Interview
DDR-Star Wenzel: "Westen war zu dumm, das Gute aus dem Osten zu übernehmen"
Bugewitz / Lesedauer: 7 min

Susanne Schulz
In einer Welt, in der viele Musiker nur unter ihrem Vornamen firmieren, ist Ihr Markenzeichen seit vielen Jahren einfach Wenzel — was „der Ruhmgekrönte“ bedeutet. Volle Absicht?
Ruhmgekrönt, ah ja. Nein, das hat sich einfach so ergeben, als ich viele Jahre mit Steffen Mensching zusammengearbeitet habe, eben als „Wenzel & Mensching“. Seither hat sich eingebürgert, dass ich eben Wenzel bin. Selbst meine Geschwister nennen mich nur Wenzel.
So auch in dem Dokumentarfilm „Glaubt nie, was ich singe“, den Lew Hohmann in den vergangenen drei Jahren über Sie gedreht hat. Lag es Ihnen nahe, sich auf ein solches Projekt einzulassen, oder mussten Sie überredet werden?
Lew Hohmann war mir ein Begriff durch seine Arbeiten über die Wolf–Familie, da ich selbst mal ein Buch über Konrad Wolf gemacht habe, und persönlich lernte ich ihn kennen, als er einen Film über meinen Freund Christoph Hein machte. Als er einen Film über mich vorschlug, war mir daher klar, dass es nicht um irgendeine Homestory ging; dass da ein versierter Dokumentarfilmer ist, der sein Handwerk versteht. Das ist wie beim Zahnarzt: Da weiß man auch nicht, was der so genau macht, aber man vertraut ihm.
Der Filmtitel geht auf eine ihrer Platten von 2007 zurück. Haben Sie ihn gewählt, weil dieser Satz — ob ernst oder ironisch verstanden — ihr Lebensmotto sein kann?
Entschieden hat das der Filmemacher, wie ich überhaupt sehr wenig Einfluss auf den Film hatte. Aber ich finde das total richtig. „Glaubt nie, was ich singe“ steht dafür, dass man eine kritische Haltung aufrecht erhalten muss. Ich bin kein Guru, kein Messias, ich habe auch keine Lösung für die Probleme, die uns umgeben. Aber ich kann sie mit dem, was ich tue, benennen und vielleicht ein bisschen auflockern.

Haltung zeigen Sie nicht nur in Liedern, sondern auch mit klaren Wortmeldungen, von der Resolution vieler Kulturschaffender im Herbst 1989 bis zur Petition von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer im Frühjahr 2023. Erleben Sie eine Wirkung des gesungenen und geschriebenen Worts?
Na klar! Ein Stück Hoffnung muss man immer haben, sonst würde man das nicht tun. Das Geschriebene bedeutet, Spuren zu legen in dem ideologischen Dampfkessel, in dem wir leben, so dass auch die Nachwelt erfährt, wie wir die Dinge sehen. Das Gesungene hat noch eine andere Funktion: Wenn Menschen sich mit ihrem Kummer und ihrer Kritik alleine fühlen, können sie in so einem Konzert feststellen, dass jemand anders dasselbe erlebt und fühlt. Heute finden ja soziale Kontakte oft nur auf einer funktionalen Ebene statt — das kann eine Band unterlaufen, indem Menschen gemeinsam etwas erleben.
Ist Ihnen zwiespältig zumute, wenn auch zu bitteren Botschaften getanzt und applaudiert wird?
Ich sehe das auf jeden Fall als Form der Zustimmung. Andere Völker wissen viel genauer als wir Deutschen, dass man auch beim Tanzen denken kann.
Oder als Clown — wie Sie vor Jahren mit Wenzel & Mensching als Clownsduo. Durch die Maske das wahre Gesicht kenntlich zu machen, hat sich aber überlebt?
Clown zu sein, war eine gewisse psychologische Befreiung. Ein Clown unterliegt keinerlei Zwängen. Das Naive, Kindliche des Weißclowns hat seine eigene Logik. Aber irgendwann war die Maske nicht mehr tragfähig, weil inzwischen so viele Menschen sich ein Gesicht zurecht machen, hinter dem sie ihr Inneres verbergen. Da muss man immer das Gegenmodell bieten.
Erkennen Sie sich in den Film-Interviews — oder staunen Sie, wenn etwa Antje Vollmer Melancholie als Quelle Ihrer Kraft nennt, Konstantin Wecker Ihnen eine grundanarchische Einstellung bescheinigt, Nora Guthrie Sie mit ihrem Vater Woody vergleicht oder Andreas Dresen Sie einen „Typ mit Eiern“ nennt?
Ich staune nicht über mich, aber über den Blick, den Menschen auf mich haben. Das ist vielleicht vergleichbar mit der Erfahrung, zum ersten Mal die eigene aufgezeichnete Stimme zu hören. So also sehen sie mich — das eigene Bild von sich selbst ist ja nie so kompakt. Besonders berührt mich, dass dies der letzte Auftritt von Antje Vollmer war, die im März gestorben ist. Ich weiß, dass noch mehr Menschen befragt wurden; die Auswahl folgt dem Plan des Regisseurs, seinen Film zu strukturieren. Wenn Leute sich dafür einsetzen, dass meine Arbeit wahrgenommen wird, freue ich mich. Wichtig ist, dass so etwas einen nicht eitel, selbstverliebt und dumm macht.
Ein häufiges Stichwort ist „Mut“. Was bedeutet es Ihnen?
Unerträglichkeiten darf man nicht ertragen. Ich muss sie bekämpfen, weil ich mich sonst nicht gut fühle. Ich stamme aus einer Generation, deren Kühnheit immer ein bisschen gebremst wurde. Aber Ungerechtigkeiten wollte ich noch nie hinnehmen.
Leben Sie auf Verschleiß?
So lange man produktiv ist und das Spaß macht, ist es nur konsequent, dass man sich nicht schont. Ich habe vor Jahren mein eigenes Label Matrosenblau gegründet, weil Leute mahnten, es ginge doch nicht, jedes Jahr eine neue Platte herauszubringen. Klar geht das. Wenn ich ein dreistündiges Konzert spiele, brauche ich dafür genauso viel Zeit, als würde ich mich drei Stunden schonen. Warum also schonen?
„Wir müssen nach Haus, wo immer das sei“, singen Sie. Was bedeutet Ihnen das Refugium in Bugewitz und Kamp, wo Sie jeden Sommer ein legendäres Konzert vor 1000 Leuten spielen und gemeinsam mit dem Hafenverein die Hafenwiese vor einem Verkauf bewahrt haben, als zweites Zuhause?
Das ist mir sehr nah. Ich bin schon seit 1976 da im Kreis Anklam, also kein Neu–Zugezogener. Oft war ich im Jahr 100 Tage auf Tour, 100 Tage in Berlin, ansonsten dort oben, das ist mir sehr wichtig. Aufpassen müssen wir, dass das Open Air nicht aus allen Nähten platzt. Das hat sich so entwickelt, ganz ohne Presse, Plakate und Werbung. Das ist für mich auch ein Begriff von Heimat, dass man sich einen solchen Ort nicht wegnehmen lässt, weder von finanziellem noch von ökologischem Kolonialismus.
Auch ins Private gibt der Film tiefe Einblicke, in vergangene Lieben und jetzige Familie. Hat das Überwindung gekostet?
Ich finde, das Lew das sehr anständig gemacht hat. Ohne dass Intimitäten zum Hauptthema werden, sondern indem er meine Lieder verwendet und verstanden hat, wie sie mit meinem Leben zu tun haben.
Ihre jüngste Tochter ist zwei Jahre alt, die Älteste über 40. Wie erleben Sie das Vater–Sein?
Man wird natürlich weiser (feixt), hat sich irgendwie gefangen. Es klingt vielleicht pathetisch, aber es wärmt mir das Herz, so junge Menschen um mich zu haben. Klar raubt es Schlaf, aber es macht auch reich!
Wie blicken Sie heute auf den Wenzel vor 50, 30 oder 10 Jahren?
Manchmal staune ich, woher ich jeweils wusste, dass es richtig sein würde, an einem bestimmten Punkt das oder das zu machen. Ich suche mir immer das Medium, in dem ich mich gerade am besten artikulieren kann. Das war mal die Literatur, die Philosophie, das Theater, die Essayistik — oder eben die Musik.
Über die Corona–Jahre verraten Sie, wie Ihnen das abgeschirmte Leben die „Lust zu formulieren“ raubte. Was braucht's, um produktiv zu sein?
Man braucht ordentliche Bedingungen, und da hat Corona viel Infrastruktur zerstört. Man braucht die Offenheit der Leute, ins Konzert zu gehen. Und man braucht eine gesellschaftliche Pluralität. Auch wenn wir nur einen Publikumsanteil von sieben Prozent haben mögen: Auf dem Kompost sind es die sieben Prozent Würmer, die Scheiße zu Humus machen. Ich brauche das Gefühl, gebraucht zu werden.
Und hadern damit, immer noch als OSTdeutscher Musiker wahrgenommen zu werden.
Zumal die Ostdeutschen das ja gar nicht sagen. Das ist ja eine Herabwürdigung, die der Westen vornimmt. Was der Döpfner da neulich rausgehauen hat, die Ossis seien entweder Kommunisten oder Faschisten, wird vielleicht nicht oft so laut gedacht, aber es ist da. Die nicht vollzogene Einheit ist vor allem ein Problem des Westens, weil er zu dumm war, das Gute aus dem Osten zu übernehmen.