Coronavirus
Ausnahmezustand auf Rostocker Intensivstation
Rostock / Lesedauer: 4 min

dpa
Der Chef der Internistischen Intensivstation der Universitätsklinik Rostock, Christian Virchow, hebt mitten in der Beratung den rechten Arm und streckt den Daumen nach oben. „Super”, ruft er laut. Gestützt von einer Physiotherapeutin und einer Krankenschwester steht im Flur ein Covid-19-Patient, der gerade seinen 70. Geburtstag gefeiert hat. „Dass bei uns mal ein Patient auf dem Flur läuft, kommt extrem selten vor”, sagt Virchow. Der Patient, der zuvor tagelang beatmet werden musste und um sein Leben gerungen hat, ist erschöpft. Doch Stolz und Freude sind ihm mehr als deutlich anzumerken.
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„Ein solcher Fall ist Balsam für die Seele eines Intensivmediziners”, kommentiert der Internist Martin Gloger diesen unerwarteten Glücksmoment. Denn rund die Hälfte der Covid-19-Patienten, die auf Intensivstationen landen und beatmet werden muss, stirbt. Die Häufung dieser schwersten Fälle ist eine große psychische Belastung für alle Mitarbeiter auf der Intensivstation, die durch die starke physische Beanspruchung noch verstärkt wird.
Station für schwerste Fälle fast immer voll belegt
Rostock gehört zu den Städten, die eine vergleichsweise geringe Corona-Fallzahlen aufweisen können. Zwischenzeitlich war die Stadt auf dem letzten Platz der Statistik des Robert Koch-Instituts. Deshalb waren im Sommer und Herbst vergangenen Jahres nur wenige oder teilweise gar keine Covid-19-Patienten auf der Intensivstation. Daher wurden sogar vier Patienten aus Sachsen aufgenommen, als das Virus dort das Gesundheitswesen überforderte.
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Doch das habe sich im Dezember verändert, als die zweite Pandemie-Welle auch Mecklenburg-Vorpommern erreichte, sagt Krankenschwester Nele Ehlert. Seither ist die Station mit den schwersten Fällen fast stets voll belegt.
Die 20-jährige steht in einem großen Zimmer, das gerade mit drei Covid-19-Patienten belegt ist. Es ist der Raum, in dem die Patienten liegen, die noch aktiv das Virus ausscheiden. Sie wurden mit Medikamenten ins Koma versetzt, damit sie beatmet werden können – ein wacher Körper akzeptiert keinen Fremdkörper in der Luftröhre.
Ehlert, die sich wie alle Mitarbeiter, die direkt an Patienten arbeiten, mit einem speziellen Schutzkittel, Handschuhen, FFP2-Maske und einem Gesichtsschild gegen eine Ansteckung wappnet, reibt den Körper eines älteren, stark übergewichtigen Mannes mit einem Waschlappen ab. „Das gehört zur täglichen Körperpflege, ebenso wie Zähneputzen oder Lakenwechsel.”
Eine Alternative gibt es nicht
Der Mann liegt seit mehr als einer Woche auf der Intensivstation. Wenn er gedreht werden muss, müssen auch mal drei Personen anpacken, sagt Ehlert. Das ist schwere körperliche Arbeit. Die Anstrengung wird durch die Schutzkleidung noch verstärkt, die die speziell ausgebildeten Schwestern und Pfleger in dem gut geheizten Raum ins Schwitzen bringt.
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Doch eine Alternative zu diesen Schutzmaßnahmen gibt es nicht. Sie tragen dazu bei, dass sich seit Beginn der Pandemie kein Mitarbeiter auf den Intensivstationen mit dem Virus angesteckt hat, betont der Leiter der Abteilung für Tropenmedizin und Infektiologie der Unimedizin Rostock, Emil Reisinger.
„Es ist erschütternd, was das Virus nicht nur in der Lunge, sondern im ganzen Körper anrichten kann”, schildert Virchow die alltägliche Situation der Mitarbeiter auf der Station. „Einen richtigen Intensivmediziner überrascht zwar nichts, aber bei Covid-19-Patienten lernen auch wir täglich dazu.” Dazu gehört, dass auch junge Menschen auf der Intensivstation behandelt werden und ihnen gelegentlich auch nicht geholfen werden kann: „Leute, die das Virus mitten im Leben stehend erwischt und letztendlich umbringt”, sagt der 59-Jährige.
Impfungen selbstverständlich
Warum es diese schweren Fälle gibt, ist wissenschaftlich nicht sicher. Die Mediziner vermuten, dass das Immunsystem die Schäden etwa in der Lunge erkennt und versucht, sie zu reparieren. Da kommt es möglicherweise zu überschießenden Reaktionen und damit einhergehend zu massiven Entzündungen. Es entstehen Vernarbungen und das verbleibende Gewebe kann seine ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen.
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Jemand, der das sieht, sollte keine Sorge vor einer Impfung oder irgendwelchen Nebenwirkungen haben, sagt Virchow. Mehr als 90 Prozent der Mitarbeiter auf der Station hätten bereits ihre zweite Impfung erhalten. „Das war überhaupt kein Thema. Sie wissen, um was es geht.”
Die Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, würden noch sehr lange eine Schutzmaske tragen müssen, sagt der Intensivmediziner. „Denen und den Leuten, die die Existenz des Virus leugnen, wünschen wir von Herzen, dass es sie selbst nicht trifft.”