Infektionen in Mecklenburg-Vorpommern

▶ Warum sich die Corona-Zahlen so unterschiedlich entwickeln

Vorpommern / Lesedauer: 5 min

Vorpommern-Greifswald, Vorpommern-Rügen und die Seenplatte liegen räumlich eng beieinander. Ihre Corona-Fallzahlen sind aber sehr unterschiedlich.
Veröffentlicht:24.11.2020, 09:39
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  • Author ImagePhilipp Schulz
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Anfang Oktober war die Welt in Mecklenburg-Vorpommern noch in Ordnung. Die erste Welle war im Frühjahr größtenteils an dem nordöstlichen Bundesland vorbeigezogen, der Schulstart klappte ohne größere Probleme, die Corona-Fallzahlen gaben keinen Grund zur Sorge. Über den Sommer hatte sich die sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz als verlässliche Zahl erwiesen, nach der aktuelle Infektionsgeschehen in den Kreisen bewertet werden soll.

Dieser Inzidenz-Wert ist seit Herbst auch ausschlaggebend für die Maßnahmen, die in einem Kreis durchgeführt werden – das Ampelsystem. Der genauere Blick auf die Entwicklung der Inzidenz-Werte vor Ort gibt jedoch nicht nur Aufschluss darüber, wie die Situation in einem Kreis aussieht, sondern auch, wie die Entwicklung im Vergleich zu anderen Landkreisen abläuft. Dabei lässt sich beobachten, dass die drei östlichen Kreise Mecklenburg-Vorpommerns, die Seenplatte, Vorpommern-Rügen und Vorpommern-Greifswald, trotz ihrer direkten Nähe unterschiedliche Entwicklungen durchgemacht haben.

Ein Video, das die Quarantäne-Regeln erklärt, sehen Sie hier:

Alle Kreise entwickeln sich unterschiedlich

Als Erstes traf es die Seenplatte. Mitte Oktober war es der erste Kreis im Bundesland, der ein erhöhtes Infektionsgeschehen zeigte. Bereits Mitte Oktober, vor dem „Lockdown light“ der Bundesregierung, sah sich Seenplatten-Landrat Heiko Kärger (CDU) zum Handeln gezwungen. Er verordnete eine strengere Maskenpflicht und eine beschränkte Besucherzahl in Restaurants. Erst danach, Ende Oktober, stiegen auch die Zahlen in den beiden Landkreisen Vorpommerns. Am 28. durchstieß erst Vorpommern-Greifswald die Sieben-Tages-Inzidenz von 50 Fällen auf 100 000 Einwohner, dann, nur zwei Tage später, folgte auch Vorpommern-Rügen.

Doch die Verlaufszahlen zeigen unterschiedliche Verläufe. Während die Fallzahlen in Vorpommern-Greifswald stetig gestiegen sind und etwa ab dem 10. November ein Plateau der Inzidenz von etwa 70 gefunden haben, gab es im Nachbarkreis ein Pik. Dieses wurde zum großen Teil durch nur einen einzigen Hotspot im Landkreis, eine Fleischerei, ausgelöst. Seitdem sinken die Fallzahlen. In der Seenplatte hingegen waren sie lange auf einem geringen Niveau, steigen seit Anfang vergangener Woche wieder langsam an. Woran liegen diese verschiedenen Entwicklungen?

Ein beliebter Erklärungsversuch ist der Pendelverkehr. Vorpommern-Greifswald veröffentlicht bereits seit Ende des ersten Lockdowns ämtergenaue Zahlen. Seit Oktober zeigt sich, dass neben Greifswald und jeweils vereinzelt auftauchenden Hotspots besonders der Südkreis rund um Pasewalk und Penkun betroffen ist. Zum Vergleich: Greifswald mit seinen knapp 60 000 Einwohnern hat rund aktuell 47 aktive Fälle. Pasewalk hat 39. Aus dem Landratsamt wird als mögliche Erklärung der Pendelverkehr zwischen der südlichen Spitze des Kreises und Berlin genannt. Wie viele Menschen aktuell im Home Office sind, ist mit verlässlichen Quellen nicht zu benennen. Mit Stand Juli 2019 sind jedoch laut statistischem Landesamt 9100 Pendler aus Vorpommern-Greifswald und 8900 weitere aus der Seenplatte zum Arbeiten in andere Bundesländer gefahren. Kein Grund also, warum die Zahlen in Vorpommern höher sind als im Nachbarkeis.

Nur wer sucht, kann auch finden

Eine weitere beliebte Theorie dreht sich um Reiserückkehrer. Hierbei handelt es sich um eine Theorie, die besonders durch die Nachverfolgung belegbar ist, jedoch nicht die unterschiedlichen Ausschläge in den Kreisen erklärt: Reiserückkehrer und nicht die Touristen brachten das Virus nach den Herbstferien nach M-V. Da viele in den Sommermonaten weder reisen durften noch konnten, haben sich viele Urlaube vom Sommer in den Herbst und vom Aus- in das Inland verschoben. Nach den freien Tagen haben die Rückkehrer das Virus mit in die Kreise gebracht und bei privaten Treffen verteilt. Diese privaten Treffen und Feiern werden von offiziellen Stellen fast immer als ein Hauptgrund bei der Frage nach der Verbreitung des Virus angeführt. Menschen, die sich nicht an die Kontaktbeschränkungen halten, sind ein Problem.

Auf welche Regeln sich die Länder geeinigt haben, lesen Sie hier.

Testungen in ähnlicher Höhe

Ein Punkt, bei dem die Kreise auseinander gehen, ist die Nachverfolgung und Testung der Kontaktpersonen. Während in Vorpommern-Rügen 20 Bundeswehrsoldaten im Einsatz sind, helfen in Vorpommern-Greifswald gleich 50 Soldaten in der Nachverfolgung und den mobilen Testteams aus. Sie werden unterstützt von bis zu 129 weiteren Verwaltungsmitarbeitern, die von ihren eigentlichen Aufgaben entbunden werden, und seit Neuestem auch von Werksstudenten. Solche Zahlen kann Vorpommern-Rügen nicht vorweisen. Die Kreisverwaltung der Seenplatte spricht von bis zu 53 Mitarbeitern in der Kontaktverfolgung und sechs Mitarbeitern am Bürgertelefon. Man könnte argumentieren, dass Vorpommern-Greifswald versucht, am tiefsten zu graben und entsprechend die meisten Fallzahlen zutage fördert. Allerdings testen die Seenplatte und Vorpommern-Greifswald in ähnlicher Höhe mit im Schnitt 150 Testungen pro Tag.

Ein weiterer Punkt, der Vorpommern-Greifswald von den anderen Kreisen unterscheidet und die höheren Zahlen erklärt, ist die direkte Nachbarschaft zu Polen. Nur Vorpommern-Greifswald hat eine Grenze zu dem Nachbarland, zu dem es enge wirtschaftliche Verflechtungen gibt. Auch beim südlichen Nachbarn von Mecklenburg-Vorpommern bestätigt sich dieses Bild. In Brandenburg gibt es ein klares Gefälle, wobei im Nordwesten des Landes die wenigsten und im Südosten die meisten Fallzahlen vermeldet werden. Tatsache ist auch, dass das Polen bisher nicht transparent mit den eigenen regionalen Fallzahlen umgegangen ist. Wie hoch ein Ansteckungsrisiko für Grenzpendler ist, kann also nicht eindeutig gesagt werden.