50000 tote Tiere

▶ Brandkatastrophe in Alt Tellin – Minister unter Druck

Schwerin / Lesedauer: 5 min

Bald jährt sich die Brandkatastrophe bei der Schweinezucht Alt Tellin. Ein Gutachten gibt es immer noch nicht und der Agrarminister sieht die Verantwortung ohnehin woanders.
Veröffentlicht:18.03.2022, 05:41
Aktualisiert:18.03.2022, 05:45

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Das Thema Schweinezucht Alt Tellin und deren jähes Ende durch einen Großbrand im Frühjahr 2021 dürften Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD) wohl ewig anhängen, mindestens seine Dienstzeit als Politiker über. Denn Kritiker bringen ihn und die ihm unterstellten Behörden mit der Ansiedlung des Unternehmens auf einem Acker nahe des Jarmener Ortsteiles Neu Plötz in Verbindung – und damit indirekt auch mit der Brandkatastrophe.

Schweinezucht als Thema im Landtag

Ohne Zutun und Rückendeckung aus Schwerin, so die Argumentation, wäre Europas damals größte Ferkelfabrik so und dort nie entstanden. Von daher galt der nie um Worte verlegene Ressortchef als Ansprechpartner Nummer eins, als der Demminer AfD-Landtagsabgeordnete Enrico Schult die jüngste Fragestunde an die Regierung nutzte, das Thema Alt Tellin ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Immerhin liegt die Ruine in seinem Wahlkreis.

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Langwierige Ermittlungen zur Brandursache

Bei Fragen zur Brandursache allerdings sprang Backhaus, der nach eigenen Aussagen auch nur aus der Presse vom Stand der Ermittlungen weiß, sein Kollege Christian Pegel (SPD) aus dem Innenministerium zur Seite, unter dessen Fittichen die Kriminalpolizei arbeitet. Er räumte ein, dass die Erstellung der Expertise relativ lange dauert, stellte aber schon mal einen Termin für neue Aussagen in Aussicht: Die Kolleginnen und Kollegen würden derzeit davon ausgehen, dass sie bei den Ermittlungsansätzen, die ja inzwischen von Brandstiftung ausgehen, bis Ende April weiteres Licht hinein gebracht haben.

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„Dann wird die Staatsanwaltschaft entscheiden müssen, wie mit diesen Erkenntnissen umzugehen ist.“ Gleichzeitig unterstrich Pegel, dass es da nicht um bauliche Schuldfragen geht: „Das Gutachten hatte nicht zum Gegenstand, warum ist quasi alles abgebrannt oder drei Viertel, sondern die Frage, was ist Brandursache.“

Video-Reportage in Alt Tellin (11:17 Min):

Backhaus schiebt Verantwortung zum Kreis

Dabei erscheint eben genau der Umstand wichtig, warum es dieses Schadensausmaß mit mehr als 50 000 toten Schweinen gab, obwohl laut der ins Genehmigungsverfahren einbezogenen Gutachten dort gar nichts hätte brennen können, beziehungsweise einem Feuer nach kurzer Zeit die Nahrung ausgegangen wäre. Und sich deshalb niemand Gedanken um eine mögliche Evakuierung der Tiere zu machen brauche, so die Quintessenz. „Warum hat dieses Brandschutzkonzept nicht funktioniert und die Stallanlage ist komplett abgebrannt?“, wollte Schult aus der Runde des Plenums heraus wissen.

„Auch dafür sind wir nicht zuständig“, entgegnete Till Backhaus, um den schwarzen Peter umgehend von sich zu schieben. „Wir haben hier eine verbundene Entscheidung nach dem Bundesimmisionsschutzgesetz. Das heißt, für den Bau und das Brandschutzkonzept ist der Landkreis zuständig. Die Verantwortung liegt im Landratsamt. Dort sind Gutachten entwickelt worden.“ Wohl aber sei in dem Betrieb nach seinem Kenntnistand der damalige Stand der Technik eingebaut worden.

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Mehr als 5000 Brände bei Tierhaltern pro Jahr

Anschließend nutzte der Agrarminister die Zeit, um die Bemühungen seines Hauses zu all den in und um Anlagen wie Alt Tellin bestehenden Problemen aufzuzählen. Vorne weg das Bundesratsverfahren zu nötigen Änderungen bei Baugesetzbuch und Landesbauordnung. „Da geht‘s auch um die Frage der Tierobergrenzen.“ Backhaus verwies auf eine interministerielle Arbeitsgruppe im eigenen Land, die sich intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, sowie auf einen Antrag in der Agrarministerkonferenz.

Wohl wissend, dass der Fall Alt Tellin zwar der größte seiner Art in jüngerer Vergangenheit war, aber längst nicht der einzige. „5600 Brände in Tierhaltungsanlagen pro Jahr, das kann doch so nicht weitergehen.“ Wenn er und seine Fachkollegen aus der gesamten Bundesrepublik genau am Jahrestag zur nächsten Beratung zusammentreffen, werde der Endbericht dazu auf den Tisch kommen, versehen mit Empfehlungen für von der Bundespolitik umzusetzende Maßnahmen. „Ich finde, das ist ein sehr schnelles und gutes Verfahren, das wir entwickelt haben“, lobte der SPD-Mann. „In der Hoffnung, dass solche schrecklichen Brände dann nicht mehr passieren.“

Wird aus den Fehlern gelernt?

Während Enrico Schult bezweifelte, wie die bestehende Betriebserlaubnis aufrecht erhalten werden kann, obwohl das Brandschutzkonzept sich ja offenkundig als fehlerhaft erwiesen habe, wollte der Minister dies keineswegs so unterschreiben. Mit dem Begriff offenkundig könne er nichts anfangen. Stattdessen verwies Backhaus nochmals auf das Ausstehen des endgültigen Gutachtens. „So lange das nicht klar ist, werden wir abwarten müssen, so bitter das auch ist.“ Die damals verbaute Technik allerdings werde in dieser Form heute gar nicht mehr produziert. „Damit kann die Anlage in der Form, wie sie dort gestanden hat, nicht wieder errichtet werden.“

Im Übrigen sei der Betrieb permanent kontrolliert und überwacht worden. Genau am Tag vor dem Großbrand habe es mit drei Tierärzten und Sachverständigen eine sogenannte Komplexkontrolle gegeben – ohne Beanstandungen. Der SPD-Politiker bestätigte, dass es in der Vergangenheit immer wieder Beanstandungen gab. Aber die schreibt er anscheinend dem aus den Niederlanden gekommenen einstigen Besitzer Adrian Straathof zu, gegen den mittlerweile ein Tierhaltungsverbot in Deutschland existiert. „Ich will ausdrücklich sagen, nach dem Wechsel des Unternehmens und der Unternehmenskultur hat es deutliche Veränderungen gegeben. Und es ist auch in den Tierschutz, auch in die Modernisierung der Anlage von Alt Tellin erheblich investiert worden.“