Sich wehren

120 Kilo zu Fall bringen — Schüler lernen Selbstverteidigung

Demmin / Lesedauer: 3 min

Auch Kinder und Jugendliche erleben Übergriffe und Gewalt, wie der Tod der 12–jährigen Luise zeigt. Selbstverteidigung kann helfen. In Demmin läuft ein Projekt.
Veröffentlicht:18.03.2023, 11:34

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„Die Welt wird immer gefährlicher und wir möchten unsere Kinder auf mögliche Gefahrensituationen vorbereiten“, sagt Johannes Speck. Er ist Sozialarbeiter an der Schule an den Tannen, einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen. Dort läuft gerade ein Selbstverteidigungsprojekt, das in Kooperation mit der Demminer Selbstverteidigungsschule „Close–Quarter–Chaos“ abgehalten wird. Hier erlernen Schüler von der 3. bis zur 9. Klasse in dieser Woche Techniken, wie sie sich selber verteidigen können.

Techniken nur zur Selbstverteidigung bestimmt

Gewalt ist für Kinder und Jugendliche kein neues Thema. Meldungen im Internet, in Zeitungen und im Radio bringen ihnen Übergriffe auf Altersgenossen und Gewalttaten nahe, wie jetzt den aktuellen Fall der zwölfjährigen Luise aus Freudenberg, die von zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren erstochen wurde. Sich wehren zu können, ist da ein beruhigender Gedanke. Doch stellt sich zugleich die Frage, ob nicht gerade Kampftechniken zu mehr Gewalt führen können. Ähnlich argumentiert ja beim Thema Selbstverteidigung auch die Waffen–Lobby in den USA, die damit wirbt, dass man stets die bessere Waffe als der Gegner haben muss.

Um eine Gewaltspirale zu verhindern, werden die Schüler vor dem praktischen Unterricht über das Ziel des Projekts aufgeklärt. So wird nicht von einem Gegner, sondern einem Angreifer gesprochen, der etwas Böses vorhat. „Wir machen den Schülern sehr deutlich, dass die erlernten Techniken allein für die Selbstverteidigung bestimmt sind“, macht Johannes Speck deutlich. „Wir wollen eine gewaltfreie Schule haben. Das bedeutet aber auch, dass sich Schüler in einer Notsituation wehren können.“

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Mögliche Gefahren sind Kindern bewusst

Dass mögliche Gefahrensituationen den Kindern auch im insgesamt recht friedlichen Demminer Land durchaus bewusst sind, zeigt die elfjährige Johanna aus der 5. Klasse deutlich. Auf die Frage, warum sie das Selbstverteidigungsprojekt wichtig findet, antwortet sie: „Falls ich mich wehren muss, wenn jemand versucht, mich in ein Auto zu zerren oder mich irgendwohin bringen möchte.“ 

Selbstbewusstsein stärken

Als Trainer für das Projekt, dass vom Kommunalen Präventionsrat des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte  gefördert wird, konnte die Schule Antonio Poutoru von der Demminer Selbstverteidigungsschule „Close–Quarter–Chaos“ gewinnen. Gelehrt wird, wie Schüler ihren Körper in einer Gefahrensituation schützen können und den Angreifer auf Abstand bekommen, sodass genug Zeit bleibt zu fliehen. „Durch das Projekt soll das Selbstbewusstsein der Schüler enorm gestärkt werden. Ziel des Projektes ist es, dass die Schüler in Gefahrensituationen erlernte Techniken schnell abrufen können, um nicht unmittelbar Opfer von Gewalt zu werden“, so Antonio Poutoru.

Schnelle Reaktionen

Bei dem Training müssen die Schüler unter anderem eine 120 Kilo schwere Figur mit einem Ellbogencheck und mit einem gezielten Fußtritt umhauen. Wie Poutoru erklärt, ist es wichtig, den Angreifer in den Weichteilen zu treffen. Egal ob Mann oder Frau, ein Tritt zwischen die Beine tut enorm weh. Dabei darf man den Angreifer aber nicht unnötig verletzen, sondern wirklich nur einen Angriff abwehren. „Entscheidend ist die Schnelligkeit. So lernen wir hier die Drei–Sekunden–Regel, in der Zeit sollte ein schneller Gegenschlag erfolgen“, schildert Antonio Poutoru. „So hat auch ein zierliches Mädchen gegen einen starken Mann die Chance, sich zu wehren und dann schnell zu fliehen.“

Feuer statt Hilfe?

Wie Johannes Speck erklärt, haben Untersuchungen ergeben, dass Menschen heutzutage auf Hilferufe manchmal nicht reagieren. Lautes Kreischen entfacht da mehr Wirkung. Zudem haben die Untersuchungen ergeben, dass Menschen schneller reagieren, wenn ein Mensch in Not „Feuer“ statt „Hilfe“ schreit. „Zum Glück haben wir in Demmin nicht viel Gewalt. Umso wichtiger ist es uns, dass die Schüler das Selbstverteidigungsprojekt als Gewaltpräventionsmaßnahme begreifen, aber nicht als Mittel zur Gewalt sehen.“