Analyse

Ein Jahrzehnt Nordkirche – mit durchwachsener Bilanz

Rendsburg / Lesedauer: 4 min

Die Nordkirche gilt vielen als großer Erfolg. Doch nach innen knirscht es zehn Jahre nach der Fusion mitunter noch gewaltig.
Veröffentlicht:03.06.2022, 07:55

Von:
  • Benjamin Lassiwe
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Vor zehn Jahren war es ein großes Fest. Mehr als 20 000 Menschen aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern trafen sich an Pfingsten 2012 vor dem Ratzeburger Dom, um die Gründung der evangelischen Nordkirche zu feiern. Bundespräsident Joachim Gauck, einst Mecklenburger Pfarrer, aß mit den Bischöfen Käsebrötchen und Erdbeeren und machte Selfies mit den Gemeindegliedern. Immerhin entstand mit der damals noch 2,25 Millionen Gemeindeglieder zählenden Landeskirche die fünftgrößte evangelische Kirche in Deutschland – und die nach der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz erste Kirche, die Ost und West verband.

Jubiläum wird wieder in Ratzeburg gefeiert

Am Pfingstmontag geht es nun wieder nach Ratzeburg. Mit einem großen Festgottesdienst und einem Festakt im Dom soll dort der 10. Geburtstag der Nordkirche gefeiert werden. „Wenn es die Nordkirche nicht schon gäbe, müsste man sie erfinden“, sagt Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt.

Die Theologin ist erst seit 2019 in der Nordkirche tätig. Doch die von Flensburg und der Nordschleswigschen Gemeinde im südlichen Dänemark bis nach Usedom und an die Oder reichende Landeskirche hat sie kennen und schätzen gelernt. „Menschen aus Ost und West arbeiten verbindlich gemeinsam an der Aufgabe, das Evangelium der befreienden Liebe Gottes unter die Menschen zu tragen.“ Die Nordkirche engagiert sich für den Klimaschutz und den Frieden. „Wir suchen nach einer langfristigen Perspektive für Frieden und Sicherheit in Europa und wollen dabei besonders die Gruppen ins Gespräch bringen, die marginalisiert werden.“

Ost und West sollen zusammenwachsen

Und natürlich kümmert sich die Nordkirche auch um das Zusammenwachsen von Ost und West. Andreas Crystall, Propst in Dithmarschen, berichtet davon, dass die Pfarrer seines Kirchenkreises ihre regelmäßigen Tagungen, den sogenannten Pfarrkonvent, schon mehrfach in Mecklenburg oder Pommern durchführten. „Das zählt für mich zu den schönsten Erlebnissen in der Kirche“, sagt Crystall. „Wir haben dort gelernt, wie man im Widerstand gegen eine Diktatur und als absolute Minderheit Kirche sein konnte.“

Womit Crystall eine Aufgabe anspricht, vor der die Kirche bald auch in Schleswig-Holstein stehen könnte. Denn heute zählt die Landeskirche nur noch 1,83 Millionen Mitglieder – seit ihrer Gründung hat sie etwa 410 000 Menschen verloren. Da können Mecklenburg und Pommern für die Gesamtkirche durchaus zum Vorbild werden.

Es gibt viele ungelöste Probleme

Als Erfolgsgeschichte sieht die Nordkirche auch Elke König, die aus dem pommerschen Greifswald stammende Vizepräses der Landessynode. „Ich bin überrascht, und sehr zufrieden, dass es so gut geworden ist“, sagt König. Sie lobt die praktische Arbeit in der Landeskirche – „das Demokratieverständnis, die politische Ausrichtung, die Weite, die man leben kann.“

Doch König verweist auch auf ungelöste Probleme. So hatte sich die Nordkirche einst auf die Agenda geschrieben, ein gemeinsames kirchliches Arbeitsrecht zu schaffen. Zehn Jahre später ist das noch immer nicht geglückt. „Das ist ein dickes Brett, das da zu bohren ist“, sagt Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt. Die Gespräche liefen, und sie hoffe, dass diese bis zum November diesen Jahres abgeschlossen seien. Worüber genau gestritten wird? „Dazu möchten wir uns öffentlich erst nach Abschluss der Gespräche äußern.“ Gut funktioniert hat dagegen aus Sicht des ehemaligen mecklenburgischen Synodenpräses Heiner Möhring die Durchlässigkeit bei Pfarrerinnen und Pfarrern. Während die östlichen Landeskirchen zum Schluss durchaus Probleme hatten, ihre Stellen zu besetzen, würden sich nun auch Pfarrer aus Hamburg oder Schleswig-Holstein auf Stellen in Mecklenburg-Vorpommern bewerben.

Gerade im ländlichen Raum wird mehr Spielraum benötigt

Wie eng das Zusammenwachsen von Ost und West mittlerweile geworden ist, zeigt sich schließlich auch daran, dass Andreas Crystall und Elke König völlig unabhängig voneinander auf ein Problem aufmerksam machen, das in den letzten Jahren neu in der Nordkirche entstanden ist: die Überregulierung. „Wir haben in den letzten Jahren die in den Landeskirchen geltenden rechtlichen Regeln einander angepasst“, sagt Crystall. Oft hätten die Juristen in der Synode das Sagen gehabt. Dadurch seien viele Dinge zentralistischer und detaillierter geregelt worden, als es für die Gemeindearbeit vor Ort eigentlich nötig sei. „Wir brauchen wieder mehr Flexibilität“, sagt Crystall.

Ganz ähnlich formuliert es Elke König: „Wir haben sehr viele, und manchmal zu viele Gremien.“ Gerade im ländlichen Raum bräuchte es mehr Spielräume für kleine Gemeinden, die manchmal nicht alle Anforderungen der Landeskirche erfüllen könnten.

Aber darin unterscheidet sich die Nordkirche dann auch nicht sonderlich von anderen Organisationen, allen voran den Kommunen und ihrer Situation in den jeweiligen Bundesländern.