Künstler
Aus der Berliner Hausbesetzerszene ins Tollensetal
Hohenbrünzow / Lesedauer: 5 min

Silke Voß
Schrille „Vögel“ haben das Leben schon immer bunt gemacht. In einem Nest wie Hohenbrünzow am Fuße des Tollensetals ist das nicht anders. Mit kanariengelben Hosen, bayrischem Trachtenjäckchen, Federnhut und Mischlingsrüde Bruno an der Leine wirkt Peter Rampazzo exotisch – ein wenig wie die literarische Figur des romantischen „Taugenichts“ von Joseph Eichendorff. Ein naiver Träumer, der frohgemut dennoch viel bewirkt.
In den wilden Nachwendejahren am Puls des Lebens
Der anarchische, freie Raum der unmittelbaren Nachwendezeit war genau das richtige Lebenselixier für einen wie Peter Rampazzo. In seiner kleinen Plattenbau-Küche, die aussieht wie das Cockpit eines Fantasy-Raumschiffes, blättert der heute 60-Jährige in zwei neonbunt eingefassten Katalogen: Berlin Wonderland und Berlin Heartbeats, die wilden Jahre von 1990 bis 1996. Mit Fotos und Zitaten dokumentieren sie eine einmalige Aufbruchszeit in der lange geteilten deutschen Hauptstadt.
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Und Peter Rampazzo war einer der Protagonisten. Er hat den legendären Club „IM EIMER“ am Rosenthaler Platz mitbegründet, den Vorläufer der weltbekannten Kunstruine „Tacheles“ und eine der wichtigsten Kulturbesetzungen der Neunziger. Zeitgleich zog es ihn auch nach Norden: Als Smutje und Beleuchter des berühmten Partyschiffs „MS Stubnitz“, das vom Rostocker Hafen Technofreunde von Rotterdam bis St.Petersburg schipperte.
Über Ungarn in den Westen geflüchtet
Bis es dahin kam, erzählt Rampazzo alias Peter Franke seine „romantische Taugenichtsgeschichte“. Mit dem Minirad sei er durch ganz Ungarn geradelt, als das Balkanland noch sozialistisch war. Der junge Peter hatte die eingezäunte Enge des „Staates der Gartenzwerge und Hausmeister“ dermittachziger Jahre satt und versuchte sich am illegalen Grenzübertritt, bevor es zur Massenbewegung wurde. Er war auf dem Weg über Österreich zu seiner reichen Tante bei Padua. Schließlich in Italien, wurde der Paradiesvogel aus dem Osten „herumgereicht“ und überall eingeladen, wie er schildert. „Junge, probier mal dies und probier mal das!“ hielt man ihn im Land der Lebensfreude zum Genießen an.
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Aber Rampazzo wollte lieber nach Westberlin. Im Auffanglager Gießen „war ich der einzige – allein in großen Räumen mit Doppelstockbetten“. Im Westteil der Insel-Stadt bespielte er dann mit Künstler-Freunden das legendäre 1920er-Jahre-Hotel Stuttgarter Hof, damals eine halbe Ruine.
Plötzlich standen die Ossis vor der Tür
Dann kam der Mauerfall. „Wir haben das gar nicht mitbekommen, weil wir die ganze Zeit in Kreuzberg in einem Keller an Installationen gearbeitet haben, ohne Radio und Fernseher“, erinnert sich der Ex-Punk. „Genau zum Mauerfall eröffneten wir dort eine Bar. Gegen Mitternacht stand ein Haufen Leute vor der Tür. Keiner von ihnen konnte Eintritt zahlen, weil sie direkt aus dem Osten kamen. Darunter waren auch die Leute von der Band Feeling B. Mit ihnen fassten wir noch am selben Abend den Plan, uns Räume zu besorgen, und schon Mitte Dezember gab es den Aufruf, das Haus in der Rosenthalerstraße zu besetzen.“ Das war die Geburtsstunde des „EIMER“.
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Seine damalige Partnerin Swanhild Pohl, die heute im Schlos Hohenbrünzow wohnt, Tochter des DDR-kritischen Künstlerpaares Wilfriede und Eckehard Maaß, begründet das Ansinnen so: „Mit der Besetzung wollten wir ein politisches Vakuum für eine Kultur schaffen, die unserem Empfinden entsprach. Mit der Namensgebung IM EIMER reagierten wir auf die Entfernung von offiziellen Mitarbeitern der Stasi (IM) aus unserer Künstler-Gemeinschaft.“
Einfach mal eine MiG „geklaut”
Fotos aus jener Zeit sehen zum Teil aus, als sei der 2. Weltkrieg gerade erst vorüber gewesen. Leere Straßen, bröckelnde Fassaden, alles ein großer Abenteuerspielplatz. Eine Zeitspalte öffnete sich, ein Niemandsland, das Raum gab für Inspirationen, neue Ideen und viel Improvisation. Zeiten für unbegrenzte Höhenflüge. Idealer Humus also für die Aktionen Rampazzos, der sich als „elektromagnetischer Interflieger“ verstand. Aus einem militärischen Sperrgebiet bei Berlin hievten er und einige Mitstreiter zum Beispiel zwei tonnenschwere verlassene MiG-Düsenjäger auf einen Kranwagen und ungestoppt ging’s per Kolonne durch die Stadt. „Bis die Bundeswehr gemerkt hat, dass ihr zwei MiGs fehlen, waren aus den Flugzeugen schon Kunstwerke gegen die Militarismus geworden.“
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Als Kapitän der Künstlergruppe „Interflug Galaktika“ machte Rampazzo markante historische Gebäude wie das Postfuhramt Berlin oder die Ex-Pentacon Fabrik Dresden mit Licht und Musik zu lebendigen Kunstwerken. Ebenso das einstige Fischfang-Kühlschiff „MS Stubnitz“, dessen Innenskelett Rampazzo für abgefahrene Tanzpartys bunt ausleuchtete.
Turm der Burg Klempenow ins rechte Licht gesetzt
Nun also bei Demmin „gelandet“, verwandelt der Licht- und Videokünstler auch den Nordosten. Er tauchte beispielsweise bereits den „hohlen Zahn“ der Burgruine Klempenow in bunte Farben. Unaufhörlich sprudeln die Ideen. Auch das Maritime lässt den einstigen Stubnitz-Smutje nicht los: Rampazzo plant illuminierte Jazz- und Mondscheinfahrten auf der Müritz. Und noch ein Mammutprojekt schwebt ihm vor: Die Digitalisierung von Filmmaterial aus „Goodbye Lenin“ mit Szenen, die im „EIMER“ gedreht wurden. Dann würde, so Rampazzo, der Pionierclub der Anarcho-Neunziger für alle Welt wieder begehbar werden.