„Tätowierte gegen Krebs”

Der ahnungslose Till Lindemann und der herzensgute Rechtsextremist

Wismar / Lesedauer: 5 min

Der Rammstein-Sänger hat einem wohltätigen Verein Geld gespendet. Was er nicht wusste: Der Vereinsvorsitzende ist ein Hells Angels-Rocker mit hartem rechtsextremen Hintergrund.
Veröffentlicht:23.01.2021, 08:00
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  • Author ImageNatalie Meinert
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Die Geschichte ist schnell erzählt: Da ist der weltberühmte Rammstein-Sänger Till Lindemann. Er bekommt irgendwie mit, dass es einen Verein gibt, der auf den ersten Blick anscheinend einen Nerv bei ihm trifft. „Tätowierte gegen Krebs“, nennt sich die Organisation.

Die Art der Tätowierungen des Vorsitzenden Sebastian K. und seiner Mitstreiter passt sehr gut zu dem martialischen Bühnen-Spektakel, mit dem Rammstein die Fans auf der ganzen Welt unterhalten. Keine Blümchen oder niedlichen Delfine, sondern Motive, gerne auch im Gesicht, die sensiblen Naturen durchaus Angst machen können.

Vereinsvorsitzender hat lange rechtsextreme Biografie

Lindemann ließ dem Verein vor Weihnachten handsignierte T-Shirts und Bücher zukommen, damit sie bei Facebook für den guten Zweck versteigert werden können. Bereits in der Vergangenheit habe der Sänger dem Verein eine „großartige Geldspende“ zukommen lassen, verriet der Vorsitzende Sebastian K. stolz in der Ostsee-Zeitung.

Was er nicht über sich verriet: Er hat eine lange rechtsextreme Biografie. Die erste bekannte Station ist die Nazi-Kameradschaft "Werwölfe Wismar". K. war dort die rechte Hand von Anführer Philip Schlaffer. Nach einem Mord Anfang 2007 bei einer Feier der Kameradschaft lösten sich die Werwölfe auf, um im Folgejahr mit vielen ehemaligen Mitgliedern als Rocker-Club "Schwarze Schar" wieder aufzutauchen – mit Schlaffer als Präsident und K. als dessen Stellvertreter. Der Club wurde jedoch wegen Gewaltkriminalität im Januar 2014 durch den damaligen Innenminister Lorenz Caffier (CDU) verboten.

Im Zusammenhang mit der „Schar“ hatte das Landeskriminalamt allein 75 Fälle erfasst, darunter diverse Drogen-, Prostitutions- und Waffendelikte. Schon damals war K. als Tätowierer tätig, sein Studio diente seinen Rocker-Freunden auch als Treffpunkt.

Schießen mit bundesweit bekanntem Neonazi

Ex-Präsident Schlaffer machte nach dem Verbot der "Schwarzen Schar" und einer Gefängnisstrafe einen harten Schnitt mit seiner rechten und kriminellen Vergangenheit. Heute hilft er Jugendlichen, die in Gefahr schweben, in die Szene abzurutschen.

Sebastian K. allerdings wechselte zu den "Hells Angels". Präsident des Rostocker Charters ist Mirko A., früher führender Aktivist der neonazistischen Kameradschaft "Selbstschutz Sachsen-Anhalt". Zusammen mit dem bundesweit bekannten Neonazi Alexander Deptolla trafen sich die Rocker noch 2020 auf einem Schießplatz in Zingst, zuletzt besuchte er sie Ende Dezember in Rostock. Der Mann, von dem sich Sebastian K. tätowieren lässt, trägt bei der Arbeit einen Anhänger am Hals. Der zeigt ein bei Neonazis beliebtes Symbol, eine Schwarze Sonne. Alles wie immer also bei Sebastian K., durchgehend seit 2007.

Solche Karrieren sind auch dem MV-Verfassungsschutz aufgefallen. 2019 heißt es im Jahresbericht über vereinzelte Rocker im Nordosten: „Diese Personen – üblicherweise nicht mehr ganz so junge Rechtsextremisten – sind von Rockergruppierungen aufgenommen worden und bewegen sich fortan in deren Subkultur. Ein Gesinnungswandel dürfte damit jedoch nicht verbunden sein. Jedenfalls halten die alten Kontakte in die rechtsextremistische Szene.“

Auch Daniel Trepsdorf von der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie M-V bestätigt dies: „Wenn ich das soziale Milieu und die Kontakte nicht wechsele, dann ist ein glaubwürdiger Aufstieg und eine Distanzierung so gut wie unmöglich.“

Zwar witzelt K. im Oktober auf Facebook darüber, dass er vom Verfassungsschutz abgehört wird. Mit politischen Äußerungen hält er sich aber öffentlich und im Netz, soweit bekannt, zurück. Der Tattoostudio-Betreiber scheint bemüht um ein positives Image. So findet auch seine Initiative „Tätowierte gegen Krebs”, die er 2014 nach dem Krebstod seiner Mutter gründete, Anklang. Spendengelder werden an Erkrankte oder karitative Einrichtungen weitergegeben, regionale Blätter berichten arglos.

Till Lindemann verurteilt Rechtsextremismus

Lindemann war die Biografie von Sebastian K. nicht bekannt. Sein Management antwortete auf eine Nordkurier-Anfrage: „Krebs ist für Till Lindemann ein sehr persönliches Thema, da er zwei enge Freunde durch die Krankheit verloren hat.“ Er habe sich in der Vergangenheit für unterschiedliche Initiativen im Zusammenhang mit Krebs engagiert, auch in diesem Fall. Weiter heißt es: „Herr Lindemann hat Herrn K. nie getroffen. Eine etwaige Verbindung zwischen dem Vereinsgründer und den vom Nordkurier genannten Gruppierungen war ihm nicht bekannt. Selbstverständlich verurteilt Herr Lindemann jede Form des Rechtsextremismus ausdrücklich.“

Und damit wäre die Geschichte zu Ende oder gar keine. Aber die Episode lenkt den Blick darauf, dass Rechtsextremisten immer wieder durch wohltätiges Gebaren nach Akzeptanz in der Öffentlichkeit suchen. Trepsdorf beobachtet seit Jahren, dass Rechtsextreme verstärkt wohltätige Vereine oder Stiftungen gründen. Er sieht darin „eine Strategie, Vertrauen zu erschleichen und in der bürgerlichen Mitte, im Gemeinwesen anzudocken“. Es wachse durch die Anerkennung des persönlichen Engagements auch die Bereitschaft, die negativen Aspekte zu verdrängen – und somit auch die Akzeptanz für die Ideologie, die solche Akteure vertreten.

Nachfragen bei Sebastian K. zu seiner rechtsextremen, gewaltgeprägten Vergangenheit und zu seinen offensichtlich immer noch nicht abgetrennten Verbindungen in dieses Milieu gestalten sich als schwierig. Mehrere Nordkurier-Anfragen seit Ende Dezember, mit der Einladung zu einem Gespräch, beantwortet er hinhaltend. Auf schriftliche Nachfragen vom 12. Januar gab es gar keine Reaktion mehr.