StartseiteRegionalDemminBrieffreundinnen fallen sich nach 40 Jahren in die Arme

Erinnerungen

Brieffreundinnen fallen sich nach 40 Jahren in die Arme

Demmin / Lesedauer: 5 min

Nach langer Sendepause hat eine Demminerin ihre Brieffreundin aus Estland wiedergefunden. Dort trafen sie nach 40 Jahren zum ersten Mal aufeinander.
Veröffentlicht:29.07.2022, 15:57

Von:
  • Christine Gerhard
Artikel teilen:

Auf der Überfahrt von Finnland nach Estland war Viola Kurpchereit gedanklich ganz woanders. In Tallinn würde sie zum ersten Mal der Freundin gegenüberstehen, mit der sie seit 40 Jahren nur über Briefe kommuniziert hatte. Sie war aufgeregt. Wie würde das erste Aufeinandertreffen verlaufen?

Die Demminerin war zwölf Jahre alt, als sie Imbi Soomets kennenlernte, die damals noch Imbi Taube hieß. Ihre Adresse fand sie in der Wochenpost und so schrieb sie nach Estland. Von Imbis Mutter, die sie Jahre später bei einer Dienstreise in Schwerin traf, erfuhr sie, dass rund 200 Briefe bei der zwölfjährigen Estin eingegangen waren. Imbi aber entschied sich für Viola.

Erster Brief erreichte sie im Krankenhaus

Den ersten Brief aus Estland erhielt die Schülerin am 3. Juni 1982, als sie gerade in Greifswald im Krankenhaus lag. An den Umschlag erinnert sich Viola Kurpchereit noch genau: Er war mit einem Schmetterling zugeklebt und Imbi hatte auf Deutsch geschrieben, statt wie von Viola erwartet auf Russisch.

Seitdem korrespondierten sie regelmäßig, schickten sich zwei bis drei Briefe im Jahr, immer mit Fotos. Zu Weihnachten und den Geburtstagen tauschten sie Pakete mit Plüschtieren, kleinen Dekoartikeln und Naschereien aus. Viola Kurpchereit liebte die russischen Süßigkeiten.

Auch interessant: So leidet eine deutsch-russische Brieffreundschaft unter dem Krieg

„Jeder von uns ist drei oder vier Mal umgezogen, aber wir haben uns immer wieder gefunden“, erzählt sie. Viele Kilometer voneinander entfernt verlief ihr Leben parallel: Schulabschluss, Arbeit, Haus, drei Kinder, die alle gerne Sport trieben. Weil die inzwischen erwachsenen Brieffreundinnen in ihren beruflichen und familiären Alltag eingespannt waren, wurde der Kontakt etwas weniger, brach aber zunächst nicht ab. Auch zu den Geburtstagen der Kinder kamen Karten aus dem fernen Land. Bis Imbi irgendwann nicht mehr zurückschrieb.

Vor zwei Jahren im Internet wiedergefunden

„2010 habe ich den letzten Brief von ihr gekriegt“, erzählt Viola Kurpchereit noch immer bewegt. Dass ihre folgenden Briefe unbeantwortet blieben, habe sie sehr mitgenommen. „Ich hatte total damit zu tun“, erklärt sie. Ihre Brieffreundin in Estland vergaß sie nie. Als sie vor zwei Jahren ihren Namen bei Google eingab, entdeckte sie sie wieder und schickte ihren Sohn Tom in die Spur, der bei Facebook angemeldet ist und Englisch spricht. Er nahm Kontakt auf und Imbi, erfreut über die Annäherung, schrieb tatsächlich zurück. Die ersten Facebook-Nachrichten hat Viola Kurpchereit ausgedruckt und in das Album gelegt, in dem sie Imbis Fotos aufbewahrt. Auch die meisten der Briefe und Karten besitzt sie noch. „Imbi hat gesagt, dass sie selbst total traurig darüber war, dass der Kontakt abgebrochen war“, erzählt Viola Kurpchereit. „Sie meinte, es war ihre Schuld. Sie wollte nicht mehr auf Deutsch schreiben.“ Nun kommunizieren die beiden alten Brieffreundinnen über Facebook. Wenn Viola Kurpchereit ein Paket nach Estland schickt, kommt ein Video zurück, in dem Imbis Enkelkinder es gespannt öffnen.

Reisen nach Estland zu DDR-Zeiten unmöglich

Davon und aus den vielen Briefen waren den beiden Frauen die Familien der jeweils anderen vertraut. Doch getroffen hatten sie sich nie. Zwei Versuche, zu DDR-Zeiten nach Estland zu reisen, scheiterten, einer davon im Jahr 1986. „Es war kompliziert“, erinnert sich Viola Kurpchereit. „Wir durften nicht hin, es führte kein Weg nach Estland.“

Vor Kurzem dann schenkte Tom seiner Mutter die Reise nach Finnland und Estland. Die Tochter Romy kam mit, beide hatten schon viel von Imbi gehört. Auf der Fähre nach Tallinn sorgte sich Viola Kurpchereit, wie das erste Zusammentreffen nach so vielen Jahren verlaufen würde. Wäre man sich fremd? Worüber würde man sprechen und vor allem wie? „Ich hatte auch Angst wegen der Kommunikation“, erzählt Viola Kurpchereit. Sie selbst spricht kein Englisch, Imbis Deutsch war in der Zwischenzeit eingerostet.

Wiedergewonnene Freundschaft

„Aber dann war es, als ob wir uns ewig kannten“, erinnert sich Viola Kurpchereit strahlend. „Als wären wir Freundinnen, die sich seit vielen Jahren jede Woche sehen.“ Sie erkannten einander sofort, fielen sich in die Arme. Tränenreich sei das Aufeinandertreffen gewesen, sagt Viola Kurpchereit, und herzlich. Die Gäste aus Deutschland kamen im Haus der Familie unter. „Sie waren so gastfreundlich“, freut sich Viola Kurpchereit. „Wir haben zusammen Blaubeeren gesammelt, als wenn wir eine Familie wären.“ Imbi zeigte ihr ihre Heimatstadt Tartu und das Landhaus in Türi, sie grillten zusammen, wanderten durch ein Moor. Insgesamt 130 Kilometer hätten die deutschen Gäste bei ihrem Aufenthalt zurückgelegt und dabei viele „schöne Eindrücke“ gesammelt, sagt Viola Kurpchereit. Gesprächsthemen hatten die beiden Frauen dabei immer, auch wenn gelegentlich die Kinder oder die Handys übersetzen mussten. „Ich habe schon überlegt, ob ich noch Englisch lernen will“, sagt Viola Kurpchereit.

40 Jahre sollen jedenfalls nicht noch einmal vergehen, bis sie sich wiedersehen. „Mit dem Flugzeug nach Tallinn sind es nur anderthalb Stunden“, hat Viola Kurpchereit festgestellt und Imbi auch nach Deutschland eingeladen. Die wiedergewonnene Freundschaft bedeute ihr viel. „Ich möchte sie nicht missen“, sagt Viola Kurpchereit.