StartseiteRegionalAnklamErobert der Waschbär jetzt auch das Peenetal?

Jäger warnt vor Ausbreitung

Erobert der Waschbär jetzt auch das Peenetal?

Jarmen / Lesedauer: 6 min

Sie mögen putzig aussehen, doch das scheinen Waschbären kaum zu sein — weder für die heimische Vogelwelt noch für Haustiere. Nun dringen sie auch am Peenetal weiter vor.
Veröffentlicht:30.04.2023, 07:13

Von:
  • Stefan Hoeft
Artikel teilen:

Dass sich in Jarmen mitunter tatsächlich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, ist schon häufiger beobachtet worden. Auch Rehe verirrten sich angesichts der Lage inmitten von viel Natur und Feld mitten in die Stadt, Wildschweine erkunden zumindest die Gartenanlagen am Ortsrand. Doch dass zu den vierbeinigen „Touristen“ inzwischen ebenso Waschbären gehören, zeigte sich jetzt auf dramatische Weise. Denn an der Ortsdurchfahrt gleich schräg gegenüber vom Rathaus wurde ein solches Exemplar der Gattung „Procyon lotor“ angefahren und verendete daraufhin.

Natürlich war der putzig anzuschauende Geselle, der bei den Jägern und einigen Naturschützern überhaupt nicht gut angesehen ist, dort nicht wegen irgendwelcher Amtsgeschäfte unterwegs. Vielmehr befand er sich wohl auf Nahrungssuche und hatte da schon entsprechende Beute vor Augen und Schnauze. Das legen die zur Abfuhr herausgestellten Gelben Säcke, von denen einige offensichtlich geöffnet waren, und die dahinter stehenden Mülltonnen nahe. Letztlich handelte es sich für den Waschbär so um seine Henkersmahlzeit.

Henkersmahlzeit: Dieser Waschbär wurde diese Woche offensichtlich an seinem „Futterplatz‟ aus Gelben Säcken und Mülltonnen mitten in Jarmen ein Opfer des Straßenverkehrs. (Foto: Stefan Hoeft)

Vorstoß in die Städte am Peenetal

Ein Einzelfall dürfte diese Begegnung keinesfalls bleiben, wie Stadtvertretervorsteher Fred Wegner befürchtet. Der Mann ist seit Jahrzehnten Jäger und bestreift das unmittelbar östlich Jarmens ans Peenetal reichende Revier, kennt zudem jede Menge Erzählungen von anderen Waidkollegen über diese eigentlich aus Nordamerika stammende Tierart. Die sich vermutlich durch aus Gehegen entkommene Exemplare seit Mitte des 20. Jahrhundert immer mehr auf dem europäischen Festland verbreitet hat und früher im deutschen Sprachgebrauch als Schupp bezeichnet wurde. Nur dass Waschbären aufgrund ihrer geringen Größe und als überwiegend nachtaktive Raubtiere der Öffentlichkeit kaum auffallen, es sei denn als Opfer eines Verkehrsunfalls oder „Beifang“ auf der Wildstrecke von Jagden.

„Im Peenetal hat das vor so sechs Jahren mit denen angefangen, jetzt ist der Punkt gekommen, wo sie auch in die Stadt einrücken. Weil alle Reviere rundherum besetzt sind. Das Rumoren auf dem Dachboden muss also kein Marder sein“, sagt Wegner. Der wie zum Beweis gerade erst wieder ein solches Tier mit einer Lebendfalle erwischt hat. Längst nicht der erste: „Bei mir im Revier haben wir an die 20 davon in diesem Winter gefangen.“

Selbst für Hunde und Katzen eine Gefahr

Am von Bäumen und anderem Grün umrahmten Jarmener Schützenplatz beobachtete er die Tiere schon häufiger, überdies setzte er eines in einem Garten an der benachbarten Scheunenstraße fest. Das hatte dort zuvor eine Katze aus ihrem von Menschenhand gebauten Unterschlupf vertrieben und sich dort eingenistet.

Stubentiger haben keine Chance gegen ausgewachsener Vertreter dieser Gattung, selbst Hunde sollten sich auf kein Duell einlassen, warnt der Waidmann. Außer es handele sich um in der Jagd erfahrene. Denn der unscheinbar und fast schon plüschig wirkende Procyon lotor sei ziemlich aggressiv bei Störungen und könne mit seinen nicht einziehbaren scharfen Krallen erhebliche Verletzungen anrichten. „Das hat in den meisten Fällen einen teuren Tierarztbesuch zur Folge. Das ist eben ein Bär, wenn auch nur ein kleiner.“

Jarmens Stadtvertretervorsteher Fred Wegner ist auch Jäger und Hundebesitzer. Und warnt ausdrücklich vor der Begegnung zwischen Haustieren und Waschbären, denn letztere seien sehr wehrhaft. (Foto: Stefan Hoeft)

Auch Hühner auf der Speisekarte

Gefahr bedeutet seine Verbreitung nicht nur für Haustiere. „Der nimmt auch gerne mal Hühner.“ Sondern wegen seiner Geschicklich– und Gefräßigkeit ebenso für die heimische wilde Vogelwelt. „Da nimmt er massig Einfluss, das fällt bei uns mittlerweile sehr auf, dass es immer weniger werden. Es ist viel stiller als früher“, stellt Fred Wegner fest. Denn während der Fuchs eher ungern schwimmt und noch viel schlechter klettert, sind das für den Waschbären beliebte Sportarten.

So kann er problemlos den Singvögeln nachstellen und des nachts ihre Nester ausräumen, sich aber genauso gut an die sich sonst im Wasser sicher fühlenden Arten heranmachen. „Ich habe eigentlich auf jeder Torfkuhle bei uns ein Schwanenpaar, und die brüten auch. Nur Junge bekomme ich fast nie mehr zu sehen“, berichtet der Stadtvertretervorsteher. Das schiebt er auf den Schupp, genauso wie das vollständige Verschwinden der Kraniche an dieser Stelle des Amazonas des Nordens.

Ausbrecher–König bei Lebendfallen

Dieses Räubers habhaft zu werden, stellt sich allerdings nicht gerade leicht dar, weiß der Experte aus eigener Erfahrung. Neben der Flinte kommen vor allem Lebendfallen zum Einsatz. Doch die müssen schon speziell ausgeklügelt sein, um das Ziel zu erreichen. Denn aufgrund seiner wissenschaftlich nachgewiesenen Intelligenz und Lernfähigkeit sowie seiner fünf feingliedrigen Finger gilt der Räuber als eine Art Ausbrecher–König. „Eine einfache Drahtfalle öffnet der völlig problemlos, auch normale Sicherungen.“

Er selbst fand ein solches Gerät vier Mal ausgeräumt und ohne den Dieb hinter Gittern vor. Erst nachdem eine daneben postierte Wildkamera das Vorgehen des dafür verantwortlichen Waschbären dokumentiert hatte, konnte Wegner mit einer zusätzlichen Sicherung Abhilfe herstellen. Für zwei Köder übrigens, das verrät der Vorpommer, habe der Allesfresser eine besondere Vorliebe, die ihm von keinem anderen Tier so bekannt ist: Marshmallows und Haribos. „Wenn die verschwunden sind, dann kannst du relativ sicher sein, dass du es mit einem Waschbären zu tun hat.“

Jäger fürchtet weiter wachsende Probleme

Zunehmend bestückt das Tier bei seinem Vordringen in die Dörfer und Städte den Speiseplan aber auch mit dem Inhalt von Mülltonnen und Gelben Säcken. Nicht umsonst empfiehlt Fred Wegner, bei ersteren die Deckel zu verschließen und bestenfalls noch zu sichern sowie letztere wirklich erst unmittelbar vor der Abfuhr nach draußen zu stellen. Er vermutet nämlich, dass die immer wieder zu beobachtenden geplünderten Grüne–Punkt–Tüten mittlerweile eher von Waschbären als von Katzen herrühren. Das gerade totgefahrene Exemplar nahe dem Rathaus scheint dies zu bestätigen.

„Das wird noch mehr kommen“, prophezeit der Mann. Und hat bei seinen Empfehlungen nicht nur das Stadtbild im Blick. Vielmehr befürchtet er für einige Mitbürger erheblichen Reparaturaufwand an ihren Häusern und damit verbundene hohe Kosten. Bei der Quartierssuche nämlich machen sich diese Raubtiere ebenfalls ihre Fertigkeiten zu Nutze.

Sie könnten problemlos kopfüber klettern und kämen so überall hin, vermögen es sogar Dachsteine anzuheben und so nicht nur durch schon vorhandene Löcher zu schlüpfen. Einmal auf dem Boden eingenistet, könne es für den Gebäudebesitzer ziemlich prekär werden, vom Dreck ganz abgesehen: Dämmmaterial und Folie nutze der Schupp liebend gerne, um sich auszutoben, sprich er verwendet es als Spielzeug und zerstört damit alles. „Ich sehe das mit Schrecken kommen“, so Wegner. Denn eine Verringerung der Population im Jarmener Umland sei momentan nicht absehbar.