Traum vom Fliegen in zweierlei Leben – Roman über Lilienthal und Zeppelin
Anklam / Lesedauer: 3 min

Zwei Männer, deren Leben unterschiedlicher nicht sein könnte, führt der Rostocker Autor Axel S. Meyer in der aktuell erschienene Romanbiografie „Der Sonne so nah“ zusammen. Denn ein großer Lebenstraum verbindet den pommerschen Kaufmannssohn Otto Lilienthal (1848-1896) und den württembergischen Adelsspross Ferdinand von Zeppelin (1838-1917). Dabei neigt sich die parallele Erzählstruktur zum Vorzug fürs hiesige Lesepublikum gefühlt mehr dem gebürtigen Anklamer zu.
Luftfahrtpionier aus der Anklamer Provinz
„Anklam war Provinz, von Sumpf und Morast umzingelte Provinz und Berlin weiter weg als der Mond“, schildert Meyer die Herkunft seines Protagonisten und skizziert dessen Kindheit in armen Verhältnissen, da den Vater die Begeisterung für die 1848er Revolution und den Alkohol zusehends die Existenzgrundlage kosten.
Welch Unterschied zum Wohlstand des Hauses Zeppelin, wo der technisch interessierte Ferdinand allerdings unumstößlichen Laufbahn-Erwartungen zu folgen hat. Sein Traum vom Fliegen muss warten, wird aber genährt durch die militärische Laufbahn, die ihn Zeuge des Einsatzes von Ballons zur „Luftaufklärung“ werden lässt. Wäre da nur nicht die Unlenkbarkeit der windabhängigen Flugobjekte!
In Anklam wollen unterdessen Otto Lilienthal und sein Bruder Gustav die Kunst der Vögel „nachbauen“. Zielstrebig folgt Otto seinem Traum über Gewerbeschule, Studium und die Gründung einer Maschinenfirma in Berlin, immer mit dem großen Ziel im Sinn.
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In emotional-bildhafter Sprache erfüllt der Autor Charaktere und Zeitläufe mit Leben, lässt es nicht fehlen an Begleitumständen wie dem Dasein der „Schlafburschen“, die sich armutshalber ein Bett teilten, oder dem Aufkommen der Homöopathie. Auch beide Ehen bekommen gebührenden, Wesenhaftes unterstützenden Raum, bei Lilienthal zudem die innige Zusammenarbeit mit seinem Bruder, die Theater-Leidenschaft (samt möglicher Liaison) sowie der Event-Charakter seiner Flugversuche bis zum tödlichen Absturz 1896.
Völlig unterschiedliche Motive der beiden Männer
Im Titel den Ikarus-Mythos aufgreifend, entwirft Meyer eine mit Bekenntnis zum fiktionalen Anteil gespickte Doppelbiografie, deren Helden zur Gegenüberstellung einladen: Lilienthal, der von ärmlicher Kindheit an zielstrebig an seinem Ziel arbeitet; Zeppelin, den seine Pflichten als Militär und Gesandter lange davon abhalten.
Das Prinzip „schwerer als Luft“ mit der Nachahmung des Vogelflugs gegenüber dem Prinzip „leichter als Luft“ mit gasbefüllten lenkbaren Luftfahrzeugen. Für beide geht es nicht nur um Überzeugung, sondern auch um das nötige Geld für die Entwicklung ihrer Projekte. Und, nicht zu vergessen, um das Motiv militärischer Zwecke bei Zeppelin im Kontrast zu Lilienthals Ideal, das Fliegen möge „der Menschheit den Frieden verschaffen“.
Magische drei Mal konstruiert der Autor zufällige Begegnungen der beiden Zeitgenossen. Im Nachwort erhellt der Rostocker, der bereits einige historische Romane sowie zuletzt „Der Mann, der die Welt ordnete“ über den schwedischen Naturforscher Carl von Linné veröffentlichte, seinen Umgang mit Historie und Fiktion. Nicht unerwähnt bleiben die mecklenburgischen Wurzeln derer von Zeppelin in der heutigen Gemeinde Zepelin bei Bützow. Ausdrückliche Würdigung erfahren zudem das Otto-Lilienthal-Museum in Anklam und die von dessen langjährigem Leiter Bernd Lukasch vor einigen Jahren herausgebrachte Biografie „Erfinderleben“ über die Lilienthal-Brüder. Meyers Buch seinerseits bietet im Zeichen der beiden großen „Luftfahrtpioniere“ ein lesenswertes Duett.
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