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Dorfgeschichten

Ein Leben in Harmonie am Rande der Natur

Gatschow / Lesedauer: 6 min

Wenn Menschen mit einer anderen Lebenseinstellung in ein fremdes Dorf ziehen, sorgt das in vielen Fällen für Unruhe. Ganz anders sieht es in Gatschow aus.
Veröffentlicht:17.09.2022, 17:30

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„Es herrschte eine friedliche Abendstimmung. Alles war ruhig. Tief entspannt ging ich vom Oszug herunter ins Dorf“, beschreibt Georg Diesing für sich die Stimmung in Gatschow. Os kommt aus dem Slawischen und bedeutet Wallberg, eine wallartige Geländeerhebung aus der Eiszeit, die damals hinter dem Dorf entstanden ist. Dort liegt auch der Teufelsstein, für manche das Wahrzeichen von Gatschow. Der ist aber nur ein Bruchteil so groß wie der in Altentreptow.

Allein der Blick in die weite hügelige Landschaft sorgt bei ihm für eine gelassene Grundstimmung. Hier am Oszug hat er schon viele Stunden verbracht, nicht weil er gestresst war, sondern von Beruf Schäfer ist und rund 500 Schafe betreut. Ihm zu Seite stehen die beiden Hunde Dux und Boudi. „Ein Grund für die Beweidung durch Schafe ist die naturschonende Landschaftspflege, gerade an extensiven Standorten“, erklärt Georg Diesing.

Grundstück einst vermüllt, Häuser heruntergekommen

Seit 2012 lebt er in Gatschow und kaufte sich fünf Jahre später eine Haushälfte dort, wo die herrliche Landschaft an der sandigen Dorfstraße endet. Keines der Häuser wirkt störend, passen sich vielmehr dem harmonischen Dorfbild an. Einzelne Bauwagen sind zu sehen. Es gab eine Zeit, wo auch Diesing im Sommer im Bauwagen übernachtete. „Es ist schon ein tolles Gefühl, wenn morgens vor dem offenen Fenster die Sonne aufgeht und der Pirol singt“, schwärmt der Schäfer.

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Bereits ab 2005 wohnte er für zwei Jahre in Gatschow. Das damalige Grundstück war vermüllt und die Häuser heruntergekommen. Mit seinen Freunden begann er, das Anwesen vor dem Verfall zu retten. Heute wohnen hier vier Erwachsene mit ihren beiden Kindern. Besser bekannt ist der Hof unter dem Namen Landkombinat e. V. Ihr Angebot ist eine breite Mischung mit dem Ziel, umweltschonend auf dem Lande zu leben.

„Im Grunde ist das Landkombinat mit der Zeit gewachsen und hat sich langsam aber stetig entwickelt. Einer unser Mitbewohner wollte gerne mal Apfelsaft selber herstellen und daraus entstand dann die Mosterei. So entwickelte sich auch das Repair-Café, das immer am ersten Freitag im Monat geöffnet hat“, schildert Wibke Seifarth, die hier mit ihrem Lebenspartner Stefan und Tochter Karla lebt.

Ursprünglich aus Thüringen und Postdam

Ursprünglich kommt sie aus Thüringen und kam vor zwölf Jahren in die Region. Zwei Jahre später zog sie in das Landkombinat ein. In Eberswalde hat Seifarth Naturschutz mit dem Schwerpunkt Umweltbildung studiert. Die weiten Naturlandschaften sieht sie als einen faszinierenden Freiraum an, der Seifarth bewog, nicht nach Thüringen zurückzukehren. Vielmehr möchte sie mithelfen, den Menschen zu zeigen, in welch schönem Landstrich sie hier leben. Deshalb beteiligt sie sich an vielen ökologischen und auch sozialen Projekten.

Mittlerweile haben auch Schulen das Landkombinat für sich entdeckt, kommen in unregelmäßigen Abständen mit ihren Klassen vorbei. „Das Landkombinat ist ein Ort der Begegnung, um gemeinsam zu lernen und zu arbeiten. Gerade junge Leute kommen hierher, um vorübergehend auf dem Hof zu leben und so Inspirationen zu bekommen“, so Wibke Seifarth.

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Seit gut zwei Jahren lebt auch Martha Zimmermann auf dem Hof, die aus der Nähe von Potsdam nach Gatschow zog. Die Verbindung zum Landkombinat besteht aber schon seit über fünf Jahren. Sie kümmert sich hauptsächlich um den Gemüsegarten, der Ernte regional direkt vermarktet werden. Dabei wird auf biologischen Anbau gesetzt, Glyphosat und sonstige Chemikalien sind tabu. Das heißt aber nicht, dass auch ihre Gemüsepflanzen vor Wildpflanzen geschützt werden. „Ich lege um unsere Gemüsepflanzen Schafswolle aus, sodass dort keine anderen Pflanzen wachsen können. Das hat neben diesem Effekt aber auch noch weitere Vorteile. Die Schafswolle hält zudem die Feuchtigkeit im Boden und ist zugleich ein ökologischer Dünger“, weiß Martha Zimmermann.

Mittlerweile wohnen zahlreiche Menschen mit alternativen Lebensvorstellungen hier in Gatschow, wie der für seine politischen Aktionen über die Region hinaus bekannte Heinz Wittmer. Die „Alternativen“ bewohnen hauptsächlich die Häuser in „Alt-Gatschow“, während in den neuen Häusern entlang der L 27 sehr viele junge Familien leben. Trotzdem kann man nicht sagen, dass das Dorf zweigeteilt ist. Vielmehr herrscht ein großes Miteinander, egal welche Ideen jemand mit ins Dorf bringt. Es wird gemeinsam gefeiert und auch zusammen gegessen, wie man am 1. Mai sehen konnte. An dem Tag gab es ein Straßenfest mit einem gemeinsamen Frühstück entlang des Sandweges durch den alten Dorfkern.

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Gemeinsam Schlaglöcher reparieren

Und dann ist da noch der jährliche Arbeitseinsatz, an denen sich viele Gatschower beteiligen. Bei diesem werden die Schlaglöcher des Sandweges ausgebessert, was die Kommunikation und das Gemeinschaftsgefühl stärkt. Wie Georg Diesing hervorhebt, ist die Hilfsbereitschaft unter den Einwohnern sehr groß. Wenn er mal ein Werkzeug braucht, kann er sich das problemlos beim Nachbarn ausleihen. Auch wenn er so mal Hilfe benötigt, gibt es immer jemanden, der mit anpackt. „Wir vom Landkombinat suchten von Anfang an den Kontakt zu den anderen Dorfbewohnern, das ist uns sehr wichtig, und ist uns auch gelungen“, fügt Wibke Seifarth hinzu.

Ein Dorf, wo noch miteinander gesprochen wird

„Wir sind ein Dorf, wo noch miteinander gesprochen wird“, stimmt der Gemeindevertreter Carsten Hartwig dem zu. Bevor die Alternativen Gatschow für sich entdeckten, war er schon da, kaufte 1996 sein Haus, lebt hier zusammen mit seinem Vater Klaus sowie seinem Hund Booker. Der Vorgarten, ein gepflegter Rasen. Seitlich der Eingangstür stand mal eine Tanne, von der nur noch ein Stumpf übrig geblieben ist. Auf dem steht eine Blumenschale mit roten Geranien.

Wie Hartwig weiß, gab es in der Anfangszeit eine Skepsis gegenüber den Alternativen. Unter anderem deshalb, so der Landmaschinenschlosser, weil die Menschen es gewohnt waren, morgens zur Arbeit zu gehen. Das taten nicht alle der neuen Dorfbewohner. Doch mittlerweile ist das überhaupt kein Thema mehr, weil man sich respektiert. „Jeder soll doch so leben, wie er möchte, so lange er der Gesellschaft keinen Schaden zufügt“, sagt Carsten Hartwig.

Er sagt von sich selbst, es ist ein Glück an diesem Teil der Erde zu leben. Er wohnt gleich neben dem Landkombinat. Da hat sich nichts groß geändert. Die Häuser sind die gleichen geblieben, sehen jetzt gepflegter aus, nur die Menschen, die da drin wohnen, sind andere mit neuen Ideen. Mag sein, dass durch die Neuen auch sein Lebensstil und sein Konsumverhalten sich etwas verändert hat. „Ich muss nicht immer was Neues haben. Bei mir muss auch nicht alles neu sein. Vielmehr widerstrebt es mir, wenn sich alles immer wieder verändert.“