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Haushaltssperre

Worauf muss Vorpommern jetzt verzichten, Herr Finanzchef?

Greifswald / Lesedauer: 5 min

Verteuerte Jugendhilfe, zunehmende Asylbewerberzahlen, gestiegene Energie- und Personalkosten: Vize-Landrat Dietger Wille sprach mit unserem Reporter über den gesperrten Haushalt.
Veröffentlicht:10.09.2023, 06:41

Von:
  • Ralph Sommer
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Nicht vorhersehbare Kostensteigerungen haben den ohnehin klammen Landkreis Vorpommern-Greifswald im auslaufenden Doppelhaushalt-Zeitraum in die finanzielle Krise gerissen. Nach der vom Landrat verhängten Haushaltssperre sucht sein Finanzdezernent Dietger Wille (CDU) nun das Gespräch mit dem Land. Der Nordkurier sprach mit ihm über mögliche Folgen und Lösungen.

Herr Wille, die letzte Haushaltssperre im Landkreis liegt fünf Jahre zurück. Was waren die Beweggründe dafür, jetzt wieder die Reißleine zu ziehen und eine Haushaltssperre zu verhängen?

Wir befinden uns im zweiten Jahr des Doppelhaushalts, den der Kreistag noch Ende 2021 beschlossen hatte — zu einer Zeit, als wir zwar noch mit den Folgen von Corona kämpften, aber nicht absehbar war, welche enormen finanziellen Herausforderungen durch den Ukraine–Krieg noch auf uns zukommen werden. Wir haben es mit massiven Preissteigerungen, Lohnsteigerungen und gewaltigen Problemen durch die Flüchtlingswelle zu tun. Das alles hatte zur Folge, dass wir mit über 23 Millionen Euro negativ vom Plan abgewichen sind. Dem standen aber nur 11 Millionen Euro positive Zahlen gegenüber, zum Beispiel durch die Kreisumlage und durch Schlüsselzuweisungen durch das Land. Unter dem Strich fehlen aktuell 12,9 Millionen Euro.

Welche Bereiche schlagen denn besonders außerplanmäßig zu Buche?

Von diesen 23 Millionen Euro negativen Planabweichungen entfallen etwa 16 bis 17 Millionen Euro auf Personalkosten. Diese Personalkosten schlagen letztendlich als höhere Sachkosten durch, vor allem im Jugendbereich — von den Hilfen zur Erziehung, bis zur Heimunterbringung, Kita–Förderung oder Schülerbeförderung.

Aber mit diesen Problemen haben doch auch die anderen Landkreise zu kämpfen. Trotzdem mussten die bislang nicht die Bremse ziehen. Warum also Sie?

Anders als die anderen Kreise müssen wir uns seit Jahren mit enormen Altschulden herumschlagen. Damit wir da herauskommen, überweist uns das Land jährlich neun Millionen Euro Konsolidierungshilfen, aber nur wenn wir jedes Jahr einen positiven Saldo von drei Millionen Euro erreichen. Das müssen wir auch in diesem Jahr auf Teufel komm raus schaffen. Rücklagen, mit denen man wie die anderen Landkreise auf Kostensteigerungen reagieren könnte, haben wir nicht.

Wo muss denn nun gespart werden?

Sparen müssen wir in allen Bereichen außer bei den Auszahlungen, zu denen der Kreis rechtlich verpflichtet ist, wie bei der Sozialhilfe oder beim laufenden Dienstbetrieb. Vieles muss jetzt auf den Prüfstand. Schulungsmaßnahmen von Mitarbeitern oder Dienstreisen könnten gestrichen werden, wenn man das auch noch im März machen kann. Auch Straßensanierungen kann es treffen, wenn die Straße noch ein halbes Jahr länger hält, ebenso wie bei der Gebäudeerhaltung. Auch bestimmte Förderprojekte, bei denen wir einen Eigenanteil tragen müssen, könnten vorerst entfallen. Abwägen und entscheiden muss das aber letztendlich immer der Kreistag.

Und wie geht es nun weiter? Wie lange gilt die Haushaltssperre?

Das ist nicht befristet. Am Ende muss eine Aufhebung der Sperre auch wieder der Kreistag entscheiden. Wir werden Ende September noch einmal eine Prognose vorlegen. Dann wird der Kreistag ja auch über den neuen Doppelhaushalt 2024/25 diskutieren, der dann im November beschlossen werden könnte. Wir planen auch drei Bürgermeisterkonferenzen. Es ist ja nicht so, dass wir die drei Millionen Euro Konsolidierung nicht schaffen. Aber wenn sich abzeichnet, dass wir das nicht schaffen, dann müssen wir die Kreisumlage erhöhen.

Die liegt aktuell bei 46,5 Prozent. Was glauben Sie, auf welche Erhöhung müsste man sich einstellen?

Wenn es beim aktuellen Prognosestand so bleibt, dann glauben wir, dass die Kreisumlage noch in diesem Jahr um zwei Prozent auf 48,5 Prozent erhöhen werden muss.

Sie sind auf dem Weg zum Innenministerium, wo Sie den Haushaltsstand und die aktuellen Entwicklungen erläutern müssen. Welche Erwartungen haben Sie an das Land?

Wir haben viele Positionen, an denen mit Unterstützung des Landes noch die Stellschrauben gedreht werden könnten.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel werden ja die Asylkosten zu 100 Prozent vom Land übernommen. Eigentlich haben wir als Kreis da gar kein finanzielles Problem, gäbe es da nicht den Zahlungsmodus. Demnach schicken wir dem Land eine Abrechnung und bekommen anschließend einen entsprechenden monatlichen Abschlag, der aber auf den Daten des letzten Jahres basiert. Das sind im Moment etwas mehr als 1,1 Millionen Euro. Aber wir haben ja deutlich mehr Asylbewerber als im vergangenen Jahr. Die Kosten liegen aktuell bei fast 1,4 Millionen Euro pro Monat. Wir müssen also monatliche Mehrkosten von über 300.000 Euro vorfinanzieren — Kosten, die wir erst im kommenden Jahr zurückbekommen werden. Hier zum Beispiel könnte uns das Land helfen, indem es den Abschlag erhöht oder früher zahlt.

Wie groß ist die Chance dafür?

Ich bin da eher zuversichtlich. Denn wir hatten im November 2022 auch sehr negative Haushalts–Aussichten. Daraufhin hatte es damals Spitzengespräche in Schwerin gegeben, in denen das Land uns auch wirklich sehr entgegengekommen ist. Man hat uns da zwar nichts geschenkt. Aber man hat uns durch schnellere Abschlagszahlungen mehr Spielraum eingeräumt. Und ich habe die Hoffnung und Erwartung, dass man uns auch jetzt nicht hängen lässt.