Naturreporter Vorpommern
Wieso Kraniche von Zugvögel zu Überwinterern wurden
Vorpommern / Lesedauer: 4 min

Norbert Warmbier
Heute ist es ein selbstverständlicher Anblick, wenn Dutzende Kraniche kaum einen Steinwurf entfernt neben den vorpommerschen Straßen stehen. Hier auf den Feldern wie an den Bundesstraßen 110 zwischen Murchin und Pinnow und 109 zwischen Pasewalk und Ferdinandshof scheuen sie auch nicht den unmittelbaren Sichtkontakt mit den Autofahrern bei der Nahrungssuche.
Es dürfte im Großkreis Vorpommern–Greifswald auch kaum noch ein Dorf geben, wo man nicht von den morgendlichen Rufen der grauen Riesen geweckt wird. Noch vor 60 Jahren waren die Kraniche in Vorpommern sehr selten und extrem scheue Sumpfvögel.

Auf einer Kreisstraße zwischen Lüskow und Alt Teterin hielt ich kurz an, um dann auch hier einige Fotos aus 15 Meter Entfernung zu machen. Nun dachte ich, die Langbeiner nehmen kurz Anlauf und steigen in die Höhe. Auch hier weit gefehlt: Die Nahrungssuche wurde im Spazierschritt auf dem abgeernteten Maisacker fortgeführt.
Kulturlandschaft birgt viele Gefahren
Noch zu DDR–Zeiten mieden Kraniche den Überflug von größeren Städten. Heute ist es ein alltägliches Bild, dass Kraniche die Hansestadt Anklam und die Haffstadt Ueckermünde im März und April überfliegen. Selbst im Trubel der Markttage hört man die recht lauten, trompetenähnlichen Rufe der manchmal in Truppstärken von bis zu 70 Exemplaren in kaum 80 Meter Höhe über die Händler fliegen. Der Grund: Feldfrüchte sind bedeutend energiereicher als vegetarische Nahrung aus Mooren, und so wurde der einstige Zugvogel in den letzten Jahren zum Überwinterer zwischen Peenemünde, Strasburg und Penkuner Seenplatte.

Die Kulturlandschaft hat nicht nur Vorteile, sondern birgt auch viele Gefahren. Bei Anklam war ich selbst Zeuge zweier böser Unfälle. So flog ein Kranich in eine Hochspannungsleitung beim allabendlichen Einflug zur Übernachtung in die Renaturierungsflächen und riss sich den Kopf und einen Flügel ab. Ein anderer flog ebenfalls in eine Hochspannungsleitung. Hier hing er bereits zwei Tage nach Aussage des Landwirts, der dachte, der Kranich wäre tot.
Amputierter Vogel floh aus der Notunterkunft
Doch dann geschah etwas, womit keiner mehr gerechnet hatte. Ich erhielt diese Information und fuhr sofort zum Unglücksort, um mir einen Überblick über den tödlichen Unfall zu machen. Eigentlich war es windstill, doch plötzlich bewegte der Unglücksvogel einen Flügel. Erstaunlich für die Betrachter, denn der Verunglückte lebte noch. Der Energiebetreiber E.ON legte die Stromleitung still. Dann rückten Spezialfahrzeuge aus Stralsund an. Die Rettungsaktion war erfolgreich.

Sofort fuhr ich den Wüterich zum Tierarzt, denn Dank war dem Vogel fremd. Mit seinem spitzen Schnabel versuchte er ins Gesicht zu hacken. Selbst die Hände hatten Bissstellen. Leider konnte der Flügel nicht erhalten werden. So wurde er amputiert. Die Tierärztin spritzte Aufbaupräparate und gab mir ein Stärkungsmittel mit, welches ich ins Futter mischte. Eigentlich sollte der mit einem schweren Handicap belastete Langbeiner in den Greifswalder Tierpark gebracht werden. Doch er entwich kurze Zeit später aus seiner Notunterkunft. Hier überflatterte er die Umzäung und meine Nachbarin sah wie der Flüchtling ins Peenetalmoor stürmte. Vielleicht lebt er dort heute noch in den Renaturierungsflächen.
Windräder stören beim Anflug auf Futterplätze
Leider sind in den letzten Jahren durch die Klimaerwärmung viele Brutplätze verwaist. Alleine in unserem Großkreis sind hunderte Feld– und Waldtümpel ausgetrocknet und damit nicht mehr als Lebensraum von Bedeutung. Weitere störende Elemente sind die Windräder, die die Kraniche beim Anflug auf die Futterplätze erschlagen.

Kraniche erfreuen mit ihren trompetenartigen Rufen uns Menschen und gelten für viele als Vögel des Glücks. Wahrscheinlich brüten heute in Deutschland 12.000 Paare. In unserem Bundesland MV sind es 5200 Brutpaare. Vor 50 Jahren brüteten in der DDR nur 300 Kranichpaare. Heute nisten allein im Großkreis Vorpommern–Greifswald wohl um die 520 Brutpaare.

Doch neuerdings sind so manche Landwirte nicht gut auf die Kraniche zu sprechen, denn es darf nicht verschwiegen werden, dass ein frisch bestellter Acker mit Mais– und Getreidekörnern eine günstige Nahrungsquelle für diese gefiederten Vegetarier darstellen. Auch die Nichtbrüterbestände, die dann plündernd auf den Feldern einfallen, haben in den letzten Jahren mit einigen hundert Exemplaren zugenommen, so im Ducherower Land, um Demmin und der Friedländer Großen Wiese.
Wer Adler, Kraniche und Silberreiher, aber auch dem wundervollen Klang der Umwelt lauschen und dabei Stress abbauen möchte, kann bei einer Naturwanderung richtig Kraft tanken. Anmeldung unter 0151 56074311.