StartseiteRegionalBrandenburgImpfung, Lockdown, Maskenpflicht – schwierige Aufarbeitung der Corona-Jahre

Untersuchungsausschuss

Impfung, Lockdown, Maskenpflicht – schwierige Aufarbeitung der Corona-Jahre

Potsdam / Lesedauer: 5 min

Auf Drängen der AfD gibt es in Brandenburg zwei Untersuchungsausschüsse zu Corona. Der erste stellte nun seinen Abschlussbericht vor – der auf massive Kritik stieß.
Veröffentlicht:20.10.2023, 18:24

Von:
  • Benjamin Lassiwe
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Es waren 21 Sitzungen von insgesamt 81 Stunden Dauer. Es gab 4088 Seiten Protokoll und 119 Beweisanträge. Und den Steuerzahler kostete alles zusammen rund 2,5 Millionen Euro. Das sind die Eckdaten des Corona-Untersuchungsausschusses 7/1 des Brandenburger Landtags.

Das Gremium hatte auf Antrag der AfD im September 2020 seine Arbeit aufgenommen, um die Maßnahmen der Landesregierung während der Pandemie zu untersuchen. Am Donnerstag legte es dem Landtag seinen Abschlussbericht vor. „Der Ausschuss sollte aufklären, was richtig lief und was verbesserungsbedürftig war“, sagte der Vorsitzende Daniel Keller (SPD). Er leitete das Gremium, denn die größte Fraktion des Landtags erhält laut Untersuchungsausschussgesetz immer den Vorsitz des ersten Untersuchungsausschusses einer Legislaturperiode.

War SPD-Ausschusschef Keller parteiisch?

Über die Arbeit Kellers allerdings gab es im Parlament gespaltene Ansichten: Während sich das Regierungslager bei ihm bedankte, warfen ihm Redner der Opposition eine „parteiische“ oder „nicht immer unparteiliche“ Sitzungsleitung vor.

Ein ähnliches Bild ergab sich bei den Ergebnissen des Ausschusses. Die Koalition stand fest hinter der Landesregierung, die Opposition übte Kritik. „Anlass zu massiver Kritik geben die Untersuchungen nicht“, befand Keller. „Die Landesregierung hat im Wesentlichen in angemessener Weise auf die noch unbekannten Herausforderungen einer weltweiten Pandemie reagiert.“

Prominente Zeugen mussten nicht aussagen

Gleichzeitig habe sich der Untersuchungsausschuss nur als „bedingt taugliches Instrument“ erwiesen: „Es ist nicht Aufgabe eines Untersuchungsausschusses in Brandenburg, wissenschaftliche Bewertungen und Studien einer politischen Bewertung zuzuführen“, so Keller. Als Beleg führte er das Landesverfassungsgericht an: Es hatte geurteilt, dass Prominente wie der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn oder die frühere Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) nicht vor dem Ausschuss aussagen mussten. Deutlicher wurde noch der SPD-Obmann im Ausschuss, der Abgeordnete Björn Lüttmann: Der Ausschuss sei 2020 nur entstanden, weil die AfD ein Thema gebraucht habe. „Mit der Instrumentalisierung der Pandemie hat sich die AfD 2020 wieder zurück ins politische Spiel gebracht“, behauptete er. Insgesamt sei das Gremium der „überflüssigste Untersuchungsausschuss in der Geschichte Brandenburgs“ gewesen.

Ganz anders äußerten sich die Redner der Opposition, allen voran jene der AfD: „Die Landesregierung verfügte über keine belastbare Datengrundlage für ihre Maßnahmen“, sagte der Abgeordnete Lars Hünich (AfD). „Sie bemühte sich auch nicht darum.“ Sie habe keine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, „anscheinend war das nicht gewollt.“ Die Landesregierung habe ausschließlich auf Bundesbehörden und ihre Studienergebnisse gesetzt. „Oder, wie es die frühere Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) in ihrer Vernehmung formulierte: Sie waren handlungsleitend.“

Strafanzeige gegen Ministerpräsident Woidke

Scharfe Kritik übte Hünich auch am Brandenburger Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD): Seine Aussage, dass die „Bilder von Bergamo“ für den ersten Lockdown entscheidend gewesen seien, sei schon der zeitlichen Abfolge nach falsch gewesen. „Entscheidend war der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz 2020“, sagte Hünich. Woidkes Zeugenaussage im Ausschuss sei deswegen weder vollständig noch wahrheitsgemäß gewesen. Die AfD habe ihn bereits im Frühjahr wegen „unendlicher Falschaussage“ angezeigt. Die Staatsanwaltschaft habe aber keine Ermittlungen aufgenommen, räumte Hünich auf Nachfrage dieser Zeitung ein. Eine Beschwerde der AfD dagegen laufe noch.

Kinder und Jugendliche unverhältnismäßig belastet

Christine Wernicke aus der Uckermark sitzt für die Fraktion BVB/Freie Wähler im Potsdamer Landtag. (Foto: Kai Horstmann/Archiv)

Detaillierter als die AfD widmete sich indes die Rednerin der Freien Wähler, die Uckermärker Abgeordnete Christine Wernicke, den Ergebnissen des Ausschusses. Ihre Fraktion habe in der Pandemie eine ganze Reihe von Maßnahmen unterstützt: „Es war richtig, dass Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, und vor den Gefahren der Pandemie gewarnt wurde“, sagte Wernicke. „BVB/Freie Wähler hat an vielen Stellen zugestimmt, wo legitime Ziele wie die Sicherstellung des Gesundheitssystems betroffen waren.“

Doch der Abschlussbericht des Ausschusses stelle der Landesregierung einen „Persilschein“ aus. „Wir kritisieren, dass das Parlament oft nicht unterrichtet wurde“, sagte Wernicke. „Wir kritisieren, dass vor dem Lockdown Mitte März 2020 keine Abwägung des Einsatzes moderater Mittel vorgenommen wurde.“ Einige Maßnahmen der Landesregierung seien unverhältnismäßig gewesen, etwa das Verbot jedweder Betätigung im öffentlichen Raum. „Die Testcenter hätten aufrechterhalten werden müssen, um rechtzeitig einen Wiederanstieg der Infektionen zu erkennen“, sagte Wernicke.

„Im Untersuchungsausschuss wurde auch deutlich, dass es im gesamten Untersuchungszeitraum zu übermäßigen und unverhältnismäßigen Belastungen von Kindern und Jugendlichen gekommen ist.“ Negative Spätfolgen und Kindeswohlgefährdungen seien von der Landesregierung in Kauf genommen worden. Auch die häusliche Gewalt sei in der Pandemie gestiegen.

Viele Entscheidungen ohne das Parlament

Weniger Kritikpunkte meldete der Abgeordnete der Linken, Ronny Kretschmer, an. Doch auch er kritisierte die Missachtung der Rechte des Parlaments, weil die Landesregierung 27 Verordnungen ohne Parlamentsbeteiligung erlassen habe. „Es obliegt den Abgeordneten, exekutives Handeln der Regierung zu kontrollieren“, sagte Kretschmer. Hingegen verteidigte Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) das Vorgehen der Regierung. „Zum Schutz der Bevölkerung war es nötig, auf ein Zusammenleben, wie wir es vor Corona kannten, zeitweise zu verzichten“, sagte die Medizinerin.

„Zusammen haben wir es geschafft, mit dieser Krise umzugehen und gelernt, mit dem Coronavirus zu leben.“ Die Landesregierung hätte sich in mehrfacher Hinsicht Pflichtverletzungen schuldig gemacht, wenn sie untätig geblieben wäre. „Im Nachhinein lässt sich sicher sagen, dass eine direkte Beteiligung des Parlaments schon früher wünschenswert gewesen wäre“, sagte Nonnemacher. „Allerdings darf man nicht die Umstände der Zeit außer Acht lassen.“ Aus dem Agieren in normalen Zeiten zu Beginn der Pandemie sei ein „diffuses Reagieren“ geworden, „was für uns in diesem Ausmaß völlig neu war.“