Renaturierung

Nord Stream 2 hinterlässt in Vorpommern bereits deutliche Spuren

Anklam / Lesedauer: 5 min

Die Gaspipeline Nord Stream 2 hinterlässt ihre Spuren im vorpommerschen Hinterland. Dort ist die Renaturierung als Ausgleich im vollen Gang – und sorgt für Zweifel.
Veröffentlicht:27.11.2021, 18:14

Von:
  • Carina Göls
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Bagger, Kräne, Unmengen von Sand und Kies, Menschen im Verhältnis dazu wie Playmobil-Figuren in der Landschaft. In Bargischow und Umgebung, in der Nähe von Anklam, verändert sich die Welt. Und das für „Historisches“, wie Landes-Agrarminister Till Backhaus (SPD) schon vor gut zwei Jahren sagte, als die Kompensationsmaßnahmen für die neue Erdgastrasse Nord Stream 2 ihren Startbefehl von ihm bekamen.

Ausgleichsmaßnahme lässt Wasserspiegel steigen

Nun ist Halbzeit. Und die Pipeline hinterlässt deutlich ihre Spuren im vorpommerschen Hinterland. Der erste Bauabschnitt einschließlich der Errichtung des Dammes Polder-Schanzenberg Bargischow ist bereits abgeschlossen, wie Hagen Kroll von der Landgesellschaft M-V mbH, die die Kompensationsmaßnahme für die Nord Stream 2 AG umsetzt, erklärt. Auf diesem Damm plant der Landkreis, die Kreisstraße K48 sowie den Radfernweg Berlin-Usedom zu verlegen. Die Kreisstraße wird künftig über Gnevezin verlaufen.

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Zudem sollen zwei Rohrlagerplätze für die Schilfmahd angelegt werden. Einer davon ist laut Kroll bereits fertig. Dort sei das Niveau erhöht worden, weil die Ausgleichsmaßnahme den Wasserspiegel steigen lasse. „Mit den baulichen Maßnahmen wollen wir die naturnahen Wasserverhältnisse des Moores wiederherstellen und den Lebensraum für typische, seltene und gefährdete Pflanzen und Tiere neu entwickeln“, erklärt Biologe Kroll. Vor Beginn der großen Bauaktion wurden die Ortsdurchfahrten in Gnevezin und in Bargischow instand gesetzt. „Sämtliche Baumaßnahmen im Polder hat die Landgesellschaft als Flächenagentur von Nord Stream 2 übernommenen. um die Kompensationsverpflichtung für Eingriffe in Natur und Landschaft durch den Bau der Ostsee-Pipeline zu gewährleisten“, ergänzt er.

Ausschreibung mit einem Jahr Verzögerung

Die europaweite Ausschreibung für den zweiten Bauabschnitt erfolge – mit einjähriger Verzögerung – nun in diesen Tagen. An Corona habe der Aufschub aber nicht gelegen. Vielmehr sei „viel zu klären gewesen, wie etwa die Asphaltierung des Kopfsteinpflasters zwischen Gnevezin und Bargischow“. Da hatte es mit der Genehmigung so seine Schwierigkeiten, denn Denkmal- und Naturschützer haben ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Ergo: Jetzt wird ein sogenannter Drain-Asphalt, also wasserdurchlässiges Material, genommen. Nichtsdestotrotz sei alles im Großen und Ganzen noch im Plan.

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Im Team der Landgesellschaft vereinen sich laut Kroll neben Biologen, Bauingenieuren und Landwirten auch Fachleute der Melioration. Das Nord-Stream-2-Projekt sei zwar das bislang teuerste, an dem die Truppe eine Aktie hat, aber nicht das größte. Dies sei ein 1000 Hektar Moorschutzprojekt am Kummerower See vor rund zehn Jahren gewesen. Zu DDR-Zeiten hätte man für derlei Vorhaben gewiss imposante Namen gefunden, wie Trasse der Freundschaft, des Friedens oder der Völkerverständigung. Das wäre nicht mal am Thema vorbei. Denn um Verständigung und Akzeptanz geht es auch heute noch, wenn im Zuge der Ausgleichsmaßnahmen für den Trassenbau Umweltmaßnahmen durchgeführt werden sollen – so wie nun bei Bargischow.

Die Baumaßnahme, die allein für den Damm knapp fünf Millionen Euro verschlingt, wird vom Betreiberkonsortium Nord Stream AG bezahlt und gilt als ein Teil der mit insgesamt 40 Millionen Euro veranschlagten Aktion. Insgesamt soll zwischen Bargischow und Kamp bis 2023 eine Fläche von440 Hektar renaturiert werden. Zehn Millionen Euro nimmt die Betreiberfirma dafür in die Hand. Neben dem Damm, über den später der Europa-Radweg und die neue Kreisstraße führen sollen, wurde bereits das Schöpfwerk Bargischow instand gesetzt. Außerdem soll noch der Deich am Grenzgraben ausgebaut werden und ein Wildzaun das Areal schützen.

Dennoch: Auf pure Freude stößt das Vorhaben nach wie vor nicht. Bargischows neuer Bürgermeister Hannes Schmidt steht dem Projekt skeptisch gegenüber: „Ich gebe zu, ein Fan der Renaturierung bin ich nicht. In diesem Punkt schlagen zwei Herzen in meiner Brust.“ Selbst die neue Kreisstraße und die damit durchaus verbundenen Vorteile wertet er eher als Geschenk, um sich freizukaufen. „Die Ablehnung von vielen Menschen vor Ort bleibt bestehen“, sagt Schmidt und erinnert an die Bürgerinitiative in Gnevezin, die sich gegen das Projekt bereits zu Beginn wehrte. Die Sache landete vor Gericht und endete mit einem Vergleich, welcher der Gemeinde besagte neue Straße bescherte.

„Die meisten Leute nehmen es inzwischen hin“

„Es gibt keine Alternative mehr. Die Gemeinde hatte nach dem Planfeststellungsverfahren keine Möglichkeiten, sich gegen das Projekt zu wehren. Die meisten Leute nehmen es nun hin und harren der Dinge, die da kommen werden. Nach meinem Wissen haben die meisten ihre Grund-stücke entsprechend verkauft, damit gebaut werden kann, nur zwei oder drei sind noch zögerlich oder ganz dagegen. Ich kann das verstehen. Vonaußen betrachtet ist das wie eine kalte Enteignung“, macht der Bürgermeister aus seinem Herzen keine Mördergrube. Doch es bringe immerhin Straßen, „die wir uns selbst nie hätten leisten können. Aber wie sich das alles auch in Sachen Natur entwickelt, das weiß niemand.“ Angesichts der Verzögerungen geht Schmidt aber davon aus, dass frühestens im Jahr 2024 alles erledigt sein wird.