eine spezielle Angelmethode soll es richten, Feederangeln heißt sie. Die Rute hat eine sehr sensible Spitze, an der Sehne hängt ein kleiner Futterkorb für die Lockwirkung und  an der Spitze der Haken mit dem Hauptköder. Angeln ist eine Wissenschaft geworden. Andre Hundt lacht, erzählt von anderen Anglern die die Fischjagd noch ernster nehmen. Die erstmal eine Stunde brauchen um alles aufzubauen. Da werden die Ruten mit elektronischen Bissanzeigern versehen, die bei Bedarf auch die schwärzeste Nacht zum Angeltag machen.

Angeln ist eine Art Kinderpflicht

Andre Hundt erzählt von früher, als es für ihn begann mit der Angelei. Als er noch Kind war und sie sogenannten „Ifa-Laden“ das notwendige Zubehör gekauft haben. Aus einem Bündel Bambusstangen wurden die besten herausgesucht. Verbindungsteile wurden gekauft um sich eine handlichere Steckrute zu bauen. Ein bisschen Sehne wurde angebunden, eine Pose und auf den Haken kam ein Regenwurm. Und  wenn dann zufällig ein Brachsen am Haken hing, wurde er stolz mit nach Hause genommen. Essen mochte den aber niemand.

So war das bei Jungen damals. Alle wollten sie mal angeln, fast alle waren sie auch angeln. So ist das bei  Jungen heute immer noch. Angeln ist eine Art Kinderpflicht. Für kleine Männer. Mädchen wollen auch manchmal angeln. Aber nur manchmal und später, wenn aus den Mädchen Frauen geworden sind, wollen sie nicht mehr. Angeln ist Männersache, wie Bagger fahren. Frauen an der Rute sind selten. Knapp eine Million Deutsche Angler  sind in Verbänden organisiert. Gerade mal 6 Prozent von ihnen sind Frauen. Das gleiche Bild spiegeln zwangsläufig auch die Vorstände wieder. Egal ob es der Verband der Sportfischer ist oder einzelne Landes-Angler-Verbände. Überall regieren viele Männer und sehr wenig  Frauen. Im Präsidium des Deutschen Anglerverbandes sitzen zum Beispiel  elf Männer eine Frau, die ist Schriftführerin und Frauenbeauftragte.

Männer besorgen das Essen, jagen und fischen

„Frauen sind vielleicht zu ungeduldig“, sagt Andre Hundt. Vielleicht ist Angeln auch so ein Männerding, seit der Steinzeit tief in den Genen verwurzelt – Männer besorgen das Essen, jagen und fischen. Hundt erzählt von seiner Frau, die ihren Ausgleich beim Westernreiten findet, und es amüsant findet, dass Männer stundenlang einfach herumsitzen und nur über Fisch reden können.

Der Wecker zu Hause neben dem Bett zeigt jetzt eine 8 als erste Zahl. Und nichts passiert. Still ruht der See. Dem Schwan ist langweilig. Er schlägt seine Flügel knallend aufs Wasser. Mit dem typisch pfeifenden Gesang seiner Flügel verabschiedet er sich. Ein klappriger Hyundai schlingert sich durch den Schlamm. Zwei Angler von der Küste an Bord, die sich ihr Mittag aus dem Binnenland holen wollen. Der See ist klein aber allemal groß genug, um sich nicht gegenseitig auf der Rute zu stehen.

Seinen größten Fang hatte er in Norwegen

Sie fragen nach dem Fang. Es gibt noch nichts zu berichten. Hätten sie den Haubentaucher auf dem See gefragt, er hätte zufrieden gerülpst. Gerade hat er sein Frühstück silbrig zappelnd im Schnabel verschwinden lassen. Ohne Neid schaut Andre Hundt hinüber. Der Vogel ist der geschicktere Fischfänger. Na und. Er muss es auch. Im Prinzip ist die Situation für den Angler wesentlich komfortabler. Er wird auch ohne Fisch nicht verhungern. Haubentaucher haben kein Geld um zur Not schnell mal an der Fischtheke beim  Supermarkt um die Ecke einzufliegen. Es soll ja Angler geben, die sich dort den Fisch nicht geben sondern zuwerfen lassen. Damit sie später behaupten könne, sie hätte ihn selbst gefangen.

Das ist natürlich Anglerlatein. Andre Hundt erzählt von seinem größten Fang. Ein Dorsch war das und kein Anglerlatein. In Norwegen hat er den aus dem Wasser gezogen. Kapitale 118 Zentimeter lang. 118 Zentimeter? Da reichen die Arme noch locker aus um die Größe zu zeigen. Da sag mal einer alle Angler übertreiben maßlos.

Angeln ist kein billiges Hobby

Die Feederangeln bewegen sich nicht. Karpfen und Schleie sind anscheinend woanders eingeladen zum Frühstück. Das neue Futter löst sich schlecht auf im Wasser, taugt nichts. Bestimmt! Dann eben nicht. Andre Hundt macht die Stippe klar. Eine feste Angel, ähnlich der ersten Bambusrute, nur heute auch aus irgendwelchem Hightech-Material mit dem man wahrscheinlich auch im Weklall unbeschadet ein Versorgungsraumschiff an die ISS knoten könnte. Kostet auch ein bisschen mehr.

Überhaupt Kosten. Angeln ist kein billiges Hobby. Allein die Fischereierlaubnis, auch Gewässerschein genannt, kostet ein anständiges Sümmchen. Die kann man von den Pächtern der Seen erwerben. Und bevor überhaupt die Rute ausgeworfen werden darf, muss ein Fischreischein erworben werden. Das ist so eine Art Fahrerlaubnis für Angler. Schließlich sollen die Fische waidgerecht und nicht qualvoll enden.  Diesen Fischereischein  kann man genau wie eine Fahrerlaubnis auch nicht einfach so kaufen, da muss schon eine Prüfung bestanden werden.


Und wenn die Brieftasche schon mal auf ist können gleich noch ein paar Scheine herausgeholt werden, für  Ausrüstung, Köder  und Fahrkosten. Da kommt so einiges zusammen. Hartnäckig hält sich unter Anglern die Vorstellung: Je teurer die Ausrüstung, desto größer die Fische die damit gefangen werden.

„Irgendwas geht immer“

So ungefähr 20 Ruten hat Andre Hundt selbst im Bestand. Angeln sagt er, teilt sich in drei Abschnitte ein. Zuerst die Vorbereitung: Ort auswählen,  Angeln auswählen, Köder besorgen. Dann die Aktion an sich und später das Nachspiel. Der Fang muss verarbeitet, das Angelgeschirr gewartet und griffbereit gelagert werden.

Apropos Fang. An der Stippe zappelt ein Rotäuglein. Da hatte er sich schnell mal im Vorbeischwimmen einen Mehlwum einverleibt und nun muss er selbst an den großen Haken um  für die großen Räuber Köder zu sein. „Irgendwas geht immer“, sagt Andre Hundt und wirft die Angel aus. Geburtstag hat er heute, seinen 46. Das ist noch lange kein Grund nicht Angeln zu gehen. Im Gegenteil. Wäre er König, wären jetzt Taucher im See unterwegs, um ihm einen anständigen Fang an den Haken zu Haken.

Geheimnisse würden sie nicht verraten

Andre Hundt ist aber kein König, er ist Ingenieur, plant unter anderem Krankenhäuser in aller Welt. Angeln aber ist nicht planbar. Natürlich ist er schon ohne Fang wieder nach Hause gefahren. Aber das war äußerst selten. „Irgendwas geht immer!“

Still ruht der See. Die Nachbar-Angler schauen kurz vorbei. Man kümmert sich, man ist neugierig, man guckt. Sie würden auch stolz ihren Fang zeigen. Ja, würden! Nur ihre Geheimnisse, die würden sie nicht verraten. Die verrät kein Angler. In Dömitz, zum Beispiel, da kann man wunderbar Zander fischen, nur wann und wo genau und womit, dass bleibt im Dunklen.

Der kleine Mecklenburgische See als Kontrastprogramm

„Norwegen“, sagt Andre Hundt, „ganz klar.“ Da angelt er am liebsten. Und er erzählt von Fischen, bei deren Namen schon die guten Teller auf dem Tisch klappern. Vom Menue mit fangfrischem Fisch und vom Heilbutt als krönendem Gang.

Der kleine Mecklenburgische See ist Kontrastprogramm. Hier ist es nicht schlechter, nur ganz anders. So gern er auch nach Dänemark fährt, Urlaub in Schweden macht oder in Norwegen Fische aus dem Wasser zieht. Andre Hundt mag seine Heimat. Hier wo die Eiszeit jede Menge kleine und große Pfützen ins Land gegraben hat, wo die Natur noch in sich selbst ruht, hier findet er seinen Ausgleich. Manchmal an schönen Tagen kommen Frau und Kinder zu ihm an den See. Sie bringen Tisch und Stühle mit, Kaffee und Brötchen. Und dann frühstücken sie gemeinsam und in aller Ruhe, es sei denn ein Fisch am Haken fordert volle Aufmerksamkeit.

Kein Köderfisch mehr - und trotzdem kein Fang

Das Flot verschwindet. Der Angler greift zur Rute, zögert einen kleinen Moment. Jetzt. Zu spät. Der Köderfisch ist kein Köder mehr sondern aufgegessen. Der Haken blank. Wahrscheinlich hat ihn ein wahrlich kapitaler Räuber erwischt, mit Zähnen so spitz und groß, dass selbst Enten sicherheitshalber ihre Flossen einziehen, wenn er vorbei schwimmt. Dem Haken ist er entwischt.

Der Wecker zu Hause auf dem Nachttisch zeigt eine 10 als erste Zahl. Andre Hundt packt zusammen. Es hat nicht sollen sein heute morgen. Aber der Tag ist noch lang. Und es ist sein Geburtstag. Am Abend kommen sie alle zusammen, Familie und Freunde. An einem Forellenteich in Mühlen-Eichsen. Zum Feiern und zum Angeln. Irgendwas geht immer!