Interview mit Reha-Arzt

„Beschwerden der Corona-Patienten sind vielfältig“

Ahlbeck / Lesedauer: 6 min

Robert Gulyás ist Internist und Chefarzt der Pneumologie der Rehabilitationsklinik im Seebad Ahlbeck. Seit dem Frühjahr 2020 erlebt er Menschen, die eine Covid-19-Infektion überstanden haben. Unser Reporter Frank Wilhelm sprach mit ihm darüber.
Veröffentlicht:02.02.2021, 09:05

Von:
  • Frank Wilhelm
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Seit einigen Tagen scheinen die Infektionszahlen in Deutschland rückläufig zu sein. Ist das für Sie ein Grund aufzuatmen?

Rückläufige Zahlen sind zunächst erst einmal ein Zeichen, dass die gemeinsamen Anstrengungen der letzten Monate endlich Wirkung zeigen. Somit dürfen wir uns sicherlich eine Sekunde Aufatmen gönnen. Wenn man sich allerdings die Landkarte heute anschaut, weisen noch viele Landkreise eine 7-Tage-Inzidenz von über 150 auf. Zusätzlich sehen wir mittlerweile zunehmend Nachweise mutierter Varianten, von denen einige im Verdacht stehen, ansteckender und gefährlicher zu sein als das Virus, welches uns bisher beschäftigt hat. Ich fürchte daher, dass uns noch ein langer steiniger Weg bevorsteht.

Inwieweit hat sich die aktuelle Situation gegenüber der ersten Welle verändert, was die Situation Ihrer Patienten betrifft?

Diese Frage lässt sich schwerer beantworten, als es vielleicht klingt. Als Rehabilitationsklinik kommen die Patienten erst nach Abschluss der Akutbehandlung zu uns. Es gibt also noch mal einen zeitlichen Verzug. Wir sehen daher jetzt erst den Übergang von der ersten zur zweiten Welle. Große Unterschiede lassen sich daher noch nicht beobachten. Auch gibt es in dem Bild, welches wir sehen, eine gewisse Verzerrung. Wir können nur Aussagen zu Patienten treffen, die eine Rehabilitation erhalten. In den ersten Monaten unseres Post-Covid-Programms, also in etwa Mai bis August 2020, waren es überwiegend Patienten, welche eine Intensivbehandlung einschließlich Beatmung im künstlichen Koma gebraucht haben. Entsprechend schwer waren also auch noch die Funktionseinschränkungen, da auch Folgen der Intensivtherapie mit zu berücksichtigen sind. Dennoch waren bis zum Rehabilitationsantritt teilweise zwei bis drei Monate vergangen.

Welches Bild ergibt sich zurzeit?

Patienten mit Post-Covid-Syndrom trotz leichtem Verlauf treten teilweise erst jetzt ihre Rehabilitation an. Die Erkenntnisse der ersten Welle haben aber auch dazu geführt, dass der Rehabilitationsbedarf breiter gesehen wird und Patienten jetzt auch direkt aus dem Krankenhaus eine Anschlussheilbehandlung bewilligt bekommen, also zeitiger zu uns kommen.

Mit welchen Beschwerden kommen die Corona-Patienten zu Ihnen?

Die Beschwerden sind vielfältig. Ganz oft berichteten die Patienten über Belastungsluftnot, häufig auch mit Druck auf der Brust unter Belastung. Genauso häufig werden allgemeine Schwäche und rasche Ermüdbarkeit angegebenen. Aber auch neurologische Symptome wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Verschlechterung des Sehvermögens, Geruchs- und Geschmacksstörung oder Kopfschmerzen kommen vor.

Man hört immer wieder, dass auch Menschen ohne Vorerkrankungen schwere Verläufe der Krankheit durchmachen. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Wir sehen in der Rehabilitation natürlich nur Patienten, die ihre Covid-19 ausreichend gut überstanden haben. Von den Patienten in unserer Klinik mit schweren bis kritischen Verläufen haben die meisten keine relevanten Vorerkrankungen.

Mit welchen Therapien können Sie Corona-Patienten helfen?

Wie bereits erwähnt, stellen sich unsere Patienten mit unterschiedlichen Kombinationen von Beschwerden vor. In der Regel sehen wir eine Trias aus Funktionsstörungen von Herz-Kreislauf- und den Atmungsorganen, neurologischen Funktionsstörungen sowie einer unterschiedlich stark ausgeprägten Fatigue, also Erschöpfung, mit oder ohne depressive Begleit-symptomatik.

Wie gehen Sie bei der Rehabilitation vor?

In einer ausführlichen Eingangsdiagnostik identifizieren wir die für den jeweiligen Patienten bedeutsamen Funktionseinschränkungen und legen dann das passende Therapieprogramm fest. Dabei greifen wir auf bewährte Prinzipien aus der pneumologischen, kardiologischen, neurologischen und psychosomatischen Rehabilitation zurück.

Das klingt sehr komplex?

Da Covid-19 sich mehr und mehr als Multisystemerkrankung entpuppt, muss auch die Therapie mehrdimensional ausgerichtet sein. Im Vordergrund stehen aktivierende Therapien wie Kraft- und Ausdauertraining, aber auch Atemgymnastik und Inhalationstherapie.

Bei neurologischen Symptomen wie Missempfindungen oder Taubheitsgefühlen der Hände und Füßebieten wir ebenfalls aktivierende Reize in Form von zum Beispiel Wassertreten, Körnerbad und andere Übungen aus dem Gebiet der Ergotherapie an. Mit einer individuell austarierten Kombination können wir mit den meisten Patienten deutliche Fortschritte erzielen – sowohl körperlich als auch seelisch.

Insbesondere der Geruchs- und Geschmackssinn scheint bei vielen Betroffenen verloren zu gehen. Gibt es dagegen überhaupt Therapien?

Eine direkte Therapie gegen den Verlust oder die Beeinträchtigung des Geruchs- und Geschmackssinns gibt es leider nicht. Schädigungen an Nerven brauchen vor allem Zeit zur Regeneration. Bisher konnten wir beobachten, dass Geruchs- und Geschmackssinn sich mit der Zeit langsam erholen. Wir versuchen die Regeneration, vor allem der Riechschleimhaut in der Nase durch Inhalations- und Klimatherapie zu unterstützen. In der pneumologischen Rehabilitation hat sich das Reizklima von Nord- und Ostsee bereits bewährt.

Wie gravierend ist das Long-Covid-Problem auch nach einer Krankenhausbehandlung und einer Reha-Maßnahme?

Im Vergleich zu einem schweren oder kritischen Verlauf der akuten Covid-19 ist „gravierend“ sicher ein zu starkes Wort. Die individuellen Auswirkungen eines Post-Covid-Syndroms sind allerdings stets im Kontext der Lebensumstände zu sehen.Das Problematische ist, dass man einem Menschen dieses Syndrom nicht ansieht, aber unter Umständen die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit auch nach einem milden Verlauf erheblich eingeschränkt ist. Dies kann dann für den Einzelnen durchaus zu einer gravierenden Existenzkrise werden.

Wer hat überhaupt Anspruch auf eine Reha-Maßnahme wegen einer Corona-Erkrankung?

Anspruch auf eine Rehabilitation haben Versicherte der Renten- und Krankenversicherungen, wenn eine entsprechende Indikation besteht. Diese wird in der Regel nach einer stationären Behandlung gesehen. Meist erfolgt diese Rehabilitation als Anschlussheilbehandlung. Aber auch Patienten nach ambulanter Behandlung können eine Indikation haben. Dies ist der Fall, wenn das Risiko für einen dauerhaften Gesundheitsschaden besteht, der zum Beispiel die Arbeitsfähigkeit, aber auch die Selbstständigkeit zu Hause nachhaltig bedroht.

Welche Tipps außer Masken tragen und Abstand halten können Sie Menschen geben, damit sie eine Infektion mit Corona vermeiden können?

Da Viren sich nicht selbst fortbewegen können, findet eine Übertragung nur durch direkten Kontakt oder Aerosole statt. Um eine Ansteckung zu vermeiden, gibt es nichts anderes, als Abstand halten und Maske tragen, mit korrektem Sitz wohlgemerkt. Da aktuell der individuelle Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion nicht sicher vorhergesagt werden kann, kann ich auch keine Tipps geben, wie ein schwerer Verlauf vermieden werden kann. Mögliche Risiken zu minimieren beziehungsweise eventuell vorhandene Grunderkrankungen gut zu behandeln, ist aber immer eine gute Idee.

Als Klinik müssen Sie auch an den Selbstschutz Ihrer Mitarbeiter und Patienten vor einer Infektion denken. Welche Maßnahmen gibt es hier?

Das ist vollkommen richtig, sehr wichtig und gar nicht so einfach. Seit dem Auftreten der ersten Fälle in Deutschland im Februar 2020 haben wir einen klinikinternen Pandemieplan, der entsprechend des Pandemieverlaufs und des Wissenszuwachses stetig weiterentwickelt wurde. Aufgrund des Risikoprofils unserer Patienten haben wir sehr strenge Regeln. Abstand und Maskenpflicht gelten natürlich auch in der Klinik, sowohl für Mitarbeiter wie auch für Patienten. Insbesondere in den Therapien und im Speisesaal waren dadurch Anpassungen notwendig.

Gibt es auch Corona-Tests?

Wir bestehen, wie mittlerweile auch durch Verordnung vorgeschrieben, auf einen negativen PCR-Test vor Anreise. Bei Anreise und im Verlauf der Rehabilitation erfolgen routinemäßig weitere Schnelltests. Die Vorgaben der entsprechenden Verordnungen werden bei uns streng umgesetzt. Deren Einhaltung kontrollieren wir regelmäßig.