StartseiteRegionalAnklam„Für viele Landwirte bin ich ein Feindbild”

Interview Michael Succow

„Für viele Landwirte bin ich ein Feindbild”

Greifswald / Lesedauer: 8 min

Im Interview fordert Michael Succow eine Agrarwende und verrät, warum er Landwirte für Opfer einer verfehlten Politik hält – und wer ihm für die Zukunft der Erde neue Hoffnung gab.
Veröffentlicht:21.04.2021, 06:14

Von:
  • Dajana Richter
Artikel teilen:

Am Mittwoch wird Michael Succow 80 Jahre alt und schon sein ganzes Leben ist er für den Natur- und Klimaschutz im Einsatz. Seine Greifswalder Stiftung agiert weltweit, engagiert sich aber auch immer wieder vor Ort. Mit seinem Anliegen, die Welt zukunftsfähig zu gestalten, machte er sich jedoch nicht nur Freunde.

Schon zu DDR-Zeiten waren Sie ein Umweltschützer, mussten aber auch einige Jahre als Brigadeleiter im VEB Meliorationskombinat Bad Freienwalde arbeiten, wo es unter anderem um die Umwandlung von Mooren in landwirtschaftliche Nutzflächen ging. Welchen Stellenwert hatte Naturschutz im Sozialismus?

Im Sozialismus stand der Mensch im Mittelpunkt, auch als Beherrscher der Natur. Dabei gab es den Größenwahn agrarindustrielle Landschaften nach unserem Willen zu gestalten. In dem Meliorationskombinat habe ich die Brutalität erlebt, mit der Landschaft verändert worden ist. Trotzdem konnte ich in meiner Freizeit mit Gleichgesinnten auch Naturschutz machen, natürlich unter Beobachtung der Stasi. Mit meinem Fachwissen suchte ich immer wieder das Gespräch mit Funktionären und so wurde auch mal ein Moor nicht entwässert oder ein Wald zum Naturschutzgebiet erklärt. Es war eine Zeit, wo wir so manches Schutzgebiet schaffen konnten.

Und wie ging es der Natur nach der Wende?

Nach der Wende wurden die großen Agrarbetriebe und die industrielle Mast geschlossen, weil die Umweltbelastung so groß war. Nun war der Sozialismus kaputt und der Kapitalismus konnte wieder zum Gewöhnlichen übergehen und hatte keine Konkurrenz mehr. Ich bin Naturschützer, um Natur zu erhalten. Aber ich bin erschüttert wenn ich sehe, dass jetzt eine Demokratie, in die ich so viel Hoffnung hatte, den Kapitalstock Natur noch in viel größerer Intensität degradiert, degeneriert und geschädigt hat, weil sie wesentlich effizienter ist in ihrem Wirtschaften ist. Und wir sind jetzt in einer Phase, wo ich große Sorge habe, ob diese Hochzivilisation in der Lage ist, zukunftsfähig zu werden. So schlich sich mit der Zeit Resignation ein.

Trotzdem schauen Sie mittlerweile etwas hoffnungsvoller in die Zukunft.

Ja, denn auf einmal gab es eine Greta und Jugendliche, die sagten: „Wir sind stark, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.“ Und ich sehe plötzlich, auch für meine Stiftung, ganz viel Zuspruch. Das gibt mir wieder Hoffnung – nicht aber die etablierten Parteien. Eine konservative Partei kann diese Zukunftsaufgaben nicht lösen, weil sie den Auftrag hat, für ihre Wähler den Status zu erhalten. Aber der Status ist nicht zu erhalten. Es geht um die Zerstörung der Welt, an der wir im großen Maße Schuld haben, und damit einher gehen auch die Flüchtlingsströme. Wir haben den ländlichen Raum mit der Agrarindustrie zerstört. Der Humus ist weg, Grundwasserbildung findet kaum noch statt und zudem wird immer mehr Mais angebaut, der die Boden auslaugt und einen hohen Düngereinsatz nach sich zieht. Die Folgekosten, die die Gesellschaft tragen muss, werden immer größer.

Sie sind ein Verfechter der ökologischen Landwirtschaft und haben Ende März einen Brief an Landwirtschaftsminister Till Backhaus mit unterzeichnet, mit der Forderung nach einer notwendigen Reduzierung von Agrochemikalien. Das gefällt nicht jedem.

Ja, für viele Landwirte bin ich ein Feindbild.

Woran liegt es, dass viele der ökologischen Landwirtschaft so ablehnend gegenüberstehen?

Für mich sind die Landwirte Opfer einer verfehlten Politik zugunsten von Konzernen und Lobbygruppen. Wir bräuchten eine Agrarwende, denn die großen Landwirtschaftsbetriebe, die oft nicht mal in der Region ansässig sind, erhalten die meisten Subventionen, weil sie über den größten Flächenbesitz verfügen. Und die kleinen Landwirte haben kaum Flächen, versuchen aber unter schwierigsten Bedingungen einen ehrlichen Landbau, der den Boden und die Fruchtbarkeit erhält.

Der ökologische Landbau in MV nimmt etwa zwölf Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ein und besteht überwiegend aus Grünland. Aber es gibt dabei keinerlei Festlegungen, den Landschaftswasserhaushalt zu stabilisieren, zum Beispiel durch Wasserrückhaltung in Grabensystemen. Das schlimmste Beispiel ist die Friedländer Große Wiese, die zu den größten Niedermooren Deutschlands gehört. Doch die moortypischen Eigenschaften hat sie über die Jahrzehnte durch intensive Entwässerung verloren, Überdüngung machte den Boden kaputt. Stattdessen gibt sie Jahr für Jahr mehr klimaschädliches Kohlenstoffdioxid ab.

Was mir ganz wichtig ist: Hier dürfen keine Einzelinteressen die Regie führen und auch die Summe von Einzelinteressen ergibt kein Gemeinwohl. Die Grundlage des Lebens ist der Boden mit seiner natürlichen Fruchtbarkeit, seinem Landschaftswasserhaushalt, seiner Kühlung und Verdunstung. Wenn ich den Boden nur noch als Substrat sehe, dann ist er nicht zukunftsfähig. Wichtig ist auch die ökologische Bildung der Kinder, zum Beispiel in Schulgärten. Sie sollten Käfer oder Regenwürmer nicht als eklig ansehen, sondern mit der Natur mehr in Berührung kommen, mehr darüber wissen.

Sie sprechen auch gern von einer Naturverehrung, denn das, was einem heilig ist, macht man nicht kaputt.

Ja, genau. Aus Liebe kommt Verantwortung für das, was man liebt. Die Natur ist für mich das Maß aller Dinge. Ich zitiere oft den Satz: „Die Natur kennt keine Belohnungen und keine Strafen, sie kennt nur Konsequenzen.“ Und diese haben wir bereits zu tragen. Doch Mecklenburg-Vorpommern hat auch sehr viel Naturpotenzial und ein Wirtschaftszweig, der hier im Land Zukunft hat, ist die Tourismuswirtschaft in Kombination mit der Gesundheitswirtschaft. Aber für gesunde Menschen braucht es gesunde Böden, gesunde Nahrung und eine gesunde Landschaft.

Es geht Ihnen also nicht um eine Abgrenzung der schützenswerten Natur, sondern Sie wünschen sich einen sanften Tourismus, um die Natur besser kennenzulernen?

Ganz richtig. Es geht um unsere Fähigkeit, sich als Teil der Natur einzuordnen, ihre Gesetze zu akzeptieren und das heißt auch eine nachhaltige und enkeltaugliche Landbewirtschaftung zu betreiben. Und da wären wir wieder beim ökologischen Landbau und der Würde im Umgang mit unserer Lebensgrundlage. Subventionen sollte nur derjenige bekommen, der unter seinem Acker ein trinkfähiges Grundwasser erzeugt. Denn die Grundwasserbildung wird immer geringer. Und was an Grundwasser da ist, ist oft hochbelastet. Deshalb muss schnell etwas passieren und dazu gehört eben auch die Friedländer Große Wiese wieder zu einem wachsenden Moor zu machen.

Mehr lesen: Sorge um die Friedländer Große Wiese

Nördlich davon, im Unteren Peenetal, wurde die Wiedervernässung bereits vor vielen Jahren umgesetzt.

Das war damals unter Ministerpräsident Harald Ringstorff und Umweltminister Wolfgang Methling eine Vernunftsentscheidung. Es ist erkannt worden, auch von Wasserwirtschaftlern, dass die Moore der Peene-Niederung, der Unteren Recknitz und der Unteren Trebel nach intensiver Agrarnutzung abgesackt sind und nun weit unter dem Meeresspiegel liegen. So mussten zum einen jedes Jahr Millionen in die Elektrizitätskosten der 500 Schöpfwerke gesteckt werden, dazu kam noch die Deichunterhaltung. Das war volkswirtschaftlich für das arme Mecklenburg-Vorpommern nicht durchhaltbar. Und deshalb gab es die kluge Entscheidung diese Flusstal-Moore wieder zu wachsenden Mooren zu machen. Und die werden in Zukunft von großer Bedeutung sein, wenn sie Kohlendioxid aus der Luft binden und speichern.

Manchmal wird der Vorwurf laut, dass eine Wiedervernässung der Moore gar nicht so gut fürs Klima sei, da wissenschaftlich ein Anstieg der Methan-Emission nachgewiesen wurde. Wie stehen Sie zu solchen Aussagen?

Dazu haben wir viel geforscht. In der Anfangsphase der Wiedervernässung ist das so, weil ganz viel organische Substanz verfault. Doch je schneller dieser Fäulnis-Prozess unterbunden ist, desto schneller hört es wieder auf.

Muss man das also in Kauf nehmen, um langfristig einen Klimaschutz zu erzielen?

Mittelfristig reicht schon. Wenn ein kranker Organismus geheilt werden will, dann muss er Drogen nehmen, die auch wieder Schäden verursachen. Das ist eine Abwägung von Übeln.

Gibt es ein Projekt Ihrer Stiftung, das Ihnen besonders am Herzen liegt?

Das sind sehr viele. Was mir ganz wichtig ist, sind die großen internationalen Projekte, denn unsere Hochzivilisation vernichtet die letzten traditionellen Wirtschaftsweisen, zum Beispiel die Mangroven-Bauern und ihre Kultur in Südostasien. Viele der ältesten Kulturlandschaften der Welt sind mittlerweile Salzwüsten. Deshalb liegt mir besonders viel an einem Projekt in der Ostmongolei. Es geht um den Erhalt der letzten großen naturnahen Steppen und diese freundlichen Menschen mit ihrer Nomadenkultur haben mich mit ihrer tiefen Naturverehrung sehr beeindruckt. Aber es gibt weltweit noch immer sehr viel zu tun.

Das klingt nicht danach, als würden Sie sich demnächst in den Ruhestand verabschieden?

Nein, irgendwann fällt man um und dann ist gut. Ich will nicht an Maschinen angeschlossen werden. Ich werde auch weiterhin für den Umweltschutz im Einsatz sein. Ich kann nicht anders, ich will nicht anders. Und ich habe so viele Menschen, die diesen Weg mit mir gehen.

Mehr lesen: Naturschützer Michael Succow – „Die Zukunft ist weiblich”