Besondere Inszenierung

Ex-Gefangene singen in früherem Zuchthaus

Cottbus / Lesedauer: 3 min

Gesang war im DDR-Gefängnis in Cottbus verboten. Jetzt dürfen ehemalige Häftlinge genau das tun im Gefangenenchor von Beethovens Oper „Fidelio“ des Staatstheaters. Doch wie ist es für sie, dort aufzutreten, wo sie früher in engen Zellen eingesperrt waren?
Veröffentlicht:19.06.2014, 19:50
Aktualisiert:05.01.2022, 15:11

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Als politischer Häftling der DDR arbeitete Gilbert Furian im Akkord. Wenn er mit dem stundenlangen Drehen, Fräsen und Stanzen fertig war, kaufte er sich von dem wenigen Geld, das er verdiente, am Gefängnis-Kiosk mal Kekse oder hin und wieder eine Fischbüchse. Es war eine Zeit im Zuchthaus Cottbus, in der er ganz unten war. „Ich musste mich gefühlsmäßig tot stellen, um das durchzustehen“, beschreibt er. Furian, der heute südlich von Berlin lebt, ist viele Jahre danach zurückgekommen – zum Singen. Das Staatstheater Cottbus bringt Ludwig van Beethovens (1770-1827) Oper „Fidelio“ 25 Jahre nach dem Mauerfall auf dem ehemaligen Gefängnisgelände auf die Bühne. Ex-Häftlinge, die heute in ganz Deutschland leben, wirken im Gefangenenchor mit. Dort, wo singen einst verboten war.

Furians damaliger Gefängniserzieher ist zu einer der letzten Proben vor der Premiere am 28. Juni gekommen. Heinz Lehmann sitzt auf der Besuchertribüne – ein Lächeln huscht über seine Lippen, als er den 69-Jährigen unter den Sängern entdeckt. Im Hintergrund ragen die Backsteinmauern eines Gefängnistrakts hervor.

Gespräch mit dem früheren Gefängniserzieher

Gemeinsam gehen sie an diesem Tag durch den ehemaligen Zellentrakt, der seit 2011 Teil einer Gedenkstätte ist. In einer rekonstruierten Zelle bleiben sie stehen und sprechen über die alte Zeit. Der Moment ist bedrückend.

Lehmann war nach eigenen Angaben unter anderem dafür zuständig, Furians Post zu lesen. Er entschied, ob der Gefangene Briefe oder Pakete bekommen durfte, und war bei Besuchen dabei. Trotz solcher Machtverhältnisse halten beide bis heute Kontakt. „Ich dachte damals: Das ist jemand, der respektiert einen. Er unterschied sich von dem anderen Wachpersonal“, erinnert sich Furian. Einmal habe er ihm sogar eine Tina-Turner-Platte mit einem Plattenspieler in die Hand gedrückt.

Furian kam nach eigenen Angaben in den 1980er Jahren ins Gefängnis, weil er Interviews mit Punks in Ost-Berlin geführt hatte, die dann in den Westen gelangen sollten. Am Zoll flog alles auf. Furian kam ins Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen und nach seiner Verurteilung nach Cottbus, wie er berichtet. Im Zuchthaus verbüßten besonders viele politische Häftlinge ihre Strafe. Zwischen 1945 und 1989 saßen hier insgesamt rund 20 000 Häftlinge ein, wie das Menschenrechtszentrum Cottbus ermittelt hatte. Der Verein wurde 2007 von früheren politischen Gefangenen gegründet. Mit öffentlicher Hilfe und privaten Spenden kauften sie das 22 000 Quadratmeter große Gelände mitten in der Stadt und wandelten es in eine Gedenkstätte um.

Vorstellungen an sieben Abenden geplant

An sieben Abenden spielt ein großes Ensemble aus rund 300 Mitwirkenden Beethovens Werk, das vor 200 Jahren uraufgeführt wurde und als Freiheitsoper gilt. Darin geht es um eine Frau, die alles dafür tut, um ihren Mann aus dem Gefängnis zu befreien. „Mit Respekt“ sei der Intendant des Cottbuser Staatstheaters, Martin Schüler, an die Aufgabe herangegangen. „Ich sehe hier ein Gefängnis, wie es verlassen wurde – es ist ein gespenstischer Bau.“ Sehr naturalistisch könne er hier arbeiten: „Keine Pappe, nichts, was man sich ausdenken muss.“

Die Idee, hier eine Oper aufzuführen, kam vom Menschenrechtszentrum. Die geschäftsführende Vorsitzende, Sylvia Wähling, sagt: „Die Oper ist ein Medium, um unsere Botschaft zu vermitteln. Es geht um Freiheit, Menschenrechte und um Solidarität füreinander.“