Studie
Intelligenter Roboter in Greifswald hilft nach Schlaganfall
Greifswald / Lesedauer: 5 min

Matthias Lanin
In nicht allzu ferner Zukunft werden wütende Maschinen durch ihre künstliche Intelligenz die Weltherrschaft an sich reißen und die Menschheit versklaven. In wie vielen Filmen und Büchern wurde diese Geschichte schon erzählt? Zuerst nutzt der Mensch jedes Mal die Maschinen für seine Zwecke: in Medizin, zur Sicherheit, Fortbewegung oder zum allgemeinen Luxus. Doch dann folgt in den meisten Fiktionen das dicke Ende. Nun, Greifswalder Neurologen sind jetzt gemeinsam mit Forschern der Universität Rostock und der Hochschule Neubrandenburg diesen ersten Schritt gegangen.
Roboter soll keine Menschen ersetzen
„Unser Ziel ist es aber nicht, dass unser Roboter menschliche Therapeuten ersetzt“, betont der Studienleiter Professor Thomas Platz. Er hat mit seinem Team einen humanoiden Roboter gekauft und ihn zum Medibot gemacht, ähnlich wie im Disneyfilm Baymax. Die Pepper genannte Maschine kann Interaktionen menschlicher Therapeuten sehr gut nachahmen. Er kann jetzt schon Therapiesitzungen professionell eröffnen und beenden. Er gibt den Patienten Auskunft über das verordnete Training, erläutert den Ablauf und erklärt, warum die Trainingsübungen helfen, ihre individuellen Therapieziele zu erreichen.
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Das Projekt zum Programmieren und erstem Testen des Roboters ist jetzt vorbei. Nach Abschluss des Startprojekts und damit der ersten Förderperiode hat Professor Platz einen Artikel über die Versuche mit Pepper im Fachjournal Frontiers in Robotics and AI veröffentlicht.
Warum wird nicht einfach eine App programmiert?
Dass Roboter Krankheiten erkennen und Universalmedizin bei sich tragen, bleibt jedoch bislang Fiktion. Der Greifswalder Medibot Pepper ist mit seiner Programmierung in der Lage, Patienten nach einem Schlaganfall zu therapieren und damit bei zwei Folgen nach der akuten Schädigung von Hirnarealen zu helfen: bei Lähmungen der Arme oder Hände und bei Sehstörungen. Rehabilitatives Training ist anspruchsvoll und anstrengend, Patienten und Patientinnen brauchen umfassende Anleitung, die der humanoide Roboter dank künstlicher Intelligenz geben kann.

Auch bevorzugen Betroffene die menschenähnliche Gestalt mehr als eine reine Computeranwendung. „Das hören wir oft von Fachkollegen als Kritik: Weshalb macht ihr keine Therapie–App? Wieso der ganze Aufwand mit dem Roboter“, sagt Professor Platz. Die vermenschlichte Maschine ist motivierender und verständlicher für die Patienten.
Keine männliche oder weibliche Stimme
Gleichzeitig schränken die Forscher aber genau diese Vermenschlichung auch ein. So hat Pepper weder eine männliche, noch eine weibliche Stimme. Vielmehr klingt er nach einer künstlichen Maschine, etwas blechern. Das helfe den Patienten, in dem Roboter das zu sehen, wofür er gedacht ist: ein hochkompliziertes kybernetisches Werkzeug der Rehabilitationsmedizin. „Ganz eindeutig ein Roboter, der bestimmte Dinge kann, aber andere auch nicht“, fasst er zusammen. Pepper gebe Anweisungen, die er bildhaft mit Fotos und Videos erläutert. Zudem gebe er Feedback zu Trainingsleistungen und -fortschritten. Er frage nach, ob man eine Pause braucht und ob man nach einem Übungsdurchgang bereit ist, weiterzumachen. Und das alles nett und ewig freundlich, mit Aufmerksamkeit für die zu Behandelnden und begleitet von natürlichen Gesten. Doch Diagnosen und Therapiepläne erstelle er nicht, betont der Studienleiter.
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Im Vergleich zu Trainingseinheiten mit menschlichen Therapeutinnen und Therapeuten, die die gleiche Art von Armrehabilitation durchführten, sei das „Gesamtbild“ der therapeutischen Anleitung durch den humanoiden Roboter bemerkenswert vergleichbar, freut sich der Neurologe. Wie und warum das verordnete Training einer Patientin oder einem Patienten hilft, das individuelle Behandlungsziel zu erreichen, erläuterte der Roboter sogar häufiger.
Zu wenig Personal im Gesundheitssystem
Einige Unterschiede betreffen technische Einschränkungen: „Zum Beispiel kann der Roboter das Blickfeld der zu Behandelnden nicht erfassen und auch nicht spontan gemachte Äußerungen registrieren oder darauf reagieren.“ Wichtig sei, dass Patientinnen und Patienten bei diesen Sitzungen genauso konzentriert und engagiert waren wie Patientinnen und Patienten, die von Menschen behandelt wurden. Das war nicht nur der Fall, als das Training begann und alles neu und „aufregend“ war, sondern auch nach zwei Wochen intensivem täglichen Training mit dem humanoiden Roboter.
Aber wenn dieser Medibot den Menschen nicht ersetzen soll und menschliche Therapeuten besser sind, wozu brauchen wir ihn überhaupt? „Weil wir zu wenig Personal im Gesundheitssystem haben, um jedem Patienten eine intensive Therapie zu bieten“, antwortet Professor Platz. Wegen des demografischen Wandels kommen die Babyboomer nun vermehrt in die Rentenjahre und damit auch in das Alter, in dem Schlaganfälle häufiger werden. Pro Jahr treten in Deutschland momentan 200.000 erstmalige Schlaganfälle und 70.000 wiederholte Schlaganfälle auf.
Nur eine Stunde Schlaganfallbehandlung pro Woche
Das Verhältnis von arbeitenden Menschen und Rentnern wird sich noch weiter zu Lasten der Arbeiter und damit auch dem medizinischen Personal verschieben. Die Forscher wollen sich mit dem Projekt also dem Fachkräftemangel sowie dem steigenden Bedarf beim Thema Schlaganfall entgegenstellen. Denn schon jetzt sei es so, dass ein Patient nach einem Schlaganfall ambulant durchschnittlich nur eine Stunde pro Woche dieses wichtige Training durchführt. „Viel zu wenig“, findet der Greifswalder Neurologe.
Die Forschung ist Teil der Verbundforschung „E–BRAiN — Evidenzbasierte Robot–Assistenz in der Neurorehabilitation“ des Exzellenzforschungsprogramms des Landes Mecklenburg–Vorpommern, das mit Mitteln des Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes– und Europaangelegenheiten des Landes Mecklenburg–Vorpommern und der Europäischen Union aus dem Europäischen Sozialfond mit insgesamt zwei Millionen Euro gefördert wurde. Bisher hat Pepper in der Hansestadt 20 Testpatienten bei der Reha nach einem Schlaganfall geholfen. Die großangelegte Erprobungsstudie — finanziert aus Eigenmitteln der Unimedizin — startet nun.
Weitere Informationen unter www.ebrain–science.de