Tierschutz

Wie Hirtenhund Gulliver das Leben gerettet wurde

Retzow / Lesedauer: 4 min

Er ist ein sehr großer Hirtenhund und stand wegen angeblicher Gefährlichkeit auf der Todesliste. Dank zweier Tierschützer konnte der Hund gerettet werden.
Veröffentlicht:07.07.2022, 12:10

Von:
  • Kai Horstmann
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Am 20. Februar 2021 wurde ein sehr großer Hirtenhund, ein Landseer-Mix oder Großer Münsterländer-Pyrenäenberghund-Mix, in Volksdorf aufgegriffen. Leider war das Tier sehr verängstigt, als die Polizeibeamten nachts auf es zukamen. Er wich nach hinten in eine Ecke aus. Als die ihm fremden Menschen immer näher kamen und nicht auf sein Knurren reagierten, ging der Hund in Angriffsstellung. Sein Todesurteil. Die Beamten konnten ihn einfangen. Anschließend wurde der als aggressiv eingestufte Hund in die Tiersammelstelle von Henry Ciesilski in Schönfeld gebracht.

Drei Tage später wurde ein Antrag gestellt, der die Gefährlichkeit des Tieres bestätigen sollte, was zu dessen Einschläferung führen sollte. Der Antrag wurde am 3. September wiederholt. „Um dem Tier ein lebenslanges Leiden in sozial armer Einzelhaltung aufgrund seines aggressiven Verhaltens gegenüber Menschen zu ersparen“, begründete damals Jörg Puchert, Leiter des Amtes Demminer Land den Schritt und hoffte zugleich auf eine baldige Vermittlung. 

Zweifel vermerkt an Gefährlichkeit des Hundes

Einer Einschläferung stellten sich Kerstin Lenz vom Tierschutzverein Demmin und Gisela Speck, Hundetrainerin aus Toitz, entgegen. Beide konnten kein aggressives Verhalten erkennen, das eine Einschläferung rechtfertigte. Sie riefen im Oktober zur Rettung des Hundes auf, der den Namen Gulliver erhielt.

Dieser wurde nun von der Amtstierärztin Dr. Andrea Degenhard untersucht. Sie kam in einem Gutachten zur gleichen Meinung. „Die Amtstierärztin hat Zweifel an der Gefährlichkeit des Hundes vermerkt. Gemäß dem Tierschutzgesetz hat sie keinen vernünftigen Grund zur Euthanasie des Tieres gesehen“, schrieb damals Haidrun Pergande, die ehemalige Pressesprecherin des Landkreises, in ihrer Antwort an den Nordkurier.

Irgendwie ist das „G“ verschütt gegangen

Seit Februar dieses Jahres tobt der gleiche Hund vergnügt mit dem Nachbarhund über ein 3000 Quadratmeter großes Gelände in Retzow. Die Notfallärztin Mayken Rongen (66) hat sich des einstigen Todeskandidaten angenommen, nachdem Gisela Speck diesen auf sein neues Leben vorbereitet hatte. Er sieht genauso aus wie früher, nur das G ist irgendwie verschütt gegangen und er wird nun Ulliver gerufen. Was der Mischling in seinem früheren Leben erlebte, kann man nur erahnen. Aber schön kann es nicht gewesen sein. „Als ich den Besen nahm, um die Straße zu fegen, ist Ulliver sofort weggerannt. Sein Schwanz war eingeklemmt und der Kopf war eingezogen, als er erwarte er gleich Prügel“, beschreibt Mayken Rongen den Vorfall.

Die Notfallärztin hat in ihrem Leben schon viele Dramen und Elend miterlebt. Unter anderem war sie mit der Hilfsorganisation Cap Anamur ab Dezember 2014 für ein halbes Jahr in Sierra Leone. Sie hatte über das Schicksal des Hundes im Nordkurier gelesen und besuchte Speck, um ihn sich anzusehen. Ulliver kam sofort freundlich auf sie zu. Nach kurzer Zeit kam bei der Ärztin ein unangenehmer Gedanke hoch. „Ich hatte etwas Angst, dass Gisela Speck es ablehnt, dass ich den Hund bekommen könnte. Da wusste ich, dass Ulliver mich schon um den Finger gewickelt hat“, schildert Mayken Rongen.

In den ersten zwei Wochen lebte Ulliver nur auf der Freifläche. Der Aufenthalt im Haus war ihm unangenehm, er hielt sich dort nie länger als zehn Minuten auf. Die Ärztin stellte ihm das Futter draußen hin und der Mischling gewann immer mehr Zutrauen. Mit der Zeit merkte er, die Frau meint es gut mit ihm und er wird nicht geschlagen. Seit gut einem Monat schläft er jetzt im Haus. „Ulliver ist voller Angst, die sich immer weiter abbaut. Zum Glück hat er auch mit Katzen kein Problem – ich habe zwei aus dem Tierheim bei mir aufgenommen –, da er keinen Jagdtrieb hat. Jetzt weiß er, dass er hierher gehört“, freut sich Mayken Rongen.

Die Chance auf ein schönes Leben bekommen

Ihre Freunde haben schon lange keine Angst mehr vor Ulliver, wenn sie denn zuvor welche gehabt haben. Da Rongen in der Rettungswache im Schichtdienst arbeitet, der bis zu 72 Stunden dauert, kann sie sich in der Zeit nicht um den Mischling kümmern. Das übernehmen dann die Nachbarn, die gerne ihren Hund Aaron zum Spielen rüberbringen. „Ich habe noch nie so einen friedlichen Hund gesehen, dabei bin ich auf einem Bauernhof bei Aachen aufgewachsen. Selbst die Handwerker merken schnell, dass der ungefährlich ist“, sagt Mayken Rongen und kann nicht verstehen, warum man Ulliver einschläfern wollte.

Gisela Speck ist sehr glücklich darüber, dass der Hund bei der Ärztin gelandet ist. Für sie war das Verhalten gegenüber den Polizisten eine normale Abwehrreaktion. „Ulliver bekam zum Glück die Chance auf ein neues Leben, hat sich sehr gut entwickelt und hat jetzt ein schönes Zuhause“, lobt Gisela Speck.