StartseiteRegionalAnklamJahrelang vermisst – Menschen in Vorpommern wie vom Erdboden verschluckt

Spurlos Verschwunden

Jahrelang vermisst – Menschen in Vorpommern wie vom Erdboden verschluckt

Anklam / Lesedauer: 5 min

In Vorpommern werden, zum Teil seit langer Zeit, Menschen vermisst, von denen trotz intensiver Fahndungen keine Spur entdeckt wurde. Manchmal klären sich Fälle aber wie von selbst.
Veröffentlicht:23.08.2022, 10:27

Von:
  • Thomas Beigang
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Spätestens in zehn Minuten hätte Jan E., ein 16-jähriger Junge aus Ueckermünde, zu Hause sein müssen. Wie immer an den vergangenen Tagen schwang sich der Schüler am 10. Dezember 2000 auf sein Fahrrad. Der Ueckermünder jobbte in jenen Tagen im Restaurant „Pommernmühle“, der 10. Dezember war sein letzter Tag im Praktikumsbetrieb.

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Von diesem Zeitpunkt an verliert sich seine Spur. Weder seine Eltern noch seine Freunde oder Mitschüler haben je wieder etwas von ihm gesehen oder gehört. „Eine mysteriöse Geschichte“, rätseln noch viele Jahre später die Kripo-Beamten aus dem benachbarten Anklam.

Sämtliche Hinweise verloren sich im Nichts. So wollte ihn angeblich noch Monate später ein Kurierfahrer in der Nähe von Anklam ein Stück mitgenommen haben, andere sahen angeblich den Jungen aus Ueckermünde auf einem Boot in der Peene, wieder andere sogar in Berlin oder Hamburg, nachdem eine Fernsehsendung im Jahr 2001 bundesweit auf den Fall aufmerksam gemacht hatte. Aber bis heute haben die Fahnder von der Anklamer Kripo keine heiße Spur.

Wie auch von anderen, insgesamt 21 Männern, Frauen und Jugendlichen aus der Region, die bei der Polizei als langzeitvermisst gelten, einige von ihnen bereits seit den 1990er-Jahren. „Alle diese Fälle“, sagte jetzt auf Nachfrage ein Sprecher der Anklamer Polizeiinspektion, „werden durch die Kriminalbeamten immer mal wieder nach neuen Erkenntnissen geprüft“. Aktive Suchen allerdings werden nach jenen 21 Vermissten derzeit nicht durchgeführt. An den Jungen aus Ueckermünde erinnert noch immer eine Vermisstenmeldung auf dem Internetportal „Vermisste Kinder“ .

Erwachsene dürfen ohne Info an Angehörige gehen

Wann gelten eine Frau, ein Mann oder ein Kind als vermisst? Für die Familie und den Bekanntenkreis dann, wenn die Person aus unerklärlichen Gründen ihrem gewohnten Aufenthaltsort fernbleibt. Die Polizei leitet eine Vermissten-Fahndung ein, wenn eine Person ihren gewohnten Lebenskreis verlassen hat, ihr derzeitiger Aufenthalt unbekannt ist und eine Gefahr für Leben oder Gesundheit – zum Beispiel als Opfer einer Straftat, eines Unfall, Hilflosigkeit oder eine Selbsttötungsabsicht – angenommen werden kann.

Erwachsene, die im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte sind, haben dagegen das Recht, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen, auch ohne diesen den Angehörigen oder Freunden mitzuteilen. Minderjährige dürfen hingegen ihren Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen. Bei ihnen wird grundsätzlich von einer Gefahr für Leib oder Leben ausgegangen. Sie gelten für die Polizei bereits als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und ihr Aufenthalt nicht bekannt ist.

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Die Personalien vermisster Personen werden in einem bestimmten Informationssystem der Polizei erfasst und damit zur Fahndung ausgeschrieben. Auf dieses System haben alle deutschen Polizeidienststellen Zugriff. Erfahrungsgemäß erledigen sich etwa 50 Prozent der Vermissten-Fälle innerhalb der ersten Woche. Binnen Monatsfrist liegt die „Erledigungs-Quote“ bereits bei über 80 Prozent. Der Anteil der Personen, die länger als ein Jahr vermisst werden, bewegt sich bei nur etwa drei Prozent.

Mehr als zwei Drittel aller Vermissten sind männlich

Anfang 2022 waren insgesamt rund 8800 Fälle vermisster Personen in Deutschland im polizeilichen Suchsystem registriert. In dieser Zahl sind sowohl Fälle vermisster Personen enthalten, die sich innerhalb weniger Tage aufklären, als auch über viele Jahre und Jahrzehnte Vermisste, deren Verbleib nicht festgestellt werden konnte. Täglich werden jeweils etwa 200 bis 300 Fahndungen neu erfasst, etwa die gleiche Anzahl wird wegen Erledigung gelöscht.

Interessant auch: Mehr als zwei Drittel aller Vermissten sind männlich. Etwa Dreiviertel aller Vermisstenfälle machen Dauerausreißer aus, also Kinder und Jugendliche, die von zu Hause oder aus Betreuungseinrichtungen weggelaufen sind, so eine Erfahrung der Polizei in Anklam. Oder ältere Menschen, die immer mal wieder aus Kliniken oder Pflegeheimen kurzzeitig vermisst werden.

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Oder sogar aus Krankenhäusern verschwinden, einem Ort, der gemeinhin als sicher gelten soll. Wie im vergangenen Jahr, seit dem 1. Juni wurde ein 73-jähriger aus einem kleinen Dorf bei Pasewalk vermisst. Dessen Schwester hatte den älteren Herrn, besorgt über dessen zunehmende Orientierungsschwierigkeit, ins Krankenhaus nach Pasewalk gebracht, und von dort verschwand der Rentner spurlos. Ein Polizeihubschrauber stieg in die Luft, Hundestaffeln suchten die Umgebung ab, die Ermittler befragten alle infrage kommenden Kontakte und versuchten, Spuren in der Vergangenheit zu finden – alles ohne Erfolg.

Viel zu spät kam Kommissar Zufall den Fahndern zur Hilfe. Mehr als zwei Monate nach dem Verschwinden wurde in der Nähe der A20 bei Pasewalk eine leblose, männliche Person gefunden. Ein Sprecher der Polizei gab an, dass der Hinweisgeber den reglosen Körper beim Mähen gefunden hatte. Wie der 73-Jährige damals dort hingelangt war, wird ein ewiges Rätsel bleiben.