Ermittlungserfolge bei Drogen überlasten Gericht
Rostock / Lesedauer: 5 min

Knapp 1.300 Kilogramm Cannabis, über 1.500 Kilogramm synthetische Drogen, fünf Labore zur Herstellung von Rauschgift und Vermögen im Wert von über 1,8 Millionen Euro: Was deutsche Drogen-Ermittler bundesweit in jüngster Vergangenheit beschlagnahmt haben, lässt aufhorchen. Ein Ende der Ermittlungserfolge ist nicht abzusehen, im Gegenteil. Dabei hat etwa das Landgericht Rostock jetzt schon Probleme wegen zu vieler Drogen-Prozesse.
„Deutliche Zunahme von Verfahren”
Deshalb sind dort bereits außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen worden. Wie eine Sprecherin auf Nordkurier-Anfrage mitteilt, hat es in der jüngeren Vergangenheit „eine deutliche Zunahme von Verfahren” gegeben. Diese Zunahme hängt mit vermeintlich abhörsicheren Handys zusammen, die einige Zeit bei Drogendealern beliebt waren.
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Französischen Ermittlern war es 2020 gelungen, verschlüsselte Chats des Anbieters „Encrochat” zu infiltrieren und dadurch massenhaft Beweise für illegale Drogengeschäfte zu sammeln. Die gewonnenen Informationen wurden auch mit Polizei und Staatsanwaltschaften in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg geteilt. „Dadurch kam es in zeitlicher Dichte zu einer Vielzahl von Anklagen, bei denen sich die Angeklagten in Untersuchungshaft befanden”, heißt es vom Landgericht Rostock.
Da die mögliche Dauer einer Untersuchungshaft begrenzt ist und damit eine zügige Einleitung von Strafverfahren nötig macht, hat das Rostocker Landgericht mit der Einrichtung einer sogenannten Hilfsstrafkammer – „um die Verfahren in der gebotenen Zeit verhandeln zu können” – reagiert, erläutert die Gerichtssprecherin.
Anklage: Knapp 170 Kilo Marihuana verkauft
Demnach ist es vor dieser Hilfsstrafkammer zu vier Verfahren gekommen, bei denen Beschuldigte in Untersuchungshaft sitzen. „Ein Verfahren ist jüngst durch ein Urteil beendet worden, das zweite läuft aktuell, das dritte ist für November vorgesehen und das vierte folgt danach”, teilt die Gerichtssprecherin zum aktuellen Stand mit. Bei dem laufenden Verfahren wird ein 28-Jähriger beschuldigt, unter anderem 169 Kilogramm Marihuana, mehr als einem Kilogramm Haschisch und einem Kilo Amphetamin verkauft zu haben.
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Am Landgericht Neubrandenburg läuft bereits seit September 2021 ein Prozess, der sich ebenfalls auf die polizeiliche Auswertung von „Encrochat”-Daten stützt. Vier Angeklagten aus der Seenplatte und Schwerin im Alter von 40, 50, 60 und 60 Jahren wird vorgeworfen, bis zu 7,7 Kilogramm Kokain und weiteres Rauschgift in präparierten Autos aus den Niederlanden geholt und damit gehandelt zu haben. Sie waren im November 2020 bei einer LKA-Razzia gefasst worden, bei der auch Kokain und große Mengen Bargeld beschlagnahmt wurden.
FBI brachte eigenes vermeintlich abhörsicheres Handy in Umlauf
Ein Ende des Prozesses ist nicht absehbar. Der Verteidiger der sogenannten Kokain-Bande bestreitet, dass Ermittler über seine Mandanten Erkenntnisse aus den „Encrochat”-Daten erhalten haben.
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Absehbar ist, dass künftig unzählige weitere Drogenprozesse an deutschen Gerichten verhandelt werden müssen. Ausgangspunkt dafür sind ebenfalls vermeintlich abhörsichere Telefone. Aktuelle Ermittlungen in Brandenburg legen nahe: Als klar wurde, dass die Polizei bei „Encrochat” mitliest, haben sich Kriminelle nach Alternativen für verschlüsselte Kommunikation umgeschaut und sind dabei in eine Falle der US-Bundespolizei FBI getappt.
Medienberichten zufolge haben FBI-Ermittler nicht wie die französischen Kollegen versucht, Kryptohandys zu knacken, sondern selbst ein eigenes Produkt namens „Anom” in der Unterwelt in Umlauf gebracht. Mit überwältigendem internationalen Erfolg.
Drogenlagerhalle mit 115 Kilogramm Marihuana dank „Anom” entdeckt
Wie etwa das Bundeskriminalamt (BKA) im Juli mitteilte, hat es „Daten zu rund 2700 Nutzern mit Deutschlandbezug des Kryptohandy-Anbieters 'Anom' " erhalten. Auf deren Basis sind den Angaben zufolge bereits "über 280 Ermittlungsverfahren eingeleitet und über 130 bereits bestehende Ermittlungsverfahren” mithilfe der erhaltenen Informationen unterstützt worden.
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In Brandenburg sind dadurch „bislang insgesamt vier ehemalige Nutzer der Plattform 'Anom' identifiziert worden”, heißt es aus dem Landespolizeipräsidium auf Nordkurier-Anfrage. Zu ihnen zählt ein Mann aus Bernau. „Durch Auswertung von 'Anom'-Daten” war es Beamten im vergangenen Jahr gelungen, eine Lagerhalle ausfindig zu machen, die von Lkws mit Drogen beliefert wurde.
115 Kilogramm Marihuana konnten den Angaben zufolge bei Durchsuchungen im vergangenen Jahr sichergestellt werden. Der Mann aus Bernau und ein Komplize sind demnach bereits durch das Landgericht Frankfurt Oder zu jeweils 4 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt worden.
Weitere Drogenverfahren bahnen sich an
Bei den drei weiteren ehemaligen „Anom”-Nutzern handelt es sich „um bereits im Zusammenhang mit dem Kryptodienstanbieter 'Encrochat' identifizierte Tatverdächtige im Bereich der organisierten Rauschgiftkriminalität”, teilt eine Polizeisprecherin mit. Einer davon ist „bereits durch das Landgericht Cottbus zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 8 Jahren verurteilt” worden, so die Sprecherin weiter.
Ermittlungen in den beiden anderen Fällen sind demnach noch nicht abgeschlossen. Weitere Verfahren sind offenbar schon abzusehen: „Die Auswertung der Daten zur Identifizierung weiterer Tatverdächtiger dauert an”, heißt es.
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Mit Blick auf die vom BKA benannten hunderten Verfahren ist anzunehmen, dass auch Kriminalbeamte in Mecklenburg-Vorpommern Drogendealern dank „Anom” auf die Schliche kommen werden. Allerdings „wurden bisher keine Ermittlungen im Zusammenhang mit Kryptohandys des Anbieters Anom geführt”, teilt eine Sprecherin des Landeskriminalamtes mit. Für die Brandenburger Polizei steht jedenfalls schon fest: die Informationen von „Encrochat” und „Anom” stellten „einen Schatz in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität” dar.