Video-Rückblick

▶ Was bleibt von der abgebrannten Schweinezucht in Alt Tellin?

Alt Tellin / Lesedauer: 6 min

Es war die größte Brandkatastrophe dieses Jahres in Vorpommern. Der Brand in Europas ehemals größter Schweinezuchtanlage in Alt Tellin bewegt noch heute. Eine Reportage.
Veröffentlicht:30.12.2021, 05:31
Aktualisiert:30.12.2021, 15:50

Von:
Artikel teilen:

Dienstag, 30. März 2021, kurz nach 9 Uhr: „Komm schnell, die Schweinezucht in Alt Tellin brennt“. Unser Jarmener Reporter war bereits kurz nach Alarmauslösung an Ort und Stelle. Sofort machten auch wir uns aus Greifswald und Demmin auf den Weg, um als Team zu agieren.

Und mit jedem Kilometer wurde die Gewissheit größer: Die Schweinezuchtanlage in Alt Tellin steht tatsächlich großflächig in Flammen.
Die Hoffnung auf ein kleines Feuer, das hoffentlich schnell gebannt werden könnte, schwand mit jedem Blick in Richtung Fahrziel. Denn kilometerbreit zogen große schwarze Wolken am Himmel entlang, reichten bereits bis zur Autobahn.

Video-Reportage in Alt Tellin (11:17 Min):

Sollte tatsächlich geschehen, wovor Kritiker von Europas größter Ferkelfabrik gewarnt hatten? Immer wieder bezweifelten und mahnten sie öffentlich, ob der Brandschutz in dieser Form der Massentierhaltung überhaupt gewährleistet werden kann. Sie vertraten von Anfang an die Auffassung, dass sich bei so einer riesigen Anzahl von Tieren, wohl über 55 000 Sauen und Ferkel standen am Tag des Großbrandes in den Ställen, diese nicht schnell genug retten lassen.

Alle diese Gedanken schossen auf dem Weg zum Einsatz durch den Kopf, denn von der Planung der Anlage über den Bau bis hin zur Inbetriebnahme beschäftigte uns Nordkurier-Reporter der Zuchtbetrieb bereits rund eineinhalb Jahrzehnte. Wir berichteten von zahlreichen Versammlungen, Protestaktionen, Gerichtsprozessen. Und nun wurde das umstrittene Objekt tatsächlich innerhalb weniger Stunden von Flammen und Hitze zerstört.

Unfassbare Tragödie

Es waren nicht die ersten brennenden Gebäude, vor denen wir standen. Doch es war das erste Mal, dass wir Tausende von Flammen, Hitze und Qualm bedrohte Tiere sahen und vor allem schreien hörten. Verwirrt, orientierungslos wussten die Schweine die Rufe der Feuerwehrleute, die bemüht waren, sie aus den Flammen und dem dicken Qualm zu treiben, oft nicht für sich zu nutzen.

Viele Tiere liefen sogar kurz aus den Ställen heraus, um dann angesichts der ungewohnten Freiheit und Lichtverhältnisse wieder umzukehren – zurück mitten ins Inferno. Vor unseren Augen spielte sich eine unfassbare Tragödie ab.

„Das ist eine Katastrophe, das kann doch nicht wahr sein. Das gibt es doch gar nicht.“ Die Reaktionen von Anwohnern aus den Gemeinden Daberkow und Alt Tellin waren ganz unterschiedlich und doch in ihrer Fassungslosigkeit ähnlich. Unter Tränen ließen einige ihrer Aufregung freien Lauf. Manche schrien das Personal um Hilfe für die Vierbeiner an, andere schauten schweigend zu.

Vor allem die Bewohner von Neu Plötz, deren zur Stadt Jarmen gehörendes Dorf unmittelbar an die Anlage grenzt, mussten wegen der Windrichtung für Stunden um ihre Anwesen bangen. Viele standen vor ihren Türen, die Blicke in Richtung Schweinezucht gerichtet. Von dort schob sich die dicke, ständig wachsende Rauchwolke wie ein waagerecht verlaufender Tornado-Rüssel über die Köpfe. Ruß und verkohltes Dämmmaterial aus Kunststoff regneten über der Umgebung nieder.

70 Feuerwehrleute gegen das Riesenfeuer

Zeitgleich stellten sich am Unglückszentrum, dem Tierkomplex mit seinen insgesamt sechs einzelnen und teils unterschiedlich großen Stallanlagen, etwa 70 Kameraden und Kameradinnen der Freiwilligen Feuerwehren aus dem Amtsbereich Jarmen-Tutow einem ziemlich aussichtslosen Kampf.

Der von außen als eine Einheit erscheinende Bau erstreckte sich immerhin über mehr als 4,5 Hektar Fläche. Ein tieferes Vordringen von Angriffstrupps ins Innere wurde angesichts dieser Ausmaße verworfen, ein Löschen erschien maximal an den Randbereichen möglich. Zumindest gelang es trotz der ungünstigen Windrichtung, ein Übergreifen der Flammen auf die Futtermischanlage und die große Biogas-Anlage zu verhindern.

Weil die Zwischenwände nirgends dem Feuer standhielten beziehungsweise übersprungen wurden, fraß sich im Stallkomplex der Brand derweil trotz aller Sperrversuche der Wehren im Uhrzeigersinn Abschnitt für Abschnitt vor. Als dies der Einsatzleitung so richtig klar wurde, war es für die Rettung der meisten Schweine zu spät.
Nur aus den zum Schluss von diesem unaufhaltsam wirkenden Uhrwerk des Todes erreichten Abteilungen konnten rund 1300 Tiere gerettet werden. Die dann zwischen Außenzaun, Feuerwehrleuten und rauchenden Ruinen umherstreiften.

Jede Menge Fragen, Kritik und Proteste nach der Katastrophe

Die einen verteidigen es mit Verweis auf die Ausmaße der Katastrophe, die anderen sprechen von einer Fortsetzung der Vertuschungen und Hinhaltetaktik: Auch ein Dreivierteljahr nach dem Brand bei der Schweinezucht Alt Tellin fehlen offizielle Aussagen zur Ursache. Zwischenzeitlich wurden zwar eine Ermittlungskommission gegründet und mehrere Gutachter bemüht, doch die Verkündung von Ergebnissen wurde immer wieder verschoben, zuletzt auf Anfang 2022.

Die Betreiberfirma wiederum berief sich nach Fragen zur Zukunft des Standortes immer darauf, die Untersuchung abwarten zu müssen. Ähnlich argumentierte die Landespolitik. Wobei beide mehrmals andeuteten, den Stallkomplex in alter Größe nicht wieder aufbauen beziehungsweise das nicht zulassen zu wollen. Stattdessen rückte neben so manch anderem Politiker auch Langzeit-Agrarminister Till Backhaus (SPD) zu einem Lokaltermin an. Bei dem er für eine neue Generation digitalisierter Ställe warb.

Gleichzeitig nicht müde werdend, eine eigene Verantwortung für die Ansiedlung der Ferkelfabrik am Tollensetal zu verneinen, obwohl die ihm unterstellte Landgesellschaft und Behörden tatkräftig mithalfen, den Bau zu ermöglichen.

Protest nahe der Brandruine

Von daher gehörte der Mann neben der Bundespolitik zur „Lieblings-Zielscheibe“ des Protestes gegen diese Art der Tierhaltung. Der durch das flammende Fanal vom 30. März auch vor Ort wieder jede Menge Nahrung erhielt und deutschlandweit Beachtung fand.

Die von Anbeginn existierende Montagsinspektion an der Betriebszufahrt wandelte sich zur Mahnwache – nun zu einer für die Zehntausenden toten Tiere. Die bisher meisten Leute versammelten sich dort am 28. August zu einem Aktionstag, Höhepunkt war ein aus Hunderten Menschen gebildetes Protest-“X“ gegenüber der Brandruine.

Kritik erntete auch der Landkreis Vorpommern-Greifswald. Zum einen als in das Genehmigungsverfahren involvierte Behörde, zum anderen für seine (Nicht)-Reaktionen im Verlauf des Brandgeschehens und danach. Das betraf die Warnung der Bevölkerung ebenso wie die Untersuchung von Luft, Wasser undBöden auf Schadstoffe. Später folgte ein Gutachten, das zumindest für Letzteres Entwarnung signalisierte, Kritikern aber bei Weitem nicht ausreichte.

Mehr lesen: ▶ Kerzen beleuchten Schweine-Gedenkstätte für Alt Tellin