Volkstrauertag
Demminer mahnen mit Kränzen und Worten zu Frieden und Versöhnung
Demmin / Lesedauer: 4 min

Tobias Holtz
Wahrscheinlich weiß heute niemand mehr, wer Johannes Ortmann war, was er liebte, worum er sich sorgte, worüber er lachte oder wovor er sich fürchtete. Sicher ist nur: Er stammte aus dem Kirchspiel Demmin und wurde nicht alt. Ortmann verlor sein Leben irgendwann in den blutigen Tagen des Zweiten Weltkriegs und liegt jetzt bestattet auf dem Demminer Friedhof in der Jarmener Straße im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte.
Gedenken an 80 schlichten Steinplatten
Eine schlichte, von Efeu umwachsene Steinplatte liegt auf seinem Grab, so wie auf den anderen 79 gleichartigen Gräbern der Anlage. Auf manchen stehen kaum noch lesbare Namen, auf anderen nur „unbekannter Soldat“. Dazwischen verlieren sich an diesem Sonntagmorgen rund 30 Menschen mit aufgespannten Schirmen. Als der Posaunenchor der Evangelischen Gemeinschaft die ersten Chörale anstimmt, drohen den Musikern die Blätter von den Notenständern zu wehen. Oder sich im strömenden Regen einfach in Nichts aufzulösen. Das Wetter, so schien es den Anwesenden, ist dem Anlass entsprechend: Volkstrauertag.

Vertreter aus der Stadtverwaltung sowie der Kommunal- und Landespolitik sind gekommen, der Kirche, Angehörige der Bundeswehr, des Reservistenverbandes, des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und Bürger, um gemeinsam den unzähligen Toten der vergangenen und gegenwärtigen Kriege zu gedenken.
So habe der russische Überfall auf die Ukraine den Krieg 77 Jahre nach dem Waffenstillstand nicht nur zurück nach Europa gebracht, sondern auch in das Bewusstsein der Menschen, wie der Demminer Ortsverbandsvorsitzende des Volksbundes, Ernst Wellmer in seiner Gedenkansprache in der Friedhofskapelle hervorhob. „Mit Milliarden für die Aufrüstung soll auch die Bundeswehr wieder 'kriegstüchtig' werden. Krieg ist für viele Deutsche keine bloße Vokabel aus den Geschichtsbüchern mehr“, betonte Wellmer.
In der Ukraine würde die größte Fluchtbewegung seit 1945 stattfinden. Zehntausende von Toten und Verwundeten sind zu beklagen. Frauen und Kinder, Alte und Schutzlose. „Menschen, die ihre Heimat verteidigen und Menschen, die von einem Despoten in den Kampf geschickt wurden“, brachte es der Ortsverbandsvorsitzende auf den Punkt.
„Krieg führt immer in die Katastrophe“
Aber auch der Krieg in Israel und Gaza habe zahllose Opfer gefordert. Rund 250 Kinder, Frauen und Männer sind seinen Ausführungen zufolge nach Geiselnahmen in den Gazastreifen entführt, etwa 1200 Zivilisten und Soldaten beim Angriff der radikal-islamischen Terror-Organisation Hamas auf das Staatsgebiet Israels ermordet worden. „Es handelt sich um den größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust. Täglich gibt es auch hier neue Opfer, die Zivilbevölkerung flieht“, machte Wellmer den Ernst der Lage deutlich.

Diese furchtbaren Ereignisse würden uns einmal mehr vor Augen führen, dass Krieg immer in die Katastrophe führt, so Wellmer. Davon zeugen auch die 2,8 Millionen Toten auf den über 830 Kriegsgräberstätten, die sich aktuell Obhut des Volksbundes befinden. Deswegen sei es heute wichtiger denn je, sich aktiv gemeinsam für den Frieden zu engagieren, Vorurteile abzubauen und freiheitliche und menschenwürdige Lebensbedingungen dort zu erkämpfen, wo es sie nicht gibt, und sie dort zu verteidigen, wo sie angegriffen werden.

„Unser Gedenken ist zugleich ein Warnruf, ein immer neuer Anstoß, uns der Vergangenheit zu stellen, sie lebendig zu halten und insbesondere aus ihr zu lernen. Das sind wir den Opfern schuldig, aber auch uns selber und unseren Nachkommen, die im wachen Wissen um die Geschichte und im Frieden aufwachsen mögen“, schloss Wellmer seine Rede.
Die zahlreichen Kränze und Blumengebinde, die im Anschluss an der Stele auf dem 45er Gräberfeld niederlegt wurden, sind somit auch als mahnendes Zeichen für die Gegenwart und Zukunft zu verstehen. Demmins ehemaliger Bürgermeister Michael Koch sprach sich in seinem Totengedenken gegen jegliche Form von Hass und Gewalt aus, verwies auf die Hoffnung zur Versöhnung unter den Völkern und hob die eigene Verantwortung für den Frieden zu Hause und in der ganzen Welt hervor. Denn der Frieden kommt nicht einfach von allein, er kann nur auf der Grundlage des gegenseitigen Respekts und gemeinsamer Lösungen gelingen.