Tourismus

Vergessenes Tollensetal im Aufwind

Hohenbüssow / Lesedauer: 3 min

Vergessene Region zwischen Demmin und Altentreptow? Mitnichten – hier tut sich was. Immer mehr junge Familien mit Kindern ziehen hierher. Mittlerweile spricht man sogar schon von Wohnraummangel auf dem Land.
Veröffentlicht:17.02.2021, 08:34
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Von:
  • Author Imagedpa
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Orte wie aus der Zeit gefallen findet man noch im Tollensetal zwischen Demmin und Altentreptow. Wie eine Fata Morgana erhebt sich etwa die mächtige Tudor-Schloss-Ruine in Broock. Etwas weiter nordöstlich fällt die Dorfstraße Schmarsow in ein trutziges Dreiflügel-Renaissanceschloss, eines der ältesten im Land. Davor gurren nur ein paar Tauben.

Wie konservierte Zeit wirkt auch das barocke Heilbad Hohenbüssow auf einer Anhöhe. Eine verrostete Pforte im „Pseudoweg“ weist zu einem Künstlerpaar, grasbewachsene Kreuze umringen die Kirche im denkmalgeschützten Dorf, und eine katzenkopfgepflasterte Straße führt zum gigantischen Kornspeicher. „Lärm“ machen nur die Vögel, wenn sich die Sonne zeigt. Und fröhliche Kinderscharen.

Kinderscharen? Das scheinbar so vergessene Tollensetal zwischen Ostsee und Seenplatte ist im Aufwind. Gerade das ursprüngliche und damit noch formbare Leben lockt junge, innovative Familien an. Ins Hohenbüssower Gutshaus sind viele junge Leute gezogen, erzählt Leo Kraus, der im Kornspeicher einen Treffpunkt mit Café, Theaterbühne und Schreib- wie Liedermacherwerkstatt etabliert hat.

Krisenzeiten als Trend-Beschleuniger

Die Zuzügler engagieren sich in der Kommunalpolitik, wollen die Region mitgestalten. Leo Kraus selbst ist bei Fridays for Future aktiv und achtet mit Schilfkläranlage, Solarkocher, Bioverpflegung und Außendusche darauf, der Umwelt möglichst wenig zu schaden. Mittlerweile gebe es sogar ein Wohnraumproblem, denn sehr viele wollen ins Tollensetal. Krisenzeiten wie die Corona-Pandemie, die sich besonders in Ballungsgebieten hart auswirken, wirken sogar als Trend-Beschleuniger.

Dabei hatte Leo Kraus noch vor wenigen Jahren fürchten müssen, dass seine Initiative, Kultur aufs Dorf zu holen, mangels Leuten scheitern würde. Und der Künstler Olaf Christophorus Spillner hatte Seminare organisiert, wie man der Schrumpfung der Landbevölkerungszahlen etwas entgegensetzen könne. Doch die Entwicklung scheint gegenläufig. In Tückhude hat sich sogar ein Waldkindergarten gegründet. Puppenspieler, Musiker, Maler, Bildhauer und Lebenskünstler sind in Wietzow zu Hause, freundliche Blumenkaten und bemalte Briefkästen künden davon. Auf der Eiszeitroute zwischen Berlin und Rügen unterwegs, rasten in Nicht-Corona-Zeiten immer mehr Radler hier. Sie genießen die Sonnenuntergänge auf der Terrasse des Speichercafés in Hohenbüssow und sind überrascht, was es „mitten in der Pampa“ für schöne Orte gibt.

Theater im Speicher

Exemplarisch für den innovativen Geist des neuen Lebens im Tollensetal ist die Art, wie der schöne aber marode Kornspeicher gerettet wurde. Das teils ausgehöhlte Gebälk war in sehr schlechtem Zustand, alle Gauben mussten abgenommen werden.

Leo Kraus hat daraufhin in einer Crowdfunding-Aktion 7000 handgestrichene Biberschwanz-Ziegel vom Darß zusammenbekommen. 42 Spender hatten sich beteiligt, mehr als 6000 Euro wurden gesammelt. Teils durch Leute, die in Hohenbüssow geboren sind oder sich noch an das von Leo Kraus einst ins Leben gerufene Provie-Theater im Speicher erinnern. Oder einfach Menschen, die in dieser Crowdfunding-Bitte viel Sinn gesehen haben und helfen wollten. Alle waren digital in den Bauprozess eingebunden.

Die Faszination der Leere lockt auch Visionäre

Und sie erhalten Dankeschön-Gutscheine wie eine Paddeltour im Tollensetal – was wiederum Leute an die Gegend binden dürfte. Die Faszination des Tollensetals haben mittlerweile auch Visionäre entdeckt. Berliner Architekten arbeiten flott mit immenser Bundesförderung am maroden Charme von Schloss Broock – als Kulisse ab 2022 für Großveranstaltungen zur Aufwertung der Region zwischen Berlin, Hamburg und Stettin.

Und die Bürgerinitiativen aus dem Tollensetal sorgen weit über die Region hinaus für Aufmerksamkeit. Schließlich haben sie gemeinsam mobil gemacht, um die Gegend vor geplanter Massentierhaltung zu bewahren. Stattdessen sollen andere Vorhaben die Region noch lebenswerter machen. Nur – wie viel verträgt das Tollensetal? Schließlich macht gerade dieser Luxus der Leere dessen Reiz aus.