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Klimaschützer

Razzia gegen Letzte Generation in sieben Ländern

München/Berlin / Lesedauer: 4 min

Viel Wut, aber auch Applaus ernten die Klimaschutzaktivisten der Letzten Generation, wenn sie sich auf Straßen oder auch an Kunstwerke kleben. Nun greift die bayerische Justiz zu drastischen Mitteln. Lässt sich die Gruppe davon entmutigen?
Veröffentlicht:24.05.2023, 08:13

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Mit einer Razzia in sieben Bundesländern sind Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwoch gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten vom frühen Morgen an 15 Wohnungen und Geschäftsräume, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das bayerische Landeskriminalamt mitteilten. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.

Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Festnahmen gab es zunächst nicht. Zwei Aktivisten stehen den Ermittlern zufolge im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl–Pipeline Triest–Ingolstadt zu sabotieren, die Bayern versorgt. LKA–Sprecher Ludwig Waldinger sagte: „Diese wurde angegangen, wurde beschädigt.“ Die Versorger hätten die Ölzufuhr stundenlang unterbrechen müssen.

Durchsucht wurde auch die Wohnung der nach vielen TV–Auftritten bundesweit bekannten Sprecherin Carla Hinrichs in Berlin–Kreuzberg. Sie berichtete später: „Die Polizei hat die Tür eingetreten und ist mit gezogener Waffe in mein Zimmer gelaufen, als ich noch im Bett lag. Um mich einzuschüchtern, um mich abzuhalten, der Öffentlichkeit zu erzählen, dass die Katastrophe vor der Tür steht.“

Das Bayerische Landeskriminalamt bestätigte lediglich, dass eine Einheit der Berliner Polizei die Wohnung betreten habe. „Wie sie sie betreten hat, ist Polizei–Taktik. Und dazu sagen wir nichts.“

Hintergrund der Ermittlungen und Durchsuchungen sind laut Staatsanwaltschaft zahlreiche Strafanzeigen. Die Gruppe macht regelmäßig mit Sitzblockaden und Aktionen in Museen auf die fatalen Folgen der Erderhitzung aufmerksam. Die Mitglieder kleben sich dabei häufig fest — an Straßen oder auch an Kunstwerken.

Die Klimaschutzaktivisten selbst bestritten vehement, kriminell zu sein und riefen für kommenden Mittwoch zu Protestmärschen auf. Eine erste Demonstration mit mehreren hundert Teilnehmern gab es am Mittwochabend in Berlin.

„Müssen wir in Deutschland erst eine Dürre erleben, an Nahrungsmittelknappheit leiden (...), bevor wir verstehen, dass die Letzte Generation für unser aller Leben einsteht und dass das nicht kriminell ist?“, fragte ihre Sprecherin Aimée van Baalen. Unterstützung kam vom geschäftsführenden Vorstand von Greenpeace, Martin Kaiser: „Mit Hausdurchsuchungen auf den unbequemen, aber friedlichen zivilen Ungehorsam der Letzten Generation zu reagieren, ist vollkommen unverhältnismäßig.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte dagegen, die Maßnahmen zeigten, „dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“.

Zentraler Vorwurf der Polizei und Generalstaatsanwaltschaft ist, dass die Beschuldigten eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten organisiert haben sollen. So seien mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt worden. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Wie viel beschlagnahmt wurde, sagte die Polizei zunächst nicht. Gesucht wurde demnach auch nach „Beweismitteln zur Mitgliederstruktur“.

Durchsuchungen gab es in sieben Bundesländern, konkret in Hessen im Landkreis Fulda, in Hamburg, Sachsen–Anhalt (Magdeburg), Sachsen (Dresden), Bayern (Augsburg und München), Berlin und im Kreis Segeberg in Schleswig–Holstein. Die Einsätze verliefen ersten Informationen nach friedlich. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft wurde auch die Homepage der Gruppe beschlagnahmt und abgeschaltet.

In den vergangenen Wochen war das Umfeld für die Aktivisten rau geworden. Genervte Autofahrer schlugen und traten die Protestierenden des Öfteren und schleiften sie ruppig von der Straße, und das Landgericht Potsdam bestätigte erstmals den Anfangsverdacht, dass die Gruppe eine kriminelle Vereinigung sein könnte.

Am Montag hatte sich auch Kanzler Olaf Scholz ungewöhnlich kritisch geäußert und die Anklebe–Aktionen der Gruppe „völlig bekloppt“ genannt. Am Dienstag beschmierten acht Aktivisten als Reaktion auf die Aussage die SPD–Parteizentrale in Berlin mit Farbe.

Die Aktivisten forderten anfangs ein „Essen–Retten–Gesetz“ gegen Lebensmittelverschwendung. Die derzeitigen Forderungen sind Tempo 100 auf Autobahnen und ein dauerhaftes 9–Euro–Ticket für den öffentlichen Verkehr.

Angesiedelt sind die Ermittlungen bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft betonte aber, dass das nicht bedeute, dass man die Letzte Generation als extremistisch oder terroristisch einstufe. „Wir gehen nach jetzigem Ermittlungsstand davon aus, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt — wohlgemerkt nicht um eine terroristische“, sagte der Sprecher.