Heimatgeschichte

182 Jahre altes Gutshaus von neuen Besitzern erforscht

Waldberg / Lesedauer: 5 min

Die neuen Bewohner des Gutshauses Waldberg können mit dem Recherchieren gar nicht mehr aufhören, immer wieder stoßen sie auf Neues. Viele Fragen sind aber noch offen.
Veröffentlicht:01.02.2022, 08:46
Aktualisiert:01.02.2022, 09:05

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Simone Brentrup geht jetzt mit einem anderen Gefühl durch ihr neues Zuhause. Wenn sie nach der hohen Türklinke in der ehemaligen Küche des Waldberger Gutshauses greift, denkt sie daran, wie die Bediensteten sie früher mit den Ellbogen herunterdrückten, weil sie wortwörtlich alle Hände voll zu tun hatten. Wenn sie ihr Atelier betritt, fällt ihr der Impfstützpunkt ein, der dort nach dem Krieg für die Kinder der Umgebung eingerichtet worden sei. Wenn sie in den Garten schaut, stellt sie sich vor, wie einst Pferde über die Wiese trabten. Wenn sie die knarzende Treppe hinaufsteigt, fällt ihr ein, was eine Zeitzeugin beim Adventsmarkt im Gutshaus vor wenigen Wochen erzählte: „Sie sagte, sie hätten als Kinder immer in dem Haus gespielt und der Dachboden wäre wie ein Antikladen gewesen“, erzählt Simone Brentrup.

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Von den alten Schätzen ist wenig auf dem Dachboden geblieben. Ein paar alte Gebrauchsgegenstände verschiedener Zeiten haben Simone Brentrup und ihr Mann Markus beim Ausräumen aber noch gefunden. Um sich ein umfassenderes Bild von dem fast 200 Jahre alten Gutshaus zu machen, haben sie außerdem zuletzt in Geschichtsbüchern und Archiven geforscht: 1840 hat demnach ein Herr Schmidt – der Vorname ist den Brentrups noch unbekannt – den Komplex als Dreiseitenhof gebaut.

Dreijährige Lücke in der Chronik

Schmidt soll Gutsbesitzer in Nossendorf gewesen sein, eine Gemeinde, die zudem über das Schloss Medrow mit Waldberg verbunden ist. 1865 schenkte dessen Eigentümer Wilhelm von Hagenow das Waldberger Gutshaus seiner einzigen Tochter Emma zur Vermählung mit Ernst von Witzleben. Der habe als erster in der Gegend eine Drainage gebaut und so ermöglicht, dass sich der Ackerrübenanbau etablieren konnten, berichten die Brentrups von ihren Recherchen. Fünf Kinder wurden in jener Zeit in dem Gutshaus geboren, die jüngste, Hedwig genannt, heiratete später Albrecht von Maltzahn zu Utzedel. Als Witwe siedelte ihre Mutter 1890 wieder in das zwischenzeitlich sanierte und umgebaute Schloss Medrow über. Verstorben sei sie 1895 allerdings in einem eigenen Haus in Demmin, haben die Brentrups herausgefunden.

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Das Gutshaus indes blieb nicht leer: Von 1890 bis 1893 klafft zwar noch eine Lücke in der Chronik seiner Bewohner. Dann aber kamen Gebäude und Ländereien in den Besitz einer Familie Remer aus der Nähe von Dargun, die nach den Recherchen der Brentrups nichts mit dem Nationalsozialisten Otto Ernst Remer zu tun hatten. Was sie aber verwunderte: Ab 1934 wurden die Waldberger Gutsbesitzer in den Archiven nur noch als Bauern geführt.

Die Kükenbrutanlage hinter dem Haus, das Taubenhaus davor und auch eines der Stallgebäude, die an die einstige landwirtschaftliche Nutzung erinnern, sind heut nicht mehr vorhanden. Was aus den Remers wurde, wissen die heutigen Bewohner nicht. Und auch nicht, wer die beiden Frauen waren, die sich 1945 zu Kriegsende in dem Garten hinter dem Gutshaus erschossen haben sollen.

Seltener begehbarer Schornstein

Überhaupt sind noch viele Fragen offen zur Geschichte des alten Hauses und seinen Bewohnern. „Wir würden uns freuen, wenn sich Leute bei uns melden, die noch Fotos haben oder vielleicht hier gearbeitet haben und etwas über das Gutshaus erzählen können“, so Simone Brentrup. Möglicherweise Nachfahren einer Wilhelmine Goldammer, die Ende des 19. Jahrhunderts in dem Gutshaus gearbeitet haben soll. Über die auf der Internetseite angegebenen Kontaktdaten könnten sie und andere Zeitzeugen sich gerne melden oder ab 7. Februar einfach vorbeikommen.

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Simone Brentrup kann jedenfalls kaum mehr aufhören zu recherchieren, wie ihr Haus früher aussah und was es für Menschen waren, die darin lebten. „Man stößt immer wieder auf etwas Spannendes“, erzählt sie. Etwa auf die Flüchtlingsfamilien, die das Haus nach dem Krieg bewohnten und dort anfangs teilweise auf dem Dachboden schliefen. Oder den begehbaren Steigschornstein, laut Schornsteinfeger einer der letzten zwei in seinem Wirkungskreis. Oder auf den merkwürdigen Steinklotz, der im Garten aus der Erde ragt und vielleicht Teil des einstigen Pavillons ist. Im Sommer wollen die Brentrups den Schatz mit ihren Kindern freilegen.

Schon immer haben in dem Gutshaus Kinder gespielt, weiß Simone Brentrup. Vielleicht komme daher die „gute Energie“, die sie in dem Haus spürt. Ihr und ihrem Mann ist es wichtig, das alte Gebäude selbst, aber auch die damit verbundenen Erinnerungen aufzuarbeiten und zu erhalten. Die Ergebnisse wollen sie gerne aufbereiten und in dem Haus öffentlich zugänglich machen.

Die Brentrups wünschen sich, dass so auch andere den Wert des geschichtsträchtigen Gutshauses sehen und anerkennen. „Auch wenn es nicht unter Denkmalschutz steht, sollte es als Kulturgut wahrgenommen werden und verdient die Aufmerksamkeit der Stadt“, findet Simone Brentrup, die deshalb gerne mit der Demminer Verwaltung in engerem Kontakt stehen würde.

Dach bereitet Probleme

Unterstützung könnte die Familie wegen der leeren Fördertöpfe auch bei der Sanierung des teilweise undichten Daches gebrauchen, durch das die Brentrups das historische Gebälk bedroht sehen. „Der Dachstuhl ist noch in Ordnung“, wissen sie von einem Experten. „Aber wenn er weiter der Feuchtigkeit ausgesetzt wird, vielleicht nicht mehr lange.“ Sonst befinde sich das Haus in einem guten Zustand, verschiedenen Vorbesitzern sei Dank. „Jetzt sind wir mit dem Dach an der Reihe“, meint Simone Brentrup.

Auch wenn die Familie das Gutshaus erhalten will, in seinen Urzustand zurückversetzen möchte sie es dabei nicht. „Ich finde es interessant, dass man überall im Haus die unterschiedlichen Epochen sieht“, erklärt Simone Brentrup und deutet auf die Klinken der repräsentativen Flügeltüren, die auf einer Seite noch aus der Entstehungszeit stammen, auf der anderen Seite durch DDR-Fabrikate ergänzt wurden. „Das gehört zur Geschichte des Hauses“, sagt sie. „Jede Generation hat ihre Handschrift hinterlassen, so wie wir das jetzt auch tun.“