Interview
Vor Demmins Bürgermeister liegt ein Berg Arbeit
Demmin / Lesedauer: 8 min

Karsten Riemer
Der Weihnachtsmarkt ist geschafft, nach zwei Jahren ein bisschen Normalität in die Hansestadt eingekehrt. Wie haben Sie die Stimmung in Demmin in den vergangenen Tagen wahrgenommen?
Also unser Weihnachtsmarkt war ein voller Erfolg. Es waren viele Menschen unterwegs und die Stimmung habe ich als sehr beschwingt und weihnachtlich wahrgenommen. Nicht nur von den Besuchern, sondern auch von den Gewerbetreibenden. Wir hatten auch ein sehr schönes und dichtes Programm, das hat natürlich sehr viele Leute aus Demmin und Umgebung angezogen.
Wie sehen Sie darüber hinaus das Stimmungsbild in Demmin im Gesamten?
Wenn wir die von der großen Politik beeinflusste Stimmung auf die Stadt runterbrechen, dann ist es schon so, dass sich die Zeiten wahnsinnig geändert haben. Die Problemlagen sind größer geworden. Von daher ist es wichtig, dass wir als Stadt positive Akzente setzen, wie zum Beispiel mit dem Adventsmarkt oder dem Weihnachtsmarkt. Grundsätzlich ist es so: Eine Krise jagt die andere. Benzin ist teuer, die Inflation sehr hoch. Das Gefühl der Bürgerinnen und Bürger nicht hinterher zu kommen und all das nicht bezahlen zu können, ist tatsächlich da. Ich war in den vergangenen Tagen viel unterwegs bei unseren Gewerbetreibenden – das Bild, das sie gezeichnet haben, ist sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite ist sich jeder bewusst, wie schwierig die Lage derzeit ist. Aber ganz viele Unternehmern haben ihre Motivation und ihren Optimismus nicht verloren. Das stimmt mich hoffnungsvoll.
Damit sind wir direkt beim nächsten Punkt. Wie sieht es mit Ihrer persönlichen Stimmung als Bürgermeister zum Jahresende aus?
Die Arbeitsdichte ist zum Jahresende hoch – höher als im vergangenen Jahr. Es sind ganz viele Termine abzuarbeiten. Darüber hinaus gibt es viele Problemlagen. Gefühlt mache ich eine Schublade auf, da springt ein Problem raus und dann ist der ganze Schreibtisch voll. Die Frage „Wie nutzen wir unsere Chancen für Demmin?“ beschäftigt mich momentan sehr. Da geht’s im Endeffekt auch darum, wie die Akteure in der Stadt gut eingebunden und vernetzt werden.
Alles in allem war Ihre Amtszeit bisher von Krisen geprägt – Corona, Ukrainekrieg, Energiekrise. Welche Auswirkungen hatte das auf Ihre Arbeit im Amt?
Dass wir uns mit Themen beschäftigen, die ich mir zum Amtsantritt einfach noch nicht vorstellen konnte. Zum Beispiel die Energiekrise. Vor dem Ukrainekrieg war das Thema noch nicht so präsent. Jetzt sprechen wir über Blackout-Szenarien. Es werden Krisenpläne oder Energiesparpläne geschrieben und umgesetzt.
Es wurde in den vergangenen Monaten trotzdem viel für die Entwicklung der Stadt angeschoben, dennoch wirkt es, als wäre ein klarer Leitfaden bislang wenig greifbar. Ähnlich sieht es mit spruchreifen Ergebnissen aus. Woran liegt das?
Da würde ich ein bisschen widersprechen. Sicherlich gibt es keinen aufgeschriebenen Leitfaden. Aber die Kernthemen sind für mich ganz klar: Leben, Arbeiten und Wohnen. Daran arbeite ich. Beim Thema Wohnen beschäftigen wir uns mit unserer Wohnungsgesellschaft intensiv damit, wie wir schnell und gut unsere Wohnungen sanieren, um für Menschen, die zu uns kommen wollen, Wohnraum bereitstellen zu können. Im Bereich Arbeiten geht es um die gesamte Wirtschaft. Das ist am herausforderndsten. Aber auch da sind wir im Laufe des Jahres – unter anderem in Zusammenarbeit mit unserer Wirtschaftsförderung oder dem Run-Netzwerk – dabei, die Kontakte für die Stadt auszubauen. Das ist notwendige Vorarbeit, die sehr kleinschrittig ist. Schön wäre es, wenn ich Ihnen sagen könnte: Unser Gewerbegebiet ist voll und da hat alles Früchte getragen. Aber noch gibt es keine konkreten Ergebnisse. Was das dritte Thema „Leben“ angeht, glaube ich, dass wir 2022 ganz gute Arbeit geleistet haben. Zwei Stichworte: Landmusikort und das Chorfest. Grundsätzlich war der Veranstaltungskalender Demmins das ganze Jahr gut gefüllt. Von Alt bis Jung war für jeden etwas dabei. Das müssen wir als Motivation für die anderen Themen mitnehmen.
Aber wäre es nicht sinnvoll zu sagen: Wir machen das jetzt mal fest beziehungsweise schreiben es auf, damit sowohl Verwaltung als auch Politik etwas haben, woran sie sich festhalten können?
Das werden wir auch tun. Ich möchte diesen Strategieprozess unbedingt professionell machen. Aber das ist alles in diesem Jahr tatsächlich nicht zu schaffen gewesen. Wir werden es für 2023 wieder mit auf die Agenda nehmen. Allerdings müssen wir für so einen Prozess Gelder einwerben. Die Recherche, wo es diese gibt, habe ich 2022 erledigt.
Über das Thema Geld sind wir automatisch beim Haushalt 2023. Der Plan für das kommende Jahr ist klar: Projekte beenden, die – zum Teil vor Ihrer Amtszeit – angefangen wurden. Welche Akzente wollen Sie in diesem Zusammenhang als Bürgermeister im kommenden Jahr setzen?
Ganz klar ist, dass die Großinvestition Pestalozzi-Schule das bestimmende Projekt für 2023 bleiben wird. Wir hoffen, dass wir alle Lose gut vergeben können, damit wir 2024 mit der Maßnahme fertig sind. Zudem haben wir aber beispielsweise die vorbereitenden Untersuchungen zum Stadtsanierungsgebiet Anklamer Vorstadt 2 beschlossen. Das ist ein Akzent, den wir im kommenden Jahr vorbereitend setzen werden. Außerdem sind wir ja Partner im Projekt Smart Regions. Daher wollen wir bei der Digitalisierung weitere Akzente setzen.
Ihre Wunschprojekte – sei es Haus Demmin, Hafenumbau oder Marktsüdseite – stehen 2023 eher hinten an. Zumindest investiv ist hier wenig zu erwarten. Wann soll es richtig in die Vollen gehen?
Da geht es jeden Tag in die Vollen. Die vorbereitenden Arbeiten sieht man nicht wirklich und sie schlagen sich auch im Haushalt nicht nieder. Beim Thema Haus Demmin haben wir das Geld über den Strategiefonds eingeworben. Das heißt, es läuft und muss erst einmal mit einem Bericht zum Abschluss gebracht werden. Mit den Ergebnissen kann ich mich dann 2023 um die Förderungen kümmern. Da reden wir über Investitionen von acht bis zehn Millionen Euro. Auch beim Hafen ist noch keine Investition notwendig. Dort müssen wir zunächst baurechtlich die Vorbesprechungen abhalten und Planungsbeschlüsse fassen, um dann die Nutzung festzuschreiben. Mit der Marktsüdseite sieht es ähnlich aus. Auch hier geht es darum, dass wir vernünftige Unterlagen vorbereiten, um Unternehmer zu gewinnen, die sich dann engagieren wollen. Wenn die Dokumente und Visualisierungen fertig sind, kann man es gut bewerben und nach außen geben.
Heißt aber: Es dauert noch?
Es ist ein Marathon. Die Zeit ist natürlich nicht sonderlich günstig. Der Baubranche hat sehr große Blessuren davongetragen, und dann Investoren zu finden, ist eine große Herausforderung. Aber da hänge ich auch nicht am Jahr 2023. Denn je besser die Vorbereitung ist, umso besser können wir im Nachgang profitieren.
Wenn Sie ein Resümee Ihres ersten Jahres im Amt ziehen: Was würden Sie als Erfolg werten?
Auf jeden Fall, dass das Thema meines Strategieplans „Leben“ im Bereich Kunst, Kultur und Identität von Demmin aus meiner Sicht einen Schritt nach vorne gegangen ist. Ebenso beim Punkt „Moderner werden“. Demmin goes Socialmedia – das ist 2022 ganz gut bei unserer Bevölkerung angekommen. Ob nun Facebook, Instagram oder die neue Munipolis-App. Das sind Dinge, die uns über die Stadtgrenzen hinaus Ansehen verschafft haben. Glücklich bin ich auch darüber, dass die Jugend in den Fokus rückt. Ich habe mehrere Gespräche mit Jugendlichen geführt. Beispielsweise über das Sofa-Projekt oder das Jugendhaus – das wird 2023 weitergehen.
Was sehen Sie als Misserfolg?
Das können andere besser einschätzen als ich. Aber eine Sache, bei der wir besser werden müssen, ist ganz aktuell. Wenn jemand mit dem Rollstuhl aus der Tiefgarage auf den Weihnachtsmarkt kommt, wird es schon eng, wenn die Tür unten im Rathaus zu ist. Das sind Dinge, die wir ein Stück weit mehr im Blick haben müssen. Daher wird uns das Thema Barrierefreiheit in den kommenden Jahren zurecht sehr beschäftigen.
Zum Abschluss, welche Wünsche haben Sie als Bürgermeister für das kommende Jahr?
Als erstes, dass ich mit allen gut zusammenarbeiten kann. Damit meine ich nicht, dass wir nicht kontroverser Meinung sein können, sondern im Sinne unserer Stadt um die besten Lösungen ringen. Sei es mit den Stadtpolitikern oder den übrigen Akteuren Demmins. Wir haben so viel Potenzial, gemeinsam sind wir stark. Wenn wir das nach außen tragen und gemeinsam an den Dingen arbeiten, können wir für die Hansestadt viel erreichen.
Und was wünschen Sie sich persönlich?
Ich wünsche mir für meine Familie und mich Gesundheit und Zufriedenheit. Zudem dass ich immer gut einschätzen kann, wann Arbeit und wann Privatleben dran ist. Das ist wirklich eine große Herausforderung für mich.