Schweinezucht-Inferno

▶ Greenpeace findet Dioxine in Brandresten von Alt Tellin

Alt Tellin / Lesedauer: 3 min

Wenn Landwirtschaftsminister Backhaus am Freitag in Sachen Schweinezucht nach Alt Tellin kommt, werden ihn auch eine Menge Proteste erwarten – zusätzlich angeheizt durch Untersuchungen von Greenpeace.
Veröffentlicht:30.04.2021, 07:17
Aktualisiert:06.01.2022, 21:52

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Während sich die Behörden seit dem Brand in Europas einstmals größter Ferkelfabrik auffällig zurückhaltend zu den Folgen der Katastrophe und eventuellen Gefahren für Mensch und Natur äußern, liefert jetzt zumindest Greenpeace einen deutlichen Fingerzeig dafür, dass hier längst nicht alles harmlos ist. Mitstreiter der Umweltschutzorganisation hatten unmittelbar nach dem Unglück am 30. März Proben von Baustoffresten genommen, die mit der riesigen Qualmwolke stundenlang und kilometerweit über die Umgebung verteilt wurden. Offenbar verkohlte Kunststoffverbindungen, die eine Dioxin-Belastung aufweisen. Auf dem benachbarten Acker wurden sie großteils wieder aufgesammelt, wie der betroffene Landwirt dem Nordkurier berichtete. Ob das allerdings auch in der übrigen „Flugschneise“ passierte, erscheint angesichts der Mengen und Ausdehnung fraglich.

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„Wir haben das analysiert und dabei Polychlorierte Dibenzodioxine und Dibenzofurane festgestellt“, berichtete am Donnerstag Greenpeace-Laborexperte Manfred Santen dem Nordkurier. Also jene Verbindungen mit der Abkürzung PCDD und PCDF, die im allgemeinen Sprachgebrauch als Dioxine bezeichnet werden. Nur schwer in der Natur abzubauen, können sie sich über die Nahrungskette in lebenden Organismen anreichern und so nachhaltige Schäden anrichten. Angesichts der Gebäudeisolierungen und der Kunststoffteile beispielsweise für die Spaltenböden geht die Organisation davon aus, dass bei dem Feuer in dem mehr als 4,5 Hektar großen Stallkomplex jede Menge Schadstoffe entwichen und ja irgendwo geblieben sein müssen.

In den zwei Stichproben gab es zwar „keine wahnsinnig hohe Konzentration“ an Dioxinen, wie Chemiker Santen erläuterte. Aber weder sollte so etwas in den Boden eingearbeitet werden noch mit Tieren in Kontakt kommen. In Gärten oder auf Spielplätzen habe es schon gar nichts verloren. „Ich denke, man muss sich das noch mal ein bisschen genauer anschauen.“ Die Befunde gäben auf jeden Fall Anlass zu weiteren Untersuchungen und Nachfragen, von Entwarnung könne keine Rede sein.

Backhaus stellt sich vor Ort Fragen der Öffentlichkeit

Die Veröffentlichung dieser Analyse kommt sozusagen genau passend zu einem Lokaltermin von Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschafts- und Umweltminister Till Backhaus (SPD). Er will sich am heutigen Freitag von 12.30  Uhr an etwa eine Stunde lang die Ruine anschauen, im Schlepptau seine eigenen Fachleute und Vertreter des Staatlichen Amtes für Landwirtschaft und Umwelt. Im Anschluss hat sich der Ressortchef bereit erklärt, vor dem Tor Fragen von Bürgern, Organisationen und Initiativen zu beantworten. Sie wollen das ganze Programm mit Protesten samt Aktionen und Musik begleiten – unter dem Motto „Gegen Tierfabriken“.

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Für 14.30  Uhr bis 16.30  Uhr plant der Politiker in der Bauernstube des Jarmener Ortsteiles Neu Plötz eine Zusammenkunft mit Gemeindevertretern aus Alt Tellin, in deren Gemarkung sich die Schweinezucht befindet. Nach Nordkurier-Informationen soll zumindest aus Daberkow und der Peenestadt jeweils ein weiterer Vertreter zugelassen sein, sind beide Kommunen doch direkte Anlieger und teils noch mehr von den Auswirkungen des Betriebes betroffen. Anschließend stellt sich Backhaus den Fragen der Öffentlichkeit und den Medien – bis voraussichtlich 18  Uhr.

Nicht wenige Kritiker machen den Minister mitverantwortlich für die Ansiedlung der Agrarindustrie am Tollensetal, auch wenn er zuletzt und gerade nach dem verheerenden Brand genau das Gegenteil Glauben machen wollte. Die Gemeindevertretungen von Daberkow und Alt Tellin jedenfalls haben bereits in der Folge der Katastrophe Protestnoten verabschiedet und vor allem die Einziehung der Betriebsgenehmigung gefordert. Wie mit dem Betreiber umzugehen ist, darüber indes herrschen recht unterschiedliche Ansichten.

Sehen Sie hier einen Videobericht des Nordkurier vom Tag der Katastrophe: