Bunte Hingucker
Seine Graffiti verleihen Loitz das gewisse Etwas
Loitz / Lesedauer: 6 min

Ulrike Rosenstädt
Ganz unauffällig fing es an. Am Rande der Stadt, in der Zarnekowstraße auf Höhe einer verwitterten Begrenzungsmauer zum ehemaligen Stärkefabrikgelände in Loitz. Hein Lohne, so der Name, den sich ein in der Peenestadt lebender Graffiti-Künstler selbst gewählt hat, ließ dort 2014 Gesichter entstehen gepaart mit einem Schriftzug Loitz.
„Zufällig“ gesellte sich auch ein witziges Lebewesen zu der Gruppe von Personen. Ein Affe? Eine verfremdete Person? Auf jeden Fall lacht er, sie, es mit einem großen, weit aufgerissenen Mund eher schelmisch. Interpretationen liegen im Auge des Betrachters.

Grauen Mauern neues Leben eingehaucht
Wer ist der Künstler, der damals diesem offensichtlich in den Märchenschlaf gefallenen Abschnitt von Loitz plötzlich wieder Leben einhauchte? Hein Lohe, soviel sei schon mal vorweggesagt, bezeichnet sich selbst nicht als Künstler: „Diesen Begriff scheue ich. Wenn andere das anders sehen, dann ist das so. Ich würde mich nie so nennen. Künstler leisten Großes, etwas ganz anderes als ich.“

Schnell wird klar, der Spaziergang von Bild zu Bild scheint in mehreren Beziehungen spannend zu werden. Neun Jahre nach seiner ersten Mauergestaltung in der kleinen Peenestadt schlägt sich das Loitzer Graffiti-Bilderbuch bei einem sonnigen Herbstrundgang mit dem 50-Jährigen genau an dieser Stelle auf. Über den Begriff schmunzelt er. Den hatte er nie selbst geprägt.
Es brauchte eine Rubrik, um sporadisch immer mal wieder eines seiner Bilder im Nordkurier der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das kam bei vielen Lesern gut an und führte zu der Frage: Wer ist dieser Hein Lohe? Wo kommt er her? Was ist das für ein Mensch? Wie kommt der bloß auf all diese Ideen für seine Bilder?
Motive regen zum Weiterdenken an
Viele Fragen, auf die er am liebsten mit nur ganz wenigen Worten antworten möchte. Denn über sich reden ist so gar nicht seine Sache. Dabei hat der Mann etwas zu sagen. Wenn er sich auf ein Gespräch einlässt, verläuft das interessant, lässt sein Gegenüber zwar auch mit Fragen zurück, allerdings mit solchen, die zum Weiterdenken animierten.

So wie seine Bilder. Da ist der Puppenspieler, der auf Höhe des Marktplatzes zu entdeckten ist. So wie der sich dort präsentiert, geht er auch gut als Strippenzieher durch ‐ und das ganz in der Nähe des Rathauses. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. An der Rückwand des ehemaligen Ölheizgeräte Werkes, Höhe der Königswiese, reiht sich ein Bild ans andere.
„Es ist immer wieder schön, sie anzusehen“, richtet eine Passantin sich beim Vorübergehen spontan an Hein Lohe. Gefällt ihm das? „Schon. Es ist natürlich schön, wenn die Leute so reagieren, klar“, sagt er und zeigt auf eines der neusten Bilder, das er an dieser Stelle gerade entstehen ließ: Eine überdimensioniert große männliche Person tritt aus einem Häusermeer heraus ‐ sie verdrängt alles um sich herum, um, so lässt sich das Bild lesen, zu essen, zu saufen, in den Urlaub zu fliegen.

Keine politische Botschaft für die Betrachter
Der Graffiti-Künstler erweist sich an dieser Stelle erneut als Farbenakrobat. Auch als Gesellschaftskritiker? „Da steckt schon etwas drin. Aber grundsätzlich möchte ich mich mit politischen Äußerungen zurückhalten. Das fände ich den Betrachtern gegenüber zu übergriffig“, sagt Hein Lohe. Er wolle sich in Loitz nicht als der gesellschaftspolitisch aufrüttelnde Künstler geben. Das gehe für ihn nicht auf. Bewusst stellt er die Gegenfrage, wohl auch an sich gerichtet: „Wer bin ich?“
Schließlich öffnet er seine ganz private Tür ein Stückchen weit: Seine recht lange andauernde Suche nach einem Grundstück, einem eigenen kleinen Haus, endete in Loitz. „Ich habe mir mit dem Hauskauf, dazu noch mit so einem besonderen Objekt, einer ehemaligen Kapelle, einen lang gehegten Wunsch erfüllt.“ Den lebt er nun, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Anni.

Bei einem Besuch in ihrem Zuhause gewährt Hein Lohe einen Blick auf seine gemalten Bilder, denn er beherrscht nicht nur die Technik des Graffiti-Sprayens. Bestand jemals der Wunsch, von der Kunst leben zu können? „Vielleicht ja. Aber ich habe schnell begriffen, dass das nicht funktioniert.“ Also geht er einem Bürojob nach, der ihm im Feierabend und an den Wochenenden genügend Zeit und Raum für seine künstlerische, kreative Arbeit lässt.
Fans unterstützen mit Anerkennung und Farbe
Seit den ersten, wie Hein Lohe selbst beschreibt, sehr vorsichtigen, fast durch etwas Angst geprägten Sprayer-Einsätzen zu Beginn seiner Loitz-Zeit, verleiht er der Stadt mit seinen Bildern immer wieder neue Gesichter. Von so manchen grauen, tristen Wänden schauen zumeist farbenfrohe Gestalten, facettenreiche Gesichter, Fantasiewesen oder, wie einst am Abrisshaus in der Breiten Straße, Menschen wie du und ich, die aus dem Fenster schauten.
Zu den Fans seiner Arbeiten gehören nicht nur Loitzer, sondern Bewohner aus dem ganzen Peenetal, die sich erst jüngst öffentlich wünschten, dass sich Loitz mit diesem Alleinstellungsmerkmal Graffiti-Kunst im öffentlichen Raum besser vermarkten sollte. Andere unterstützen ihn ganz pragmatisch mit Farben.
Eigentümer um Erlaubnis gebeten
„Für dieses Sponsoring von Familie Triphahn und der Firma Fenchel, doch von dem Team von Artunique, die mich in meiner Anfangszeit stark unterstützt haben, bin ich sehr dankbar“, sagt der Wahl-Loitzer. Er ist übrigens nur wenige Kilometer entfernt, in Greifswald, aufgewachsen und hat auch als Erwachsener viele Jahre dort gelebt.
Doch es gibt auch Kritiker. „Ich habe immer Flächen gestaltet an alten, leerstehenden Häusern, Flächen genutzt, die ohnehin dem Verfall oder sogar dem Abriss preisgegeben waren. Immer ‐ meistens ‐ frage ich natürlich die Hauseigentümer, ob ich Flächen gestalten darf.“
Inzwischen sind es reichlich Wände, Nischen, Mauerreste, die es zu entdecken gilt. Dennoch endet auch der schönste Herbstspaziergang einmal. Allerdings werden die vielen Eindrücke nachhallen, die dabei neue und wieder einmal anders wahrgenommene, schon ältere Bilder von ihm ausgelöst haben. Das Loitzer Graffiti-Bilderbuch ist ein offenes. In ihm zu blättern, lohnt auf jeden Fall.