Tradition in Vorpommern
Gehören Fischerteppiche bald zum Weltkulturerbe?
Greifswald / Lesedauer: 5 min

Carina Göls
„We knüppen und weben een Teppich fört Leben.“ So sangen die Fischer bei ihrer Arbeit. Und damit war nicht die an den Fangnetzen gemeint, sondern die an echten Teppichen – die bekannten Vorpommerschen Fischerteppiche. Warum Fischer Teppiche knüpften?
Fischerteppiche sollen Immaterielles Kulturerbe werden
Weil sie nicht auf Fang gehen durften und das nötige Geschick und die Fingerfertigkeit hatten. Denn damals, 1928, begann eine schwere Zeit für die Fischer an der südlichen Ostseeküste. Ein mehrjähriges Fangverbot zur Erholung der Fischbestände hatte die Männer arbeitslos gemacht. Doch das sollte gar ihr Glück werden. Eines, das die Region seinerzeit über seine Grenzen hinaus bekannt machte.
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Nun sollen sie noch berühmter werden – weltweit. Auch, wenn bei Liebhabern in anderen Ländern längst die wertvollen Knüpfarbeiten ihre Plätze haben, da geht noch mehr. Die Mitstreiter der Initiative Hille Tieden wollen bei der Unesco beantragen, dass die Vorpommerschen Fischerteppiche zum Immateriellen Weltkulturerbe erklärt werden. Kein kurzer Weg, wie Susan Krieger von der Initiative dem Nordkurier sagte. „Es ist ein sehr üppiger Antrag. Wir arbeiten mit mehreren Fachleuten daran, ihn auszufüllen. Doch dazu gehört viel Recherche, auch historische.“ So gehörten neben Susan Krieger beispielsweise Experten aus dem Stadtgeschichtlichen Museum Wolgast und dem Kulturamt Greifswald zum Recherche-Team.
Viele Wege, die Tradition wiederzubeleben
Warum sollen ausgerechnet teure Teppiche den Weg in die Welt des Kulturgutes finden? „Die Geschichte der Fischerteppiche wird gestern wie heute von vielen Akteuren getragen und weitererzählt. Die kleinen Küstenfischer aus Freest sind ebenso verantwortlich für die Aufrechterhaltung eines identitätsstiftenden Kulturgutes wie die alten, wenigen Knüpferinnen aus Kröslin und Spandowerhagen, die Kustodie in Greifswald und das Heimatmuseum in Freest mit ihren umfangreichen Fischerteppichsammlungen“, ist die Begründung der Antragsteller aus Greifswald.
Der Tradition wieder Leben schenken und ins öffentliche Licht rücken, das sei wichtig, um solche Traditionen der Vorfahren durch die Zeit zu bringen, „auch mit kleinen Veränderungen, das gehört dazu“, meint Susan Krieger. Sie ist diplomierte Textildesignerin mit umfangreichem textiltechnischem und faserspezifischem Know-How. Eine große Begeisterung für alte Handwerkstechniken und der Erhalt des traditionellen Wissens treibt sie an. Es gebe viele Wege, dieses bedeutende Handwerk wieder lebendiger zu machen. Damit die traditionsreichen Teppiche eine Chance bei der UNESCO haben, ging es vor allem darum, das Handwerk so facettenreich wie möglich fortleben zu lassen. „Das gelingt zum Beispiel dadurch, dass wir schon sieben, acht Leute ausfindig machen konnten, die diese Webart beherrschen und auch praktizieren. Das müssen gar nicht mal immer alte Menschen sein.
In DDR-Zeiten gab es mehr Unterstützung
In Potsdam etwa haben wir eine junge Frau gefunden, deren große Leidenschaft diese Knüpftechnik und diese Muster sind“, erzählt Susan Krieger. Aber nicht nur das: Es solle einst jedem, der es mag, wie früher bei den Fischern möglich sein, sich einen kleinen Webstuhl ins noch so kleine Haus zu holen. Es werde Workshops geben, und an Schulen der Region könnte das Thema Einzug halten.
Auch zu DDR-Zeiten hielt man viel von den Fischerteppichen. Die Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) „Volkskunst“ an der Ostsee ließ ab Anfang der 1950er-Jahre die Kunstwerke in Heimarbeit fertigen. Doch ein paar Fasern Politik stecken selbstredend im Osten mit drin: Aus politischen Gründen verschwand während dieser Jahrzehnte Pommern aus der offiziellen Bezeichnung der Teppiche, die als Freester Fischerteppiche angeboten wurden. Neben den bekannten Motiven entstanden zu besonderen Anlässen auch Teppiche mit einer sozialistisch geprägten Bildsprache.
„Es sind nur noch wenige Leute, die Fischerteppiche fertigen, schließlich steckt in diesen Teppichen viel Handarbeit, die auch bezahlt werden möchte. Und darin liegt heute das Problem“, sagt Susan Krieger. Die Gemeinnützigkeit von Hille Tiden stehe an erster Stelle, dennoch müsse man auch wirtschaftlich sein. Davon war man damals in der Weltwirtschaftskrise weit entfernt. Die verarmten vorpommerschen Fischer waren froh, dass der Wiener Textilkünstler Rudolf Stundl (1897–1990) ihnen die Teppichknüpferei beibrachte und so ein Einkommen sicherte, aus dem sich ein für diese Region einmaliges organisiertes Handwerk entwickelte.
Alleinstellungsmerkmal im Ostseeraum
Ihre Webstücke schmück(t)en Rathäuser und Kirchen von Wusterhausen bis Hamburg, sie sind Sammlerobjekt, Staatspräsent und Alltagsgegenstand. Mit den regionaltypischen Motiven, welche die Naturlandschaften und das Leben an der Ostseeküste reflektieren, besitzen die Teppiche noch immer das Alleinstellungsmerkmal für den gesamten deutschen Ostseeraum. Als nach den drei Jahren Fangverbot die Unterstützungsgelder für die Fischer gestrichen wurden, übernahm Rudolf Stundl die Verantwortung für die Vermarktung und konnte die Pommerschen Fischerteppiche als Volkskunst etablieren, für die es zahlreiche Liebhaber gab.
Stundl hatte auch engen Kontakt zur Universität Greifswald, der er kurz vor seinem Tod den gesamten künstlerischen Nachlass überließ. Bis heute finden die Fischerteppiche in der Kustodie der Uni besondere Beachtung. Das Team von Hille Tieden sucht ehemalige und noch aktive Knüpfer. Gleich, ob sie ihr Handwerk noch ausüben oder niedergelegt haben, erzählen Sie ihre persönliche Geschichte um den Fischerteppich herum oder zeigen Ihre schönsten handgeknüpften Teppiche! Helfen Sie mit ihrem Wissen, um die einmalige vorpommersche Handwerkskunst am Leben zu erhalten und weiterzugeben! Hille Tieden freut sich über Ihre Zusendung per E-Mail oder auf dem Postweg: Hille Tieden, ein Projekt von FINC-Foundation gGmbH Am St. Georgsfeld 12, 17489 Greifswald, E-Mail: [email protected] www.finc-foundation.org