In eigener Sache
Corona-Untersuchungsausschuss – Landtag empört über Nordkurier-Berichte
Potsdam/Neubrandenburg / Lesedauer: 7 min

Nordkurier
Die Berichte des Nordkurier über den aktuellen Corona-Untersuchungsausschuss im Landtag Brandenburg sorgen für Wirbel. In einem Brief an Nordkurier-Chefredakteur Gabriel Kords hat sich sogar die Pressestelle der Landtagsverwaltung darüber beschwert - ein in jeder Hinsicht ungewöhnlicher Vorgang. Kritisiert wird in dem von Pressesprecher Gerold Büchner unterzeichneten Schreiben unter anderem, dass der Nordkurier aus vertraulichen Unterlagen des Ausschusses zitiert habe.
Zudem empört er sich darüber, dass der Nordkurier namentlich über die Virologin Dr. Ilona Glowacka berichtet hat. Der Beitrag thematisierte die berufliche Vergangenheit der aktuell als Referentin für den Ausschuss arbeitenden Wissenschaftlerin, die in ihrer Doktorarbeit „der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Christian Drosten“ dankte und in der Ausschusssitzung offenbar vor allem damit beschäftigt war, beim Vorsitzenden auf die Einhaltung der bestehenden Frage-Verbote zu dringen. Apropos „Frage-Verbote“: An dieser Zuschreibung stört sich Landtags-Sprecher Büchner in seinem Schreiben ebenfalls.
Aus Gründen maximaler Transparenz haben wir uns entschieden, den Beschwerdebrief der Landtagsverwaltung in voller Länge zu veröffentlichen, ebenso wie die Antwort des Chefredakteurs Gabriel Kords. Wir werden zudem auch weiterhin aus und über den Corona-Untersuchungsausschuss in Potsdam berichten. Die nächste Sitzung findet in dieser Woche statt – am 17. November 2023. Dabei soll es unter anderem um das rätselhafte Verschwinden unzähliger Unterlagen und Dokumente aus Brandenburger Impfzentren gehen.
Der Beschwerdebrief der Landtags-Pressestelle im Wortlaut
Potsdam, den 26.10.2023
Sehr geehrter Herr Kords,
die Pressefreiheit hat einen hohen Stellenwert und genießt auch im Landtag Brandenburg größten Respekt. Einige jüngst im „Nordkurier" bzw. dem „Uckermark Kurier" veröffentlichte Artikel geben uns gleichwohl, auch vor dem Hintergrund der Publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserats (Pressekodex), Anlass zu Nachfragen.
Es geht um die Berichterstattung über den zweiten Corona-Untersuchungsausschuss im Landtag Brandenburg, konkret um Artikel vom 18. und 16. Oktober sowie 21. September 2023, die sich auf zwei Sitzungen des Untersuchungsausschusses am 13. Oktober bzw. am 1. September 2023 beziehen. Autor der Artikel war jeweils Herr Philippe Debionne.
Folgende Fragen werfen die Veröffentlichungen auf:
1. Wie erklärt es sich, dass Herr Debionne berichtet, als habe er persönlich als Zuhörer/-schauer an den Sitzungen teilgenommen? Für beide genannten Sitzungstermine war er unter seinem Namen weder als Medienvertreter noch als Besucher angemeldet. Anders als bei sonstigen Ausschüssen im Landtag sind bei Sitzungen der Untersuchungsausschüsse aufgrund der Gesetzeslage aber weder Aufzeichnungen noch Liveübertragungen zulässig, so dass auch ein Nachverfolgen der Beratung online ausscheidet. Falls sich Herr Debionne von Dritten über die Sitzungen hat berichten lassen, sei es von Kollegen oder von anderen Beteiligten im Ausschuss, so wird dies jedenfalls aus seinen Texten nicht deutlich und nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang stellt sich zudem die Frage, wie das vom „Nordkurier“ zum Bericht am 18.10.23 verwendete Foto entstanden sein kann. Als Quelle ist online ZVG angegeben, was auch „zur Verfügung gestellt“ bedeutet; von wem, das ist nicht ersichtlich oder nachvollziehbar. Offenbar stammt das Foto nicht von Herrn Debionne selbst.
2. Wie ist zu erklären, dass in der Überschrift des Artikels am 18.10.23 behauptet wird, es habe „Frage-Verbote" gegeben? Das Brandenburger Untersuchungsausschussgesetz, das von den Vorsitzenden aller Untersuchungsausschüsse im Landtag anzuwenden ist und angewendet wird, sieht klare Regen für die Befragung von Zeuginnen und Zeugen vor. Von einem angeblichen „Frage-Verbot" kann keine Rede sein. Der Landtag verwahrt sich gegen diese Darstellung und fordert Ihre Redaktion zur Richtigstellung im Sinne des Pressekodex (Ziffer 3) auf.
3. Was hat den Autor und den „Nordkurier“ bewogen, mehr als die Hälfte des Artikels am 18.10.23 der Person einer Ausschussreferentin zu widmen? Die mehrmals mit vollem Namen erwähnte Kollegin arbeitet dem Ausschuss zu und bereitet die Sitzungen vor; ihre Doktorarbeit, ihr früherer Professor oder private Aktivitäten haben mit dieser Arbeit nicht das Geringste zu tun und sind nicht von öffentlichem Interesse. Jedenfalls kommt der vollen namentlichen Nennung einer Verwaltungsbeschäftigten auf Referentenebene gegenüber einer ggf. anonymisierten oder pseudonymisierten Berichterstattung kein erkennbarer journalistischer Mehrwert zu. Die namentliche Berichterstattung über eine Verwaltungsbeschäftigte unterhalb der Ebene von Referatsleitungen ist auch journalistisch absolut unüblich. Hinzu kommt, dass der Ausschuss mit der Untersuchung der staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor der Coronapandemie in einem gesellschaftlich hoch emotionalisierten Umfeld wirkt.
Nach Auffassung sowohl des Bundesamtes für Verfassungsschutz als auch des Verfassungsschutzes Brandenburg gehen die von Einzelpersonen und Personenzusammenschlüssen in diesem Zusammenhang öffentlich geäußerten Meinungen und Aktionen in einigen Fällen über einen legitimen Protest hinaus und weisen tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen auf. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf ein sich daraus ergebendes mögliches Gefährdungspotential kommt dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Kollegin bei der nach dem Pressekodex erforderlichen Abwägung ein besonderes Gewicht zu. Es ist unverantwortlich, den Namen der Beschäftigten nicht nur in der regionalen Berichterstattung zu nennen, sondern diesen damit zugleich der hundertfachen Weiterverbreitung in den „Echokammern “ der unterschiedlichen Plattformen sozialer Medien preiszugeben.
Der Landtag fordert daher Ihre Redaktion unter Berufung auf den Pressekodex (Ziffer 8) auf, den Namen der betreffenden Mitarbeiterin aus allen Archiven und elektronisch gespeicherten oder bereitgestellten Fassungen des Artikels zu löschen oder so unkenntlich zu machen, dass die Anonymisierung eine Identifizierung der Person unmöglich macht.
4. Aus welchem Grund wurde am 21.09.23 - übrigens 20 Tage nach der Sitzung, über die berichtet wird - ausführlich aus vertraulichen Unterlagen des Ausschusses zitiert, obwohl dem Autor und der Zeitung nachweislich bekannt war, dass diese Unterlage nicht zur Veröffentlichung bestimmt war?
Über eine zeitnahe Antwort von Ihnen würden wir uns freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
Gerold Büchner
Die Antwort von Nordkurier-Chefredakteur Gabriel Kords im Wortlaut
Neubrandenburg, den 1.11.2023
Sehr geehrter Herr Büchner,
Ihr Schreiben vom 26. Oktober 2023 habe ich erhalten und bin über Form und Inhalt gleichermaßen befremdet. Mir stellen sich seit der Lektüre fundamentale Fragen zu Ihrem Amtsverständnis und Ihrem Verständnis von Pressefreiheit - die ich hier nur deshalb nicht weiter erörtern will, weil ich das ehrlich gesagt nicht für meine Aufgabe halte. Aus demselben Grund werde ich auf Ihre Fragen nur mit der gebotenen Kürze antworten:
1. Dass Herr Debionne nicht als Pressevertreter angemeldet war, heißt nicht, dass er an der Sitzung nicht teilgenommen hat - es handelte sich um eine öffentliche Sitzung, die von Jedermann besucht werden konnte. Was ich mit Ihren Ausführungen zum Foto anfangen soll, erschließt sich mir auch unabhängig davon nicht.
2. Dass sich die von Ihnen skizzierten Regelungen und Abläufe durchaus unter der Formulierung „Frage-Verbot “subsumieren lassen, steht für mich außer Zweifel. Dass Ihnen diese Subsumtion offenbar missfällt, bedeutet nicht, dass wir sie in dieser Form nicht vornehmen dürften.
3. Dass Sie die namentliche Nennung von Frau Dr. Glowacka für unangemessen halten, nehme ich zur Kenntnis. Ich will Ihren Ausführungen in aller Deutlichkeit entgegenhalten, dass weder Sie persönlich noch die Landtagsverwaltung zu entscheiden haben, was von öffentlichem Interesse ist - sondern dass wir diese Entscheidung, soweit sie unsere Veröffentlichungen betrifft, im Rahmen unserer grundgesetzlichen Freiheiten selbst treffen. Ihre Ausführungen in diesem Zusammenhang halte ich für abwegig; sie werden jedenfalls nicht dazu führen, dass wir unsere Berichterstattung in diesem Punkt überdenken.
4. Die Berichterstattung über vertrauliche Unterlagen gehört zu den Kernaufgaben der freien Presse und unterliegt, wie Ihnen bekannt sein müsste, sogar dem besonderen Schutz des Grundgesetzes und weiterer Normen. Insofern bin ich über Ihre Frage nachgerade entgeistert; eine Beantwortung verbietet sich.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal wiederholen, wie irritiert ich über diesen Schriftverkehr bin. Ich behalte mir ausdrücklich vor, ihn weiteren Stellen bekannt zu machen - bis hin zur Veröffentlichung - und möchte Ihnen den gut gemeinten Ratschlag geben, sich noch einmal von Grund auf mit Ihrem Amts- und Berufsverständnis auseinanderzusetzen. Gerne stehe ich Ihnen auch für ein persönliches Gespräch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriel Kords
Chefredakteur