Bundespräsident empfängt Chef der Kartlower Schalmeien in Berlin
Berlin / Lesedauer: 6 min

Zu den rund 70 „normalen“ Bürgerinnen und Bürgern aus ganz Deutschland, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier diese Woche zu seinem Neujahrsempfang ins Schloss Bellevue nach Berlin eingeladen hatte, zählt auch ein Mann aus Quitzerow, der am mittleren Peene- und Tollensetal weithin bekannt ist und den Leuten hier regelmäßig klanglich kräftig was auf die Ohren gibt: Jens Zander, Vereinsvorsitzender und musikalischer Leiter der „Kartlower Schalmeien“. Denn mit dieser Einladung sollte sein über Jahrzehnte dauerndes ehrenamtliches Engagement auf herausragende Weise belohnt werden.
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Wer ihn für diese Würdigung vorgeschlagen hat, ist für den Mann bisher ein Geheimnis, er selbst erfuhr erst Anfang Dezember davon, als plötzlich ein ziemlich offiziell wirkender großer Umschlag in der Post lag. Seine Frau Doreen verdächtigte ihn mit Blick auf das amtliche Aussehen des Kuverts anfangs zwar der Raserei, vermutete ein Blitzer-Foto darin. Doch ihr Gatte war sich da keiner Schuld bewusst und verwies auf den gut zu lesenden Absender – Bundespräsidialamt. Dass dieses sich jetzt auch schon um die Verkehrssünder kümmern muss, erschien ihm unwahrscheinlich, erzählte Zander schmunzelnd dem Nordkurier. Über den Inhalt sei er dann aber trotzdem mächtig baff gewesen, verbunden mit großer Freude und Erwartung.
Führung durchs Schloss Bellevue
Bereits am Montag begann die besondere Berlin-Tour, bekam das Ehepaar aus Quitzerow nach dem Einchecken in einem für sie gebuchten Hotel abends eine Führung durchs Bellevue. Nach dem gemeinsamen Frühstück am folgenden Morgen wurde der Vereinschef dann mit dem Bus erneut dorthin kutschiert – diesmal zu seinem ganz persönlichen Höhepunkt.
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Denn im Rahmen des alljährlichen Defilees bei Frank-Walter Steinmeier und seiner Frau Elke Büdenbender wurde auch Jens Zander aufgerufen und mit kurzen Worten vorgestellt. Und das alles vor zahlreichen Repräsentanten des öffentlichen Lebens, darunter Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Kultur und Zivilgesellschaft. Neben dem Händeschütteln blieb zumindest noch Zeit für einen kurzen Wortwechsel, berichtete er.
Alles begann mit einer Feuerwehrkapelle
Natürlich reichte dieser Moment nicht, um auch nur annähernd die Geschichte seiner „KASCHAKAS“ zu erzählen. Schließlich reicht die bis weit in die DDR und das Jahr des Mauerbaus 1961 zurück, als sich in Kartlow eine Feuerwehr-Kapelle gründete. Wie bei den Brandbekämpfern üblich vor allem mit Schalmeien bestückt, geleitet vom damaligen Bürgermeister Heinrich Müller. Die Aufrechterhaltung des Spielbetriebes gestaltete sich zwischendurch immer mal nicht so einfach.
In den 1980er-Jahren übernahm dann die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB), eine Massenorganisation für die ländliche Bevölkerung, das Ensemble und kleidete es unter anderem neu ein. Damals war bereits Jens Zander dabei, der seine Feuertaufe 1980 mit zehn Jahren erlebte. Doch wie vieles andere geriet die Musiktruppe mit der Wendezeit ebenfalls aufs Abstellgleis und löste sich ohne großen Zapfenstreich sang- und klanglos ins Nichts auf.
Neustart zur 750-Jahr-Feier
Aber die guten Erinnerungen an die alte Zeit blieben und erhielten anlässlich der umfangreichen Vorbereitungen auf die 750-Jahr-Feier des Dorfes 1999 neue Nahrung. Nicht zuletzt durch das Engagement Jens Zanders verbunden mit Überlegungen zu einem Neustart. Was letztlich dazu führte, dass sich unter seiner Leitung tatsächlich 15 Kinder und Jugendliche zum gemeinsamen Üben fanden. Den ersten öffentlichen Auftritt absolvierten sie beim Jubiläumsfestumzug Ende Juni 1999, auch der Nordkurier hielt diesen historischen Moment fotografisch fest. Das Repertoire überzeugte das Publikum so sehr, dass umgehend Anfragen für weitere Konzerte kamen.
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Durch die finanzielle Unterstützung der Gemeinde Kruckow, der sich die Gemeinde Kartlow in jenem Jahr angeschlossen hatte, und des damaligen Amtes Tutow konnten die ersten neuen Instrumente angeschafft werden. Ein Rückhalt, der sich bis heute im Amt Jarmen-Tutow fortsetzt, auch für 2023 sind wieder Gelder im gemeinsamen Haushalt aller Kommunen eingeplant. Überdies darf die Schalmeienkapelle das Gemeindezentrum „Weiße Schule“ in Tutow für ihre Proben nutzen.
Ensemble-Mitglieder von acht bis 70 Jahren
Jens Zander hat es über all die Jahre verstanden, den Verein am Laufen und bei aller Fluktuation einen festen Stamm an Musikern bei der Stange zu halten, Generationenwechsel inklusive. „Wenn alle da sind, sind wir momentan 35. Der Jüngste ist acht, der Älteste siebzig Jahre.“ Seinem künstlerischen und organisatorischen Talent, verbunden mit Einfühlungsvermögen, Humor und einer gezielten Prise Strenge ist es zu verdanken, dass das Ensemble trotz des demografischen Abschwungs in der Region und vieler neuer Freizeitbeschäftigungen gerade für die Jugend weiterhin Attraktivität entfaltet.
Mit seinen dem Zeitgeist und Anlässen angepassten Melodien und Extras bei den Auftritten, wie etwa mit LED-beleuchteten Instrumenten, hat sich die Truppe einen guten Ruf weit über das Heimatrevier hinaus aufgebaut. Nicht umsonst kam sie vor Corona auf 35 bis 40 Veranstaltungen pro Spielzeit.
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Nach den schwierigen Pandemie-Jahren 2020/21, als aus Infektionsschutzgründen die Proben drastisch reduziert beziehungsweise nach draußen verlegt oder sogar ganz gestrichen werden mussten sowie die üblichen Termine für Auftritte gar nicht oder nur eingeschränkt stattfanden, konnten die „KASCHAKAS“ im vergangenen Jahr wieder ordentlich Krach machen. „Da hatten wir schon 26 Auftritte“, berichtete der Vorsitzende. Höhepunkte seien das Kapellen-Treffen in Neetzow und das Blasmusikfestival in Demmin gewesen. Für dieses Jahr hoffen sie, wieder an ihre besten Zeiten anzuknüpfen.
Neue Mitstreiter immer willkommen
„Wir können immer neue Mitglieder gebrauchen“, verdeutlichte Jens Zander in unserem Gespräch. Wer in die laute Klangwelt der Schalmeien und ihrer Begleitinstrumente hineinschnuppern möchte, dürfe sich gerne bei den Orchesterproben in Tutow sehen lassen. Die finden immer donnerstags von 18 Uhr bis 20 Uhr statt.
Am Donnerstag dieser Woche dürfte es indes sicher etwas anders als sonst bei diesen Treffen zugegangen sein, schließlich war der Chef sozusagen frisch aus Berlin zurück – von höchster Stelle. Vielleicht verriet er ja auch den Musikern etwas vom sogenannten Bürgermeisterstück, das beim Drei-Gänge-Menü im Schloss Bellevue als Hauptgericht serviert wurde. So nennen die Fachleute ein besonders zartes Teil vom Rind. Der Koch des Hauses versteht sein Handwerk, urteilte Jens Zander hinterher, kenne aber wohl nicht die vorpommerschen Mägen.
„Das war so wie Designer-Essen, vor allem große Teller. Aber wir hatten zum Glück im Hotel gut gefrühstückt“, witzelte der Quitzerower. Doch letztlich sei er ja nicht wegen des Essens der Einladung in die Hauptstadt gefolgt. Das Foto von ihm mit dem Bundespräsidenten und dessen Frau jedenfalls, das er auf den Nachhauseweg mitbekam, soll einen Ehrenplatz erhalten.