Häusliche Gewalt
Martyrium in der Ehe – eine Frau packt aus
Demmin / Lesedauer: 6 min

Kai Horstmann
In diesen Tagen bereiten sich die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle für Betroffene häuslicher Gewalt Demmin auf die Anti-Gewalt-Woche rund um den 25. November vor, den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen.
Die Leiterin Gundula Schwanke erfährt immer wieder, wie Menschen zerbrochen werden. Sie möchte die Bevölkerung sensibilisieren, dass man nicht wegschaut, wenn Kinder, Frauen, oder auch Männer geschlagen werden. „Weite Teile der Bevölkerung glauben, dass so etwas hier nicht passiert. Das stimmt aber leider nicht. Man bekommt es meistens nicht mit oder sieht weg“.
Mit einer neuen Liebe ins Demminer Land
Betreut wird unter anderem eine Frau namens Sonja* (*Name von der Redaktion geändert), die in einem kleinen Ort im Demminer Umland wohnt. Wenn man sie auf der Straße sieht, mag man nicht denken, dass ihr Leben durch jahrelange häuslicher Gewalt fast ausgelöscht wurde. Stellvertretend für andere Betroffene hat sie dem Nordkurier ihre bewegende Geschichte erzählt.
Sonja kam nach eigener Erzählung aus einem anderen Bundesland, arbeitete zunächst in einem Krankenhaus und dann als Sekretärin bei einer Spedition. Sie war bereits verwitwet und lernte irgendwann auf der Arbeit einen LKW-Fahrer kennen. „Ich dachte, es wäre die große Liebe meines Lebens“, sagt Sonja heute.
Sie habe über ein kleines Erbe verfügt, eine Pensionsrente bezogen und sich entschlossen, der Großstadt zu entfliehen. Stattdessen habe sie gemütlich und ruhig auf dem Land wohnen wollen. Ihre neue Liebe schlug ihr dafür seine ehemalige Heimat vor: Vorpommern. In der Nähe von Demmin fanden beide ein Haus, was Sonja bezahlte. Die Zukunft sah rosig aus.
Das eigene Haus dem Partner überschrieben
„Aber irgendwann kam der Zeitpunkt, wo mein Lebenspartner schwierig wurde“, blickt Sonja zurück. Er habe sie dazu gedrängt, ihn zu heiraten. Obwohl sie befürchtet habe ihre Unabhängigkeit zu verlieren, habe sie aus Liebe und im Vertrauen auf eine gemeinsame Zukunft doch zugestimmt.
Dann kamen Pläne auf, das Haus aus- und umzubauen. Dazu benötigte das Paar einen Kredit, um Fördermittel in Anspruch nehmen zu können. Doch das war mit Schwierigkeiten verbunden. „Er kam von der Bank nach Hause und erklärte, dass man nur einem Partner einen Kredit geben könne.“ Da er als Lkw-Fahrer Geld verdiene und sie zurzeit „nur“ Hausfrau sei, könne nur er das sein. „Ich weigerte mich anfangs, dann setzte er mich unter Druck, ich solle ihm mein Haus überschreiben. Und dann machte ich meinen größten Fehler und tat das wirklich.“
Notarin blieb zum Glück in einem Punkt hartnäckig
Die Notarin habe sie noch gewarnt und darauf hingewiesen, dass eine Ehe zerbrechen können. Zum Glück habe die erfahrene Justiziarin sich wenigstens in einem Punkt durchgesetzt ihr ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt. „Ich habe ihm vertraut und bis dahin waren wir meiner Meinung nach glücklich“, erinnert sich Sonja zurück.
Aber seine Gewalt sei ein schleichender Prozess gewesen. „Anfangs waren es lediglich kleine Rempler, dann setzten die ersten Schläge ein. Blaue Flecken waren noch harmlos.“ Als Sonja ein blaues Auge davontrug, es war gerade Herbst, habe sie ihren Nachbarn erzählt, dass ein Apfel von ihrem Baum auf ihr Auge gefallen sei. Aber eines Tages habe ihr gewaltbereiter Partner mit einer Kartoffelhacke so hart zugeschlagen, dass er Sonja das Wadenbein brach. „2013 reichte ich die Scheidung ein. Er bedauerte den Vorfall und ich zog die Scheidung wieder zurück“, schildert sie ihr weiteres Schicksal.
Schritt für Schritt psychisch zerstört
Sie beschreibt sich als einen Menschen, der Schritt für Schritt psychisch zerstört wurde. Sie habe kein Selbstwertgefühl mehr gehabt, Fehler oft bei sich selbst gesucht. Ihr Mann habe bald wieder weitergemacht wie zuvor.
Und dann kam ein Tag im Februar, der Sonjas Leben veränderte. Er habe sie gewürgt und auf sie eingeschlagen. Sonja wählte den Notruf. Sie habe aber nichts mehr sagen können, sei zusammengebrochen und ins Koma gefallen. Die Notrufzentrale habe die Polizei gerufen. Die Beamten stürmten das Haus, konnten sie retten.
Im Krankenhaus aufgewacht
Als sie aufwachte, wusste Sonja nach eigenen Worten nicht, wo sie war. Es war das Krankenhaus Demmin und neben ihr stand eine Mitarbeiterin der Beratungsstelle. Durch die Gewaltattacke habe sie neben einem Schädelhirntrauma auch eine Kehlkopfquetschung sowie Lungen- und eine Brustbeinprellung erlitten. „Wie ich erfuhr, fanden die Polizisten meinen Mann im Wohnzimmer vor. Er saß vor dem Fernseher. Ich glaube, er dachte, ich sei tot“, berichtet Sonja.
Sie hatte erwartet, dass ihr „Noch-Ehemann“ für diese Taten schwer verurteilt werden würde. Doch für seine schwere Körperverletzung habe er nur eine Geldstrafe bekommen. Weil er bislang nicht straffällig geworden sei, habe man ihm als Ersttäter nicht das Leben verbauen wollen. „Dass er mein Leben zerstört hat, darüber hat im Prozess niemand gesprochen.“
Rat an andere Frauen: Rechtzeitig Hilfe holen
Sonja stellte einen Antrag auf ein Kontakt- und Näherungsverbot bei Gericht und kämpfte um ihre Freiheit. Ihr Haus bekam sie jedoch nicht zurück. Das Gericht sei der Meinung gewesen, dieses Geschenk während der Ehe könne nicht zurückgefordert werden. „Glücklicherweise darf ich dank der Umsicht der Notarin aber in dem Haus weiterwohnen, weil ich ein lebenslanges Wohnrecht habe. Ich bekomme zwar keinen Unterhalt von meinem Mann, da er nichts besitzt, was vollstreckbar wäre. Aber immerhin darf er sich mir nicht mehr nähern“, schildert Sonja.
Mit Hilfe der Beratungsstelle für Betroffene häuslicher Gewalt fand sie den Weg zurück ins Leben. Doch auch fünf Jahre nach diesen Geschehnissen ist ihre Psyche noch nicht ganz wiederhergestellt. Dass ihr Ex für eventuelle Spätfolgen des Schädelhirntraumas zahlen müsse, habe ein Amt abgelehnt. Sonja lebt von wenig Geld, lernte durch die Beratungsstelle die Demminer Tafel zu schätzen. „Ich rate heute jeder Frau, nicht so lange zu warten und sich Hilfe zu holen“, sagt sie mit Tränen in den Augen.
Beraterinnen fahren auch in Städte der Umgebung
Dass andere Frauen nicht Sonjas Schicksal erleben, dafür will die Beratungsstelle kämpfen. Die Mitarbeiterinnen unterliegen der Schweigepflicht, die nur bei Kindesmissbrauch gebrochen werden darf. „Auch nicht betroffene Menschen, die Gewalt beobachtet haben, können sich hier melden und Rat holen“, erläutert Leiterin Gundula Schwanke.
In Demmin befindet sich die AWO Beratungsstelle am Hanseufer 2, gleich neben der Stadtinformation, und ist telefonisch erreichbar unter 03998 2854908. „Auf Wunsch sind wir aufsuchend tätig und bieten Beratungen in den Orten Altentreptow, Stavenhagen, Malchin und Dargun an“, so die Leiterin. In einem Notfall werden Opfer häuslicher Gewalt gebeten, umgehend die Polizei zu verständigen.