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Abschlussbericht

Software–Affäre – Sonderausschuss entlastet Landrat Sack

Anklam / Lesedauer: 5 min

Ein Sonderausschuss sollte die Software–Affäre in Vorpommern aufklären. Das Ergebnis stärkt dem Landrat den Rücken. Doch juristisch und finanziell sind noch Fragen offen.
Veröffentlicht:05.05.2023, 05:57

Von:
  • Carsten Schönebeck
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Es geht um viel Geld und eine Kette möglicher Intrigen im Landratsamt: Seit gut fünf Jahren gärt die Software–Affäre im Landkreis Vorpommern–Greifswald — und ein Ende ist immer noch nicht in Aussicht. Immerhin ein Baustein dafür liegt inzwischen vor: Der Abschlussbericht eines Sonderausschusses, der über anderthalb Jahre zumindest Teile der Affäre aufarbeiten sollte.

Vernichtendes Urteil im Bericht

Dessen Fazit fällt überraschend eindeutig aus: Die hochgelobte Software, die der Kreis entwickeln ließ, habe nicht im Ansatz gehalten, was man sich davon versprochen habe. Die Software sollte die Arbeit im Bereich Jugendhilfe digital revolutionieren. Mehr Transparenz, sinkende Kosten, weniger Bürokratie. So wurde immer wieder angepriesen, was in Kooperation mit der Berliner Beratungsfirma Veberas erarbeitet wurde. An das Unternehmen wurden demnach rund 450 000 Euro überwiesen, bis die Zahlungen schließlich gestoppt wurden.

Es gab Fördergelder und Auszeichnungen für eine vorbildliche Digitalisierung. Jahre später beschreibt es der Ausschuss nun so: „Obwohl die ‚SoJuS‘-Software letzten Endes nur in einer Testversion (und das auch nur für eins von insgesamt sechs beauftragten Modulen) zur Verfügung gestellt worden ist, wurden die Aufträge vollumfänglich seitens der Firma abgerechnet und nahezu vollständig durch die Kreisverwaltung bezahlt.“

Landrat wird durch Ausschuss entlastet

So absurd das klingen mag: Für Landrat Michael Sack ist dieses Ergebnis eine gute Nachricht. Denn die Entwicklungsphase der Software lag noch vor Beginn seiner Amtszeit im Oktober 2018. Sack und seine Parteifreunde waren vielmehr im Wahlkampf und nach dem Amtsantritt gegen die Verantwortlichen vorgegangen und hatten sich damit auch eines politischen Konkurrenten entledigt. 

Sozialdezernent Dirk Scheer (parteilos) stolperte über die Vorwürfe, zum passenden Zeitpunkt, um seine eigene Kandidatur als Landrat 2018 auszubremsen. Und erneut, als es 2019 um seine Wiederwahl als Dezernent ging. Was wirklich hinter den Vorwürfen steckte, darüber wird allerdings bis heute vor Gerichten gestritten. Von Korruption und Vetternwirtschaft sprachen Scheers Gegner, bei anderen hält sich hartnäckig das Gerücht einer politischen Intrige zugunsten der CDU und des heutigen Landrats. Die Staatsanwaltschaft Stralsund hatte nach Hausdurchsuchungen und ausgiebigen Ermittlungen das Verfahren gegen Scheer und die beteiligte Firma eingestellt. Es habe sich kein konkreter Verdacht auf strafrechtlich relevantes Verhalten ergeben, hieß es damals.

Der rund 50–seitige Ausschussbericht kritisiert die Entscheidung der Ermittler zumindest indirekt. Die Strafanzeige sei nachvollziehbar und begründet gewesen. Transparenzgebote seien missachtet und Vorschriften umgangen worden. Die Projektumsetzung weise eine „Vielzahl von Widersprüchen“ auf. Im Bericht stellt sich der Ausschuss bei der Wahl der juristischen Mittel ausdrücklich auf die Seite der Kreisverwaltung, die straf– und zivilrechtlich gegen die Beraterfirma und beteiligte Verwaltungsmitarbeiter vorgegangen war.

CDU–Meinung hat sich drastisch geändert

„Es war nicht einfach, alle Vorgänge zu verstehen sowie das umfangreiche Aktenmaterial zu sichten. Ich bin froh, dass wir zu einem Ergebnis gekommen sind und der Ausschuss den Abschlussbericht parteiübergreifend einstimmig bei einer Enthaltung beschlossen hat“, erläutert der Vize–Chef der CDU–Fraktion Falko Haack.

So milde sprach man bei der CDU nicht immer über den Ausschuss: Die Zweifel an einer sachlichen Aufarbeitung waren massiv und die Fraktion der Christdemokraten im Kreistag hatte sich gegen die Berufung des Gremiums erfolglos gewehrt. Von einem „Populismusausschuss“ war damals die Rede und davon, es gehe ausschließlich darum, Sack, den damaligen CDU–Spitzenkandidaten zur Landtagswahl, öffentlich zu beschädigen. 

Noch bevor Erik von Malottki (SPD) 2021 in den Bundestag einzog, gab er die Initialzündung für den Kreistag, die Aufklärung der Affäre in der Kreisverwaltung nicht den Mitarbeitern derselben zu überlassen. (Foto: Stefan Sauer)

Kritisch hingegen sieht einer der Initiatoren des Ausschusses den Abschlussbericht. Erik von Malottki, inzwischen Bundestagsabgeordneter der SPD, hatte sich bei der Abstimmung über das Dokument als einziger enthalten, wie er dem Nordkurier bestätigte.

Ums Geld wird weiterhin gestritten

Schon zu Beginn der Arbeit war deutlich geworden, dass der Ausschuss in zwei Lager gespalten war. Eine Mehrheit um CDU und AfD–Vertreter sprach sich für weniger Sitzungstermine und teils auch gegen direkte Befragungen von Schlüsselpersonen im Ausschuss aus. Die Befragungen von Kreis–Mitarbeitern, die im Bericht immer wieder erwähnt werden, wurden nicht persönlich von Ausschussmitgliedern durchgeführt. Stattdessen wurde die Kreisverwaltung selbst damit betraut, gemeinsam mit den Betroffenen einen Fragenkatalog auszufüllen. Von den Schlüsselfiguren folgte lediglich Landrat Sack der Einladung zur vorletzten Sitzung. Vorgängerin Barbara Syrbe (Linke) kam nicht und verwies lediglich auf die Aktenlage. Eine Einladung an den beschuldigten Ex–Dezernenten Scheer wurde erst in der vorletzten von zwölf Sitzungen überhaupt erwogen. Auch der verwies daraufhin auf die Aktenlage und folgte der Einladung nicht. Aus den Sitzungsprotokollen geht zudem hervor, dass Ausschussmitglieder zwar Stichpunkte zum Bericht lieferten, der Abschlusstext aber zumindest in Teilen von Mitarbeitern aus Sacks Kreisverwaltung verfasst wurde.

Ausgestanden ist die Software–Affäre damit ohnehin immer noch nicht. Ein 2018 eingeleitetes Disziplinarverfahren gegen den ehemaligen Dezernenten Scheer lag im Innenministerium über Jahre auf Eis. Inzwischen wurde es „mit dem Erlass einer Disziplinarverfügung beendet. Dagegen ist fristgerecht Klage beim Verwaltungsgericht erhoben worden. Eine Gerichtsentscheidung in der Sache steht noch aus“, heißt es aus Schwerin.

Und auch der Streit um das Geld geht weiter: Die Beraterfirma Veberas hatte auf Zahlung noch offener Rechnungen geklagt. Der Kreis fordert — nach jahrelangem Zögern — einen Großteil der gezahlten Summe zurück. Erste (widersprüchliche) Urteile wurden jeweils von beiden Seiten angefochten. Eine Honorarklage liege seit 2019 beim Kammergericht Berlin zur Berufung. Für eine weitere Klage sei der Termin beim Landgericht zuletzt auf Dezember 2023 verschoben worden, hieß es auf Anfrage vonseiten des Unternehmens. Laut Abschlussbericht des Ausschusses sind dem Kreis durch die Gerichtsverfahren der Software–Affäre bislang bereits mehr als 50 000 Euro an Anwaltskosten entstanden.