Haftanstalt Bützow
"MV-Justizministerin schweigt Missstände tot"
Schwerin / Lesedauer: 3 min

Andreas Becker
Die Vorwürfe lassen aufhorchen. „Vollmundige Versprechen”, „leere Worthülsen”, „Ideenlosigkeit”, „Totschweigen der Missstände” – Andreas Bach, nach eigener Auskunft Sprecher für die Gefangenengewerkschaft in Mecklenburg-Vorpommern, lässt in einem offenen Brief kein gutes Haar an MV-Justizministerin Katy Hoffmeister. „Ihre hochtrabenden Versprechungen von besserer Resozialisierung und einer deutlichen Anhebung des Personalschlüssels verpuffen in hohlen Phrasen”, kritisiert Bach die CDU-Politikerin.
Die Situation in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bützow habe sich nach Einschätzung von Bach zum politischen Versagen auf der ganzen Linie entwickelt. „Jeder dritte Bedienstete ist krank, jeder vierte gar dienstunfähig. Ihr derzeitiges Personal hustet aus dem letzten Loch”, schreibt Bach an Hoffmeister. Und: "Überstunden, Doppelschichten und Urlaubsverzicht sind zur Normalität gereift. Teilweise sind 80 bis 120 Überstunden in einem Zeitraum von vier bis sechs Monaten keine Seltenheit.” All das habe laut Bach Auswirkungen auf die Gefangenen. Konkret: „Durch die Personalpolitik haben Inhaftierte des Landes MV sehr zu leiden. Ausführungen und Behandlungsmaßnahmen werden und können nicht umgesetzt werden. Des öfteren bleiben die Türen verschlossen.”
„Resozialisierung bleibt auf der Strecke”
Der Inhaftierte sei das letzte Glied in der Untätigkeitskette der Ministerin. Der Inhaftierte werde allzuoft wie ein abgewrackter Penner in die Ungewissheit – einhergehend mit Arbeits- und Obdachlosigkeit – entlassen. „Der gesetzliche Resozialisierungsauftrag bleibt völlig auf der Strecke”, kritisiert Bach. Der Sprecher der Gefangenen unterstellt der Ministerin auch, dass sie dem „geschundenen Personal den Mund verbieten” würde. Bach fordert mehr Personal, mehr psychotherapeutische Behandlung, mehr Suchtprävention und mehr Maßnahmen zur Wiedereingliederung.
Vorwürfe und Kritik, die vom Justizministerium in eher ungewohnter Schärfe zurückgewiesen werden. „Die offene Kommunikation von Gefangenen mit der Welt außerhalb der Gefängnismauern belegt, dass der Justizvollzug in Mecklenburg-Vorpommern die Rechte der Gefangenen uneingeschränkt wahrt und die des Öfteren von Herrn Bach erhobenen Vorwürfe einer Zensur oder Kontaktsperre jedweder Grundlage entbehren”, sagt Tilo Stolpe, Sprecher des Justizministeriums, auf Nordkurier-Anfrage.
Strafanzeigen von Strafgefangenen
Damit nicht genug: „Das auffällige Bemühen von Herrn Bach um öffentliche Wahrnehmung, gepaart mit mangelndem Interesse an Wahrhaftigkeit, haben auch Anlass zu Strafanzeigen anderer Strafgefangener und Anstaltsbediensteter – unter anderem wegen Beleidung und Verleumdung – gegeben.” Herr Bach sei im Übrigen nicht legitimiert, die Gefangenen der Anstalt und/oder deren Mitarbeiter zu vertreten. Er gehöre laut Justizministerium weder der Gefangenenvertretung noch einer anderen seriösen Stelle an, die als Ansprechpartner geeignet sein könnte. Es gehe schlichtweg um vordergründiges Skandalisieren und narzisstische Selbstdarstellung.
Tilo Stolpe weist darauf hin, dass das Organisationskonzept Justizvollzug 2020 umfassende Neustrukturierungen beinhalte. Die JVA Bützow spiele dabei eine zentrale Rolle. „Die älteste Anstalt des Landes wird parallel seit mehreren Jahren schrittweise und während des laufenden Betriebs zur modernsten Anstalt um- und ausgebaut”, macht Stolpe deutlich. Da die JVA Bützow auch Ausbildungsanstalt sei, hätten laut Stolpe mehr als 40 Anwärter das Team der JVA zusätzlich verstärkt. Mit dem Abschluss von 11 Justizvollzugsanwärtern seien diese in den Mitarbeiterstab integriert worden, 31 Anwärter seien weiterhin in der Ausbildung. „Das der sogenannte offene Brief sich hierzu mit keiner Silbe verhält, spricht für sich und bedarf keiner weiterer Kommentierung”, stellt Stolpe unmissverständlich klar.
Gefangene sprechen von einem „Rattenloch”
Im vergangenen Jahr war die JVA Bützow schon einmal in die Schlagzeilen geraten. Seinerzeit hatte das kreisliche Gesundheitsamt die hygienischen Zustände in der Anstalt als „frustrierend” bezeichnet. Gefangene hatten von einem „Rattenloch” gesprochen. Mangelnde Größe der Einzelzellen, Rohrleitungen aus DDR-Zeiten und defekte Elektroanlagen hatten Inhaftierte moniert – mit dem Zusatz, dass der Bau voll mit kleinen Tierchen sei.