Wirtschaftsförderung
▶ Wie schlimm wird Corona die Wirtschaft noch treffen?
Demmin / Lesedauer: 7 min

Robin Peters
Die Wirtschaftsförderung der Mecklenburgischen Seenplatte mit ihrem Hauptsitz in Demmin war vielleicht nie wichtiger als jetzt – mitten in der Krise. Denn wirtschaftlich ist man noch mittendrin, daran lassen Sabine Lauffer und Anya Schlie aus dem Marketing im Gespräch mit Nordkurier-Reporter Robin Peters keinen Zweifel. Eine Insolvenz-Welle könne durchaus noch kommen und der kurzfristige Boom im Tourismus täusche über Probleme hinweg.
Die Wirtschaft befindet sich gerade in einer großen Krise. Finden Sie vor Anfragen überhaupt noch einen Moment der Ruhe?
Sabine Lauffer: Am Anfang gab es eine regelrechte Anfrageflut. Das Telefon stand nie still – bis in den späten Abend. Aber mich hat überrascht, dass die meisten Unternehmen einen relativ kühlen Kopf bewahrt haben. Mittlerweile hat es sich gut eingespielt, dabei stehen wir in permanentem Kontakt mit den Unternehmen.
Wem greifen Sie am häufigsten unter die Arme?
Sabine Lauffer: Kleinen und mittleren Unternehmen mit rund fünf bis zwanzig Mitarbeitern. Auch Existenzgründer kommen auf uns zu – das ist ganz klar. Große Firmen wie Webasto oder Weber haben zumeist ihre eigenen Kontakte. Aber auch mit ihnen arbeiten wir zusammen. Man hilft sich gegenseitig.
Es gibt also ein recht übersichtliches Netzwerk?
Sabine Lauffer: Das ist ein großer Vorteil in der Region. Die Wege sind kurz – natürlich nicht physisch. Aber wenn man ein Anliegen hat, kann man zum Beispiel direkt zum Hörer greifen und den Minister anrufen. In anderen Bundesländern geht das nicht so einfach.
Anya Schlie: Dadurch, dass wir aktiv an die Unternehmen herangehen, zu verschiedensten Themen im Gespräch oder Kontakt sind, kennt man sich.
Was haben Sie in der Krise konkret unternommen?
Sabine Lauffer: Wir haben hier bei uns in der Wirtschaftsförderung sofort eine Task Force eingerichtet. Die besteht aus sechs Mitarbeitern. Neben dem Unterstützungs- und Gesprächsangebot, indem wir konkret auf die Unternehmen zugehen, haben wir mehrere Rundschreiben zu speziellen Angeboten wie Überbrückungsgeld, Zuschüssen, Kurzarbeitergeld, Darlehen oder Grundsicherung herausgegeben.
Die Wirtschaftsförderung kann also nicht selbst mit Geld unterstützen?
Sabine Lauffer: Nein. Wir fragen aber proaktiv Unternehmen an, weisen auf Formulare und Fristen hin und helfen auch beim Ausfüllen. Wir machen ebenso an passender Stelle Druck, wenn eine Bewilligung zu lange dauert. Wir agieren als aktiver Netzwerkpartner für die Unternehmen.
Wie hart hat es die Wirtschaft in der Seenplatte denn getroffen?
Sabine Lauffer: Wir können erst zum Jahresende feststellen, wie groß der Schaden wirklich ist. Die Anmeldefrist der Insolvenz wurde ja bekanntlich verlängert. Also zeichnen sich frühestens im Spätherbst die Auswirkungen der ersten Welle ab. Als exportorientierte Wirtschaft müssen wir aber auch die ausländischen Märkte genau beobachten. Welche Entwicklungen zeichnen sich dort ab. Mit Sicherheit wird es in der Zukunft viele Umbrüche geben.
Wird der größte Wirtschaftseinbruch erst noch kommen?
Sabine Lauffer: Das bleibt zu befürchten.
Worauf müssen sich die Unternehmen einstellen?
Sabine Lauffer: Der aktuelle Tourismusboom gerade darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Menschen irgendwann wieder vermehrt zu klassischen Urlaubszielen fliegen werden. Unternehmen müssen sich die Frage stellen: Wie widerstandsfähig bin ich wirklich? Und: Wie groß ist mein Innovationspotenzial? Das sind wichtige Fragen für das Überleben eines Betriebes.
Sie denken da auch an Start-Ups...
Sabine Lauffer: Ja. Wir müssen unbedingt technologische Start-ups für unsere Region begeistern.
Wie wollen Sie das schaffen?
Anya Schlie: Viele junge Unternehmer haben das stressige und überteuerte Leben in Metropolen satt. Hier in der Seenplatte finden Sie günstigere Mieten. Und die Großstädte sind dennoch schnell zu erreichen – wie beispielsweise Berlin von Neustrelitz aus. In unserem Existenzgründerzentrum in Waren haben wir beispielsweise einen flexiblen Coworking-Space eingerichtet. Mit solchen Angeboten fangen wir an, das Feld aufzuräumen. Der Ansatz ist: Wir bieten euch Raum und Infrastruktur, kommt her!
Und das mitten in der Krise?
Anya Schlie: Aktuell spielt uns Corona sogar in die Hände. Lebensweisen werden hinterfragt. Das ist sogar eine gewisse Chance für die Mecklenburgische Seenplatte. Durch Corona wird vieles anders wahrgenommen, hat vieles neuen Antrieb bekommen.
Zur Wirtschaftsförderung Mecklenburgische Seenplatte GmbH gehört auch die Tochtergesellschaft Museen gGmbH mit dem Schliemann-Museum in Ankershagen, dem Agroneum in Alt Schwerin und dem 3 Königinnen Palais in Mirow. Außerdem verantworten Sie den Unterhalt von rund 1.400 Kilometern Radwegen. Wie passt das alles zusammen?
Sabine Lauffer: Diejenigen, die uns nicht kennen, irritiert die thematische Breite. Aber letztendlich fügt sich alles wieder im Schwerpunkt Wirtschaft zusammen. Um beim Beispiel Radwege und Museen zu bleiben: Sie sind Teil des Tourismus. Und der ist mit der größte Wirtschaftszweig in der Seenplatte.
Seit zwei Jahren gibt es bei Ihnen zudem den Bereich Digitalisierung...
Sabine Lauffer: Ich lege seit vielen Jahren Wert darauf, das Thema Digitalisierung im Blick zu halten und habe eigens dafür ein Referat eingerichtet. Uns ist es wichtig, die Firmen für die Chancen und Herausforderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen zu sensibilisieren. Viele Unternehmen haben lange gedacht: Uns gibt es seit 30 Jahren. Warum brauche ich Digitalisierung? Doch jeder nutzt heute digitale Systeme. Das Referat bietet in diesem Bereich allgemeine aber auch ganz konkrete Unterstützung und fördert den Branchendialog.
Sind solche Veranstaltungen gut besucht?
Sabine Lauffer: Gerade mit Bezug auf die Digitalisierung in der Nahrungsmittelbranche werden die Veranstaltungen gut angenommen, jede dieser speziellen Branchen-Veranstaltungen zählt ca. 40 bis 60 Besucher. Im August wird es eine solche Veranstaltung geben, bei der man sich auch digital zuschalten kann. Zu den allgemeinen Informationsveranstaltungen begrüßen wir in der Regel um die 100 interessierte Besucher. Digitalisierung vereinfacht viele Dinge. So sind die langen Wege im Landkreis kein Hindernis mehr.
Wird die Wirtschaftsförderung irgendwann überflüssig, wenn sich alles auch im Internet finden lässt?
Sabine Lauffer: Überhaupt nicht. Viele versuchen vergeblich, im allgemeinen Informationswust des Internets die für sie passende Information zu finden. Spätestens da kommen wir dann ins Spiel. Es ist mir sogar sehr recht, wenn die Leute nach erster Vorrecherche nicht ganz unbedarft mit uns ins Gespräch kommen.
Anya Schlie: Auch im digitalen Zeitalter wollen die Menschen sich persönlich treffen. Unsere Veranstaltungs-Reihe MSEregional wurde vor Corona stark angenommen. Dies, das Bedürfnis der Unternehmen nach direkten, persönlichen Gesprächen mit konkreten Ansprechpartnern für ihre Probleme werden wir zu gegebener Zeit wieder aufgreifen – ergänzt um digitale Komponenten.
Die Wirtschaftsförderung gibt es nunmehr seit rund fünf Jahren. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Errungenschaften?
Sabine Lauffer: Es gibt mit der Wirtschaftsförderung eine erste Anlaufstelle für alle. Jeder mit einem wirtschaftlich begründeten Interesse kann sich ohne Berührungsängste an uns wenden. Das finde ich am wichtigsten.
Wo kann sich Ihr Team vielleicht noch verbessern?
Sabine Lauffer: Es wird immer Herausforderungen geben. Corona hat gezeigt, wie schnell wir auf Unternehmen zukommen müssen, wie sehr dies gewünscht und honoriert wird. Wenn neue Anforderungen auf uns zukommen, sind wir da und stellen uns ihnen. Stillstand wäre Rückschritt, und was für mich zählt, ist die zukünftige Entwicklung der Region.