Selbstversuch

Lohnt sich das Pendeln mit dem 9 Euro-Ticket?

Demmin / Lesedauer: 4 min

Trotz Preissenkungen – wirklich günstig ist der Sprit weiterhin nicht. Für Entlastung soll auch das sogenannte 9 Euro-Ticket sorgen. Doch wie praktikabel ist das?
Veröffentlicht:06.06.2022, 18:57

Von:
  • Christine Gerhard
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Seit ein paar Tagen gilt das 9 Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland. In Demmin sind Bilder von heillos überfüllten Bahnhöfen und verstopften Zügen bislang ausgeblieben, wohl auch weil nordwärts wegen Baumaßnahmen der Bahn weiter Schienenersatzverkehr herrscht. Aber wie sieht es an den Bushaltestellen der Pendler-Region aus? Hat das Ticket Autofahrer animiert, auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen? Und wie funktioniert das Pendeln mit Bus und Bahn hierzulande?

Mehr, aber nicht so viele wie gedacht

8.15 Uhr, Busbahnhof Greifswald: Die Abfahrtszeit ist die gleiche wie sonst, bloß die Ankunft in Demmin wird 15 Minuten später sein als beim Pendeln mit dem Auto. Kein Problem, immerhin kann man im Bus schon einmal ein paar E-Mails checken. Oder die Landschaft betrachten. An den Haltestellen der Dörfer rollt der Linienbus der VVG vorbei. Sie sind alle leer. Vier Passagiere sind in Greifswald eingestiegen, ab Loitz sind es dann 14. Ein bisschen mehr Fahrgäste habe er seit Einführung des Tickets schon, berichtet Fahrer Steffen Hinz. „Aber nicht so viele wie gedacht“. Die 9  Euro-Monatskarte nutzten hauptsächlich die, die ohnehin mit dem Bus führen, darunter auch Berufspendler. Dabei sei das Angebot „finanziell ein schöner Anreiz“, findet Hinz. 13,50 Euro würde die Busfahrt von Greifswald nach Demmin und zurück normalerweise kosten. Das 9 Euro-Ticket, das Bürger in Zeiten gestiegener Treibstoffpreise entlasten soll, gilt den ganzen Monat auf allen Nahverkehrsstrecken Deutschlands. Entsprechend hoch war der Andrang beim Vorverkauf vor allem in den großen Städten.

Aktuelle Zahlen erst am Monatsende

Bei der MVVG, die den Landkreis Mecklenburgische Seenplatte bedient, seien im Mai etwa 1400 der 9 Euro-Tickets erworben worden, erklärt Geschäftsführer Torsten Grahn. „Die meisten aber nicht in Demmin oder in den Bussen, sondern in der Mobilitätszentrale in Neubrandenburg.“ Aktuellere Zahlen würden zwar erst am Monatsende errechnet, doch: „Das Angebot wird ziemlich flott angenommen“, berichtet Grahn. Eine Überlastung gebe es derzeit aber noch nicht. „Auf einigen Strecken fahren ein paar mehr Leute, aber es geht erst los“, meint der Geschäftsführer. Er gehe davon aus, dass sich die Auslastung in den Ferien durch touristische Fahrten noch deutlich erhöhe.

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Zwei Familien in der Linie 303 hätten auch ohne das 9 Euro-Ticket den Bus nach Demmin genommen. Eine Frau besucht ihre Mutter, eine andere möchte mit ihren Kindern Schulsachen kaufen und besitzt kein Auto. Beide fahren die Strecke regelmäßig, für sie ist das Angebot eine finanzielle Erleichterung.

Früher als üblich aufbrechen

„Das 9 Euro-Ticket im ländlichen Raum ist garantiert erfolgreich für alle, die sowieso schon die Bahn nutzen, für alle anderen wahrscheinlich weniger“, meint Hans Schommer vom Verein Törpiner Forum, der mit dem Bürgerbus vor allem für die Dörfer eine kostenlose Alternative zum ländlichen Liniennetz anbietet. „Die Versorgungsnetze haben im Zeitrahmen so viele Lücken, dass sie für Berufstätige im Besonderen kaum zu nutzen sind“, weiß Schommer. Er hoffe auf eine Verdichtung, auch in Bezug auf die Bahn. Zu begrüßen ist das Angebot aus seiner Sicht aber trotzdem.

Tagsüber mehr Fahrgäste als üblich

Weil das 9 Euro-Ticket für den fahrplanunabhängigen Ilse-Rufbus, der von den regionalen Verkehrsunternehmen als Ergänzung des Linienverkehrs im dünn besiedelten Raum eingesetzt wird, nicht gilt, müssen Pendler zwischen Demmin und Greifswald schon früher als üblich aufbrechen. Das scheinen aber wenige auf sich zu nehmen: Außer der Testperson und dem Fahrer sitzt niemand weiter im Bus Richtung Jarmen. Tagsüber seien es merklich mehr Fahrgäste als sonst, berichtet Thomas Verch. Auf manchen Fahrten habe sich die Zahl verdoppelt, teilweise sei die Auslastung sogar noch stärker gestiegen. Auf einer Strecke, die sonst fünf Passagiere nutzten, hätten zuletzt 27 im Bus gesessen. Viele Flüchtlinge aus der Ukraine, die seit diesem Monat nicht mehr umsonst mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren dürfen, seien mit dem 9 Euro-Ticket unterwegs. Gegen Abend jedoch ist von der höheren Auslastung kaum mehr etwas zu spüren. „Die Leute kommen sonst nicht mehr nach Hause zurück“, erklärt der Busfahrer.

Ankunft mehr als eine Stunde später als sonst

Apropos nach Hause kommen: Um 17 Uhr fährt der Bus am Demminer Bahnhof ab, wo viele junge Bahnreisende mit Rucksäcken auf ihren Anschluss mit dem Schienenersatzverkehr warten. Um 19.30 Uhr ist geplante Ankunft in Greifswald, mehr als eine Stunde später als sonst. Anderthalb Stunden der Reisezeit entfallen allein auf den Umstieg in Jarmen. Eine gute Gelegenheit, sich einmal ausgiebig in der Stadt umzusehen, für den Pendleralltag aber wenig praktikabel.

Und mit dem Zug? Der fährt, wenn er denn wieder fährt, über Stralsund. Etwa anderthalb Stunden würde die Heimfahrt mit dieser Verbindung dauern.