Zwei Inzidenzwerte

„Die vierte Corona-Welle ist eine Welle der Ungeimpften“

Schwerin / Lesedauer: 3 min

Transparenz? Warnung? Oder gar Stigmatisierung? Dass die Landesregierung jetzt die Inzidenzwerte getrennt nach Geimpften und Nicht-Geimpften veröffentlicht, löst eine heftige Debatte aus.
Veröffentlicht:02.09.2021, 19:24
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  • Author ImageAndreas Becker
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Es war nur ein kleiner Halbsatz, den Manuela Schwesig vor zwei Wochen fast schon beiläufig in einer Pressekonferenz – inmitten von vielen anderen Themen – fallen ließ. Demnächst werde man sowohl die Inzidenzwerte von Geimpften als auch von Nicht-Geimpften täglich veröffentlichen, teilte die Ministerpräsidentin mit. Nun, aus der Anmerkung ist jetzt Realität geworden – inklusive des durchaus vorhandenen politischen Zündstoffs.

Denn allein der Blick auf die aktuellen Zahlen verdeutlicht eine enorme Schere, die sich täglich zwischen den Polen Geimpfte und Nicht-Geimpfte immer mehr spreizt. Laut Landesamt für Gesundheit und Soziales betrug die Inzidenz (Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen) bei den Nicht-Geimpften 72,5 (plus 2,1 gegenüber dem Vortag), bei den Geimpften 7,1 (0).

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„Die vierte Welle ist zu allererst eine Welle der Ungeimpften. Momentan sind zehnmal so viele ungeimpfte Menschen mit dem Virus infiziert wie geimpfte“, betont Thomas Krüger, SPD-Fraktionschef im MV-Landtag. Der nun verbesserte Überblick des Lagus habe Vorteile. Er erlaube Rückschlüsse auf mögliche Impfdurchbrüche des Virus, also Ansteckungen trotz doppelter Schutzimpfung. Umgekehrt könne der Blick auf die Inzidenz unter Ungeimpften ein Frühwarnsystem für die Situation in den Krankenhäusern sein, argumentiert Krüger für die getrennten Inzidenzzahlen.

AfD-Fraktionschef hält Unterscheidung „nicht für zielführend”

Sebastian Ehlers von der CDU-Fraktion folgt in diesem Punkt seinem Koalitionspartner. „Es geht nicht darum, jemanden zu stigmatisieren, sondern ganz nüchtern darauf hinzuweisen, dass auch Geimpfte erkranken können, dass aber Geimpfte viel seltener erkranken und wenn sie erkranken, dann viel weniger stark.“ Momentan, so Ehlers weiter, werde von Leuten das Gerücht gestreut, eine Impfung sei nicht nur potenziell gefährlich, sondern auch noch nutzlos. Solchen Leuten müsse dringend der Wind aus den Segeln genommen werden. Und das schaffe man nur durch Transparenz.

Dem widerspricht Nikolaus Kramer energisch. „Ich halte es nicht für zielführend, dass zwischen der 7-Tage-Inzidenz von Geimpften und Ungeimpften unterschieden wird. Mal ganz abgesehen von einer möglichen Stigmatisierung von Ungeimpften“, sagt der AfD-Fraktionschef. Zumal die Interpretation der vorliegenden Zahlen schwierig sei. Wer vollständig geimpft sei, müsse sich in der Regel nicht testen lassen. Milde oder symptomfreie Infektionen würden so nach Einschätzung Kramers nicht festgestellt, was automatisch zu niedrigeren Inzidenzwerten von Geimpften führen würde.

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Simone Oldenburg, Spitzenkandidatin der Linkspartei bei der anstehenden Landtagswahl, „sieht nicht die Gefahr einer Spaltung in der Gesellschaft. Im Gegenteil, die getrennte Ausweisung kann helfen, Impfskeptiker doch noch für einen Piks zu gewinnen“.