Proteste

Noch mehr Naturschutz im Peenetal – Das sagt Minister Backhaus

Anklam / Lesedauer: 6 min

Die Region Peenetal bis Peenestrom und Haff soll Naturschutzgebiet werden. Es gibt Protest dagegen. Ralph Sommer konfrontierte Minister Till Backhaus (SPD) mit den Ängsten der Einwohner.
Veröffentlicht:06.07.2021, 09:00
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  • Author ImageRalph Sommer
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Herr Minister, wieso jetzt noch ein Schutzgebiet?

Die Niederung des Flusstals vom Ausfluss des Kummerower Sees bis zum Peenestrom ist mit 85 Kilometern Länge eine der größten zusammenhängenden Moorflächen Mitteleuropas. Nicht umsonst sagen wir, das ist der Amazonas des Nordens – das einzige Flussgebiet Europas, das nicht verbaut wurde. Aber über Jahrhunderte hinweg wurden hier Moore entwässert, um eine Wiesen- und Weidewirtschaft zu etablieren. Seit 1992 wurden in die Renaturierung 27,4 Millionen Euro investiert. Ich habe zwar Verständnis dafür, dass es Diskussionen gibt, warum jetzt weitere Regionen renaturiert werden sollen. Wir kommen aber nicht weiter, wenn wir alle von Klima- und Artenschutz reden, „aber bitteschön nicht vor meiner Haustür“. Mit der Trockenlegung der Moore wurde Kohlendioxid ohne Ende in die Luft gepustet, das darf so nicht weitergehen. Das hat kürzlich auch das Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil so gesehen und weitere Maßnahmen für den Klimaschutz gefordert.

Es gibt Menschen, die zweifeln den Nutzen der Renaturierung an. Was sagen Sie denen?

Wir haben in dem bestehenden Naturschutzgebiet seit 1992 auf einer Fläche von 9.000 Hektar den Wasserstand angehoben und damit einer weiteren Moorzersetzung und einem massiven Ausstoß des Klimakillers Kohlendioxid entgegengewirkt. Auf weiteren 2.500 Hektar konnte eine moorschonende Nutzung etabliert werden. Und viele kriegen glänzende Augen, wenn sie hier Tier- und Pflanzenarten sehen, die es in Europa praktisch gar nicht mehr gibt.

Und das reicht nicht?

Es gibt eine förderrechtliche Folgeverpflichtung. Die besagt, dass zur langfristigen Sicherung und naturschutzgerechten Entwicklung des Großschutzgebietes die insgesamt 20.000 Hektar umfassende Kernzone unter Schutz zu stellen ist. Das ist nicht neu, und das wissen auch alle Mitglieder des Zweckverbandes Peenetallandschaft, also die beiden Landkreise Vorpommern-Greifswald und Mecklenburgische Seenplatte, die Städte Demmin, Loitz, Jarmen, Gützkow und Anklam sowie der Förderverein Naturschutz Peenetal, die Wasser- und Bodenverbände Untere Peene und Untere Tollense – Mittlere Peene.

"Die Unterschutzstellung steht seit 1992 fest"

Es stand also schon lange fest, dass dieses Naturschutzgebiet irgendwann kommen wird?

Selbstverständlich! Das steht schon seit 1992 fest. Und alle Genannten wissen das. Insofern finde ich es nicht ganz fair, dass man jetzt mit den Ängsten der Menschen spielt. Das habe ich kürzlich auch Landrat Michael Sack gesagt, der ja Verbandsvorsteher ist.

Der Landrat hatte vor allem kritisiert, dass im Vorfeld nicht ausreichend über die Pläne informiert worden sei, dass es pandemiebedingt so gut wie keine Info-Veranstaltungen gab. Hat er damit nicht recht?

Ich erkenne ja an, dass die Leute nicht richtig im Vorfeld informiert wurden. Aber das ist ja erst einmal eine ganz normale Anhörung, zu der die Gemeinden und die öffentlichen Bereiche um Stellungnahmen gebeten wurden. Entschieden wird ja nicht morgen oder übermorgen, sondern erst 2023. Und es wird nicht am Grünen Tisch über die Köpfe der Gemeinden, Verbände und Kreise hinweg entschieden.

Um die vor Ort bestehenden Fragen zum neuen Naturschutzgebiet zu erläutern, sind auch noch Einwohnerversammlungen in den Gemeinden vorgesehen. Sie sollen vor der öffentlichen Auslegung stattfinden, voraussichtlich im vierten Quartal dieses Jahres. Auch mit den Wasser- und Bodenverbänden, mit den Landräten, der Stadt Anklam und den Verbänden werden ausgehend von den Stellungnahmen bilaterale Verhandlungen und Abstimmungen vor Ort stattfinden.

Die Stadt Anklam fürchtet, künftig in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung behindert zu werden, wenn strenge Umweltauflagen gelten sollten. Können sie Bürgermeister Michael Galander beruhigen?

Herrn Galander, der im Übrigen ja auch Mitglied im Zweckverband Peenetal ist, sage ich ganz freundschaftlich: Selbstverständlich nehmen wir die Sorgen und Hinweise ernst. Wie jede Gemeinde soll sich auch Anklam weiterentwickeln können. Wenn Anklam zum Beispiel sagt, wir wollen da ein Baugebiet oder einen Entwicklungsraum für Investitionen schaffen, dann werden wir das selbstverständlich berücksichtigen.

Nutzungsverbote befürchten auch ansässige Landwirte. Droht ihnen demnächst zum Beispiel eine stark eingeschränkte Weidehaltung?

Landwirtschaftliche Nutzung soll da, wo sie möglich ist, moorschutzgerecht erfolgen. Ich sehe da sogar neue Zukunftschancen. Zum Beispiel habe ich ja persönlich dafür gekämpft und mich gegen den Willen der CDU durchgesetzt, dass es wieder die Weideprämie gibt. Das heißt, die Schaf-, Ziegen- und Mutterkuhhalter werden zusätzliches Geld bekommen.

Und wenn es zu Einschränkungen kommt, wie Düngeverbote oder eine zeitlich befristete Beweidungsintensität, dann werden wir flächenbezogen vor Ort für die betroffenen Landwirte Abhilfen schaffen. Dazu hatten wir die Landwirte bereits im November 2020, also vor Beginn des Verfahrens, angeschrieben. Gegebenenfalls kann es auch Änderungen geben, denn wir wollen, dass die Weidehaltung in der Fläche auch weiterhin stattfinden kann. Wir wollen bis 2023 alle bestehenden Interessenkonflikte klären.

"Landwirte bekommen weiterhin ihre Zahlungen"

Infrage gestellt wird auch, ob das Limicodra-Förderprojekt zum Schutz von Bodenbrütern fortgesetzt wird.

Die Landwirte, die am Limicodra-Förderprojekt beteiligt sind, werden zu 100 Prozent auch weiterhin ihre Zahlungen bekommen. Das hervorragende Limicodra-Projekt ist ja Teil des Schutzprojektes. Deshalb werden die dafür genutzten Förderprogramme durch die Unterschutzstellung definitiv nicht infrage gestellt. Wir wollen zusammen mit den Projektträgern den Schutz der Wiesenbrüter und ihrer Lebensräume optimieren. Wir brauchen eine Erhöhung des Rückhaltevermögens und des Wasserstandes in der Fläche.

Der örtliche „Wasser- und Bodenverband Untere Peene“ fürchtet, künftig nur noch begrenzt seinen Wartungs- und Reparaturpflichten nachkommen zu können, weil nach der Schutzgebietsausweisung viele Eingriffe vorher beantragt werden müssten. Wie soll das organisiert werden?

Etwa 70 Prozent der künftigen Naturschutzgebietsfläche befinden sich im Bereich ohne Abstimmungsbedarf mit den beiden im Gebiet tätigen Wasser- und Bodenverbänden Untere Peene und Insel Usedom-Peenestrom. Hier bestehen bereits heute natürliche hydrologische Verhältnisse. In den übrigen 30 Prozent gibt es zur Gewässerunterhaltung aktuell einen Abstimmungsbedarf mit den zuständigen Naturschutzbehörden. In den gesetzlich geschützten Biotopen und Natura-2000-Gebieten gelten artenschutzrechtliche Vorgaben. Die strittigen und besonders sensiblen Bereiche werden begangen, und dann wird mit den Verbänden und Landwirten vor Ort kurzfristig ein Maßnahmeplan erstellt.

Diskutiert wird, inwiefern zum Beispiel bei Biberschäden schnell eingegriffen werden kann.

Etwa 98 Prozent der Naturschutzgebietsfläche von 20.000 Hektar sind bereits als europäisches Schutzgebiet von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung ausgewiesen. Das heißt, dass der Biber dort einen besonderen Schutzstatus hat. Und nur, wenn der Biber dort öffentliche Anlagen kaputt macht, sind diese auch wieder instandzusetzen. Das betrifft zum Beispiel Straßen, Wege und Bahnlinien. Eingegriffen werden darf auch dann, wenn durch Biberschäden Keller von Häusern bedroht sind.