Landleben

Ein Dorf im Schnittpunkt von Natur, Kultur und Politik

Hohenbüssow / Lesedauer: 6 min

In Hohenbüssow kommt einiges zusammen: Die Verbundenheit mit der Natur und das ursprüngliche Leben auf dem Dorf treffen auf viel Kultur – und den gelebten Protest.
Veröffentlicht:23.04.2022, 13:10
Aktualisiert:23.04.2022, 15:59

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Es gibt im Tollensetal drei Dörfer, die einen ganz bestimmten Schlag von Menschen anziehen: Wietzow, Tückhude und Hohenbüssow. Die Orte haben den Ruf, besonders viele alternativ lebende Menschen anzuziehen. Das hat unter anderem auch damit zu tun, dass sie unweit von Alt Tellin liegen – und der mittlerweile abgebrannten Schweinezuchtanlage.

Der Wunsch auf ein unbeschwertes Leben am Rande oder gar mit der Natur ist in Hohenbüssow spürbar. Alina Wander und Simon Günzel wohnen seit 2016 im ehemaligen Gutshaus, dass sich das Paar mit einer anderen Familie kaufte. Während sie in Flensburg geboren wurde, wuchs er in Wietzow auf. Getroffen haben sich beide beim Studium in Halle. Wander studierte Kultur und Medien, Günzel Geographie und Wirtschaft.

Viele rosa X-Kreuze

Beide arbeiten heute freiberuflich als Projektleiter in Kultur- und Umweltwerkstatt „WaWiTo” (Wald, Wiese und Tollense) in Tückhude, sie als Kulturpädagogin und er für Umweltbildungsprojekte und Workcamps. Dass Günzel und Wander hier in Hohebüssow leben, ist aber kein Zufall. „Für uns ist die Natur ganz wichtig, dazu die Menschen im Dorf. Hier wird noch viel miteinander geredet“, sagt Simon Günzel.

„Wir haben hier ein großes Miteinander und die vielen Kinder haben viel Platz zum Spielen“, ergänzt Alina Wander. Hohenbüssow ist ein Ort der Kultur und zugleich ist die Kritik an der Agrarindustrie sehr groß. Wenn man durch die Straße läuft, sieht man viele rosa X-Kreuze, das Symbol des Protestes gegen die Ferkelaufzuchtanlage in Alt Tellin. Wander weist auf das ProVieh-Theater hin, das gegenüber dem Gutshaus seinen Platz hat. Weiter sorgen ihre Nachbarn Imre Bruck und Lisa Gehrlach mit ihrem Wandercafé und dem Apfelfest für kulturelle Höhepunkte. „Vielen Einwohnern in Hohenbüssow sind diese kulturellen Veranstaltungen sehr wichtig. Zudem liegen Klempenow, Tückhude und Broock ganz in der Nähe, wo viele weitere Kulturveranstaltungen stattfinden“, berichtet Alina Wander.

Wohnen im Badehaus

Hohenbüssow war sogar mal ein Heilbad, besaß ein Gesellschaftshaus mit einem Badehaus, das etwa 1826 gebaut wurde. Heute wohnen dort Møne und Olaf Spillner. Bereits 1985 zogen beide dort ein, konnten das Anwesen aber erst nach der Wende kaufen. In seinen 66 Lebensjahren hat Spillner viel erlebt: Ab 1972 war er für fünf Jahre Betriebselektriker im AKW Lubmin, danach arbeitete er im Tierpark Stralsund und seit der Wende als Maler und Fotograf. 1992 konnte Spillner eines seiner Bilder auf der Expo 1992 im spanischen Sevilla ausstellen.

Møne und Olaf Spillner lernten sich 1977 in Dresden kennen und sind seitdem ein Paar. Das Landleben der Stadt vorzuziehen, so Spillner, war eine bewusste Entscheidung. „Wir haben an vielen Orten gelebt. Aber Hohenbüssow ist der Ort, wo wir die längste Zeit gelebt haben und daran wird sich auch nichts ändern“, betont Olaf Spillner.

Kritik an Mastanlage

Dabei brachte das Jahr 2005 große Veränderungen mit sich, als bekannt wurde, dass in Alt Tellin die riesige Ferkelaufzuchtanlange entstehen soll. Beide beteiligten sich an den Protesten gegen die Mastanlage, er verbindet seinen politischen Widerstand mit seiner künstlerischen Arbeit und bringt unter anderem die Tollensetaler Stimme heraus. „Wenn es um Widerstand geht, ist Gewaltfreiheit im Grunde die einzige Option. Gerade mit Kultur kann man einen friedlichen Widerstand leisten“, behauptet Olaf Spillner.

„Essen ist politisch“ steht an der Eingangstür des ProVie-Theaters von Leo Kraus (63). Er kam 2000 mit seiner Lebenspartnerin Susan Eichloff (53) nach Hohenbüssow. Damals war er noch Schauspieler am Kammertheater in Neubrandenburg und der ehemalige Speicher gehörte dem Schweizer Felix Klay. Dieser Spruch hat für Kraus eine Bedeutung, denn er ernährt sich seit 40 Jahren vegetarisch. „Das war eine politische Entscheidung, da ich keine Tiere esse, die aus der industriellen Massenproduktion stammen. Und wenn man Fleisch kauft, dann weiß man nicht, wie die Tiere gehalten worden sind“, begründet Leo Kraus seine Entscheidung.

Selbstversorger mit Lehmbackofen

Anfangs half er Klay beim Aufbau der Kulturstätte, kaufte 2004 den Speicher und gründete das proVie-Theater. Eichloff widmet sich vor allem dem Garten. Dort steht der Sommerpavillon in einer idyllischen Landschaft, die allein beim Anblick für Ruhe sorgt. Die beiden setzen zu einem Teil auf Selbstversorgung mit ökologischem Anspruch. Neben den Beeten befinden sich ein Lehmbackofen und ein Solarkocher in dem Garten, mit dem man bei viel Sonnenschein ganz klimaneutral seine Speisen zubereiteten kann. „Ich wollte Photovoltaikanlagen auf das Dach des Speichers bauen lassen, doch das ist aus Denkmalschutzgründen nicht erlaubt worden“, berichtet Theo Kraus.

Verwundert ist so mancher über den Theaternamen und fragt sich, wie man so eine Stätte pro Vieh nennen kann und dabei einfach das h weglässt. Wie Kraus erklärt steht das pro für provisorisch, Provinz und Improvisation. Das vie kommt wiederum aus dem französischen und heißt übersetzt für das Leben. Die Inneneinrichtung ist zwar recht einfach gehalten, besitzt aber einen sehr schönen Saal. Dieser wird gerne von Gruppen von außerhalb genutzt, erst im April hatte eine Aikido-Gruppe aus Strausberg bei Berlin hier ihr Training aufgeschlagen.

„Leben wie in Bullerbü”

2016 schlug Antje Maurer, die Lebenspartnerin des verstorbenen Sängers der DDR-Rockband Stern Combo Meißen, Reinhard Fissler, mit ihrer Berliner Artistik-Gruppe „Die Drehwürmer“ hier ihr Sommerlager auf. „Ich sehe in dem proVie-Theater ein soziokulturelles Zentrum mit Radler Cafe, dass zum Treffpunkt für die ganze Region wurde. Zudem kommen eben viele von weiter her angereist, besonders aus Berlin“, freut sich Leo Kraus.

Im Sommer findet hier die Liedermacherwerkstatt statt, die eine Woche lang dauert, und erheblich für den überregionalen Bekanntheitsgrad beigetragen hat. Im proVie wird neben Konzerten natürlich auch Theater gespielt. Zudem hat sich auch politisch das proVie weiterentwickelt. Während Kraus anfangs eher eine Mitläuferrolle im Protest gegen die Anlage in Alt Tellin einnahm, verstärkte sich seit dem Brand sein Engagement. So finden im Saal des proVieh-Theaters Treffen des Aktionskreis Alt Tellin statt, um die Ideen eines Neuaufbaus gleich im Keim zu ersticken. Aber welche Gründe gibt es noch, warum Kraus und Eichloff hier in Hohenbüssow leben wollen? „Es ist die dörflich Ruhe, die uns gefällt. Da sind die jungen Familien mit den vielen Kindern, die das Leben wie in Bullerbü vorkommen lassen. Man kann hier ein Dorfleben genießen, so wie es früher einmal war“, antwortet Leo Kraus.