Zu früh triumphiert

Corona-Krise holt Oberbürgermeister Madsen vom hohen Ross

Rostock / Lesedauer: 4 min

Er saß in Talkshows, galt als Vorzeige-Oberbürgermeister mit den niedrigsten Inzidenzwerten – Claus Ruhe Madsen aus Rostock. Doch jetzt hat die Stadt die meisten Infektionen in MV. Was ist passiert?
Veröffentlicht:02.09.2021, 07:04
Aktualisiert:06.01.2022, 22:06

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Rückblende, 23. April 2020: Die Hansestadt Rostock feuert eigens eine Pressemitteilung in die nahe und ferne Welt, in der Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen stolz verkündet, dass Mecklenburg-Vorpommerns einwohnerstärkste Stadt coronafrei ist – „vielleicht sogar als einzige Großstadt Deutschlands“, ergänzte seinerzeit der parteilose Rathauschef.

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Es war jene Zeit, als das Stadtoberhaupt von der Ostseeküste Stammgast in den Talkshows der Republik war. Ob bei „Lanz“, „Hart aber fair“, „Anne Will“ oder „Maybrit Illner“ – Madsen war ein begehrter Gesprächspartner und absolvierte den Ritt durch die Medienlandschaft sichtlich genüsslich. Überall durfte der gebürtige Däne sein Erfolgsrezept erklären.

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„Wir hatten unsere ersten Fälle am 12. März in der Uniklinik Rostock. Das waren Ärzte, die zuvor im Skiurlaub waren. Dadurch war auch ein Kind betroffen, das in eine Schule mit über 1000 Schülern geht. Ich habe daraufhin alle Schulen und Kitas schließen lassen. Dann haben wir die Verwaltung und die ganze Stadt heruntergefahren“, berichtete Madsen damals. Von seinen 2400 Mitarbeitern habe er mehr als 2000 sofort nach Hause geschickt. Gegen die Empfehlung des Robert-Koch-Instituts hätte man in Rostock außerdem auch Menschen getestet, die keine Symptome gehabt hätten. Und man habe vorsorglich die Mitarbeiter in den Kliniken, Pflegeeinrichtungen sowie Polizisten und Feuerwehrleute getestet, verkündete der Oberbürgermeister dem staunenden Publikum.

Corona-Ampel leuchtet schon gelb

Doch eineinhalb Jahre später hat sich die Situation an der Corona-Front gewandelt. Heute ist Rostock jene Stadt in Mecklenburg-Vorpommern, die mit einer Inzidenz von 66 den höchsten Wert hat und die als einzige Kommune im Nordosten auf der Corona-Ampel schon gelb leuchtet – während alle anderen auf grün stehen. Und der Oberbürgermeister Rostocks heißt immer noch Claus Ruhe Madsen.

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Eva-Maria Kröger, Landtagsabgeordnete der Linksfraktion aus Rostock, hat die Entwicklung in ihrem Wohnort genau beobachtet. Für sie ist klar: „Herr Madsen trägt genauso wenig Verantwortung für die höheren Zahlen in Rostock, wie für die niedrigen Zahlen zuvor. Es war überzogen wie er gefeiert wurde, jetzt wäre es übertrieben, ihn zu kritisieren.“ Sehr viele Faktoren und Ereignisse würden die Coronazahlen beeinflussen. Ein einzelner Mann sei hier weder Held noch Übeltäter, betont Kröger.

Ähnlich argumentiert auch Daniel Peters, CDU-Landtagsabgeordneter aus Rostock. „Ebenso wie Frau Schwesig um Mecklenburg-Vorpommern herum keine Virenvergrämungsmauer zu errichten vermochte, hat auch Herr Madsen regelmäßig eher von exogenen Faktoren wie etwa Randlage, dünner Besiedlung im Umland und Küstenwind profitiert.“ Dass die Inzidenz in Rostock jetzt höher liege als im Schnitt würde damit zu tun haben, dass sich das Virus in Ballungsräumen eben leichter verbreite – zumindest dann, wenn die sozialen Kontakte nicht eingedämmt würden, sagt Peters.

„Dieses Wir-sind-schlauer-als-andere-Getue habe ich schon immer für großen Unfug, aber gute PR-Arbeit gehalten – egal ob es von Schwesig oder Madsen kam“, macht Peters deutlich. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass die Geschichte von den Medien völlig unhinterfragt und geradezu bewundernd verbreitet worden sei, übt Peters auch Kritik an der Presse.

Sechs Wochen Vorsprung in der ersten Welle

Deshalb: Gibt es objektive Gründe, warum Rostock in den ersten beiden Wellen glimpflich davon gekommen ist und jetzt – zu Beginn der vierten Welle – mit höheren Inzidenzwerten aufwartet? Im Rostocker Rathaus stellt man sich dieser Frage ganz offen – räumt aber zugleich ein, dass die Beantwortung gar nicht so leicht fällt.

„Es kommen sowohl für die niedrigen Inzidenzwerte in erster und zweiter Welle sowie die aktuellen erhöhten Zahlen mehrere Aspekte in Betracht“, sagt Ulrich Kunze, Pressesprecher der Stadt Rostock. „Da die erste Welle von Süden nach Norden rollte, hatten wir einfach einen zeitlichen Vorsprung von sechs Wochen. Wir konnten dadurch Superspreader-Events ganz konkret vermeiden“, blickt Kunze zurück. Erleichternd sei auch der geringe Migrationsanteil hinzugekommen – gerade nach Weihnachten habe man dadurch nicht so sehr das Problem mit ansteckenden Reiserückkehrern gehabt.

Und noch etwas spielte der Stadt Rostock zu Beginn der Corona-Krise in die Karte. „Im Gegensatz zu Schwerin oder dem polnischen Grenzgebiet in Vorpommern haben Rostock und Rügen relativ wenig Einpendler. Dadurch konnte das Virus weniger zirkulieren“, berichtet der Pressesprecher.

Weniger Einpendler habe Rostock zwar heute auch noch, aber bei der ansteckenderen Delta-Variante schlage negativ zu Buche, dass viele junge Menschen in der Stadt – gerade auch in der Uni-Szene – ungeimpft seien. Dieses Problem hätten auch größere Städte in Westdeutschland. „Diese jungen Leute sind halt unheimlich agil und mobil. Auch in Diskotheken und bei sonstigen Feiern“, weiß Kunze. Glücklicherweise aber seien die meisten Krankheitsverläufe relativ mild und die Hospitalisierungsrate gering.