„Ein bestens finanzierter Wohlstand auf Kosten der Wohlfahrt“
Schwerin / Lesedauer: 4 min

Alexander Prechtel ist ein mit allen Wassern gewaschener Jurist. Der heute 74-Jährige war in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Referent und Büroleiter des damaligen Generalbundesanwalts Kurt Rebmann, hatte in dieser Zeit auch mit Ermittlungen gegen die Rote Armee Fraktion (RAF) zu tun. Später fungierte Prechtel als Generalstaatsanwalt in Mecklenburg-Vorpommern – der Mann kennt alle Winkelzüge in deutschen Gerichtssälen.
Doch trotz aller juristischen Erfahrung lernt auch ein Anwaltsprofi wie Prechtel offenbar noch dazu und zeigte sich am Freitag als Verteidiger des Angeklagten Götz-Peter Lohmann über das „System Awo“ mehr als verwundert. „Ob in Schwerin, Neubrandenburg, Frankfurt/Main oder eben Waren/Müritz – die Arbeiterwohlfahrt präsentiert sich als Selbstbedienungsladen“, fällte Prechtel ein vernichtendes Urteil über die gemeinnützige Organisation.
„Verträge blind und ungeprüft unterschrieben“
Man schiebe sich gegenseitig die Bälle zu, zum Vorteil von allen Beteiligten, stellte der Jurist unmissverständlich fest. Mit diesen Bällen jonglierten über Jahre auch Götz-Peter Lohmann und Peter Olijnyk. Ex-Awo-Müritz-Vorsitzender und Ex-Awo-Müritz-Geschäftsführer schacherten sich über Jahre gegenseitig üppig dotierte Verträge zu – ohne jeden Gesellschafterbeschluss und ohne Wissen des übrigen Vorstandes, so die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift. Dabei sei mehrfach gegen die Satzung der Awo verstoßen worden und ein Vermögensschaden in Höhe von rund einer Million Euro entstanden, betonte Oberstaatsanwalt Stefan Urbanek in seinem Plädoyer. Für ihn ein klarer Fall: Wegen des Straftatbestandes der schweren Untreue beantragte Urbanek für Olijnyk eine dreijährige Haftstrafe, für Lohmann eine zweijährige Freiheitsstrafe mit Bewährung.
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Mit nicht angemessenen, aber geplanten, konspirativen und bewussten Gehaltssteigerungen von 84.000 Euro Jahresgehalt über 120 000 Euro bis hin zu 150.000 Euro habe sich Olijnyk unter Mittäterschaft von Lohmann einen „bestens finanzierten Wohlstand auf Kosten der Wohlfahrt verschaffen wollen“, so der Oberstaatsanwalt. Und das, obwohl die Wohlfahrt regelmäßig mit Steuergeldern finanziert werde.
Dass Lohmann seinem langjährigen „Duzfreund Olijnyk“ am Ende sogar einen Vertrag unterzeichnete, der eine lebenslange Betriebsrente von 2000 Euro monatlich vorsah, sei ein goldener Handschlag gewesen, der das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung dokumentiert habe. Deshalb habe Lohmann nicht nur Beihilfe zur Untreue geleistet, sondern sei Mittäter gewesen, argumentierte der Oberstaatsanwalt.
Dies wiederum sah Lohmanns Anwalt Prechtl naturgemäß anders. „Mein Mandant war blauäugig und hat in alter Genossentreue gehandelt und alle Verträge ungeprüft und blind unterschrieben“, verteidigte Prechtel den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Lohmann, der nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahr 2005 seinen gut bezahlten Versorgungsposten bei der Awo Müritz angetreten hatte.
Während Lohmann ehrenamtlicher Vorsitzender des Awo-Kreisverbandes Müritz war, stand er gleichzeitig als Diplom-Psychologe auf der Gehaltsliste einer Servicegesellschaft der Awo, die überwiegend Reinigungskräfte beschäftigte. Den ursprünglichen Vorwurf, der heute 78-Jährige habe für seine 5200 Euro Monatsverdienst nie oder nur wenig gearbeitet, hatte die Staatsanwaltschaft während des Prozesses fallen gelassen.
Ex-Awo-Manager Olijnyk fühlt sich nicht schuldig
Aufgrund der strafrechtlich relevanten Geschehnisse innerhalb der Awo forderte Lohmanns Anwalt auch gar keinen Freispruch für seinen Mandanten. Prechtel bat das Gericht in seinem Plädoyer, im Falle einer Verurteilung Lohmanns zu einer Freiheitsstrafe, diese auf Bewährung auszusprechen.
Der Anwalt rechnete in seinem Schlusswort gnadenlos mit der Awo ab. „Die hatte gar kein Interesse aufzuklären. Man hat sogar versucht, den Fall mit einem Vergleich zu beerdigen“, sagte Prechtel. Auch die Mitglieder des damaligen Vorstandes, der seit seinem Rücktritt im November 2016 immer noch nicht entlastet sei, hätten bei ihren Zeugenaussagen ein „jämmerliches Bild“ abgegeben. Prechtel wörtlich: „Wir hatten hier keine klassischen Zeugen im Gerichtssaal sitzen, sondern Mitwisser, die versucht haben, sich nicht selbst zu belasten.“
Damit sprach der Verteidiger die wirtschaftlichen Abhängigkeiten der Vorstandsmitglieder von der Awo an. „Ob Architekt oder Apothekerin – die Vorstandsmitglieder haben lukrative Aufträge von der Awo bekommen – ohne jede Ausschreibung“, so Prechtel. Und dem Ex-Awo-Landeschef Ulf Skodda, der in die Vertragsgestaltung von Olijnyk und Lohmann involviert gewesen sein soll, attestierte Prechtel nach seinem Auftritt im Zeugenstand ein der „Demenz ähnliches Vergessen“.
Peter Olijnyk und sein Anwalt Dieter Johannes Schadewald wiesen alle erhobenen Vorwürfe zurück. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seien dilettantisch und ein Sammelsurium von haltlosen Falschbehauptungen, so der Tenor der Verteidigung. „Olijnyk hat die Awo Müritz verdienstvoll aufgebaut und seine Gehälter waren allemal angemessen gewesen“, betonte Schadewald. Der Ex-Geschäftsführer der Awo machte in seiner Stellungnahme deutlich, dass er sich nicht schuldig fühle und nichts veruntreut habe. Und noch etwas betonte Olijnyk gestern: „Ob ich das Urteil akzeptieren werde, bleibt heute offen.“