Reinhard Meyer (SPD)
Ein Minister, viele Probleme
Neubrandenburg / Lesedauer: 11 min

Das politische Klima in MV hat sich seit gut einem Jahr zugespitzt, der Landesregierung bläst der Wind scharf ins Gesicht. Macht das Regieren da überhaupt noch Spaß?
Es macht noch Spaß, wenn man sich um die realen Probleme, die die Menschen bewegen, kümmern darf. Themen wie Stiftungen oder Nord Stream spielen natürlich in der politischen Debatte im Landtag eine Rolle, aber die Leute bewegt nach meiner Wahrnehmung etwas anderes. Da geht es um die kaputte Straße vor der Haustür oder eine vernünftige ÖPNV-Anbindung und momentan natürlich auch um die Energiepreise …
Ihr Ministerium hat zuletzt Kritik auf sich gezogen, etwa beim Thema LNG-Terminal auf Rügen. Kommt es jetzt oder kommt es nicht?
Das hängt vor allem von der Kernfrage ab, die der Bund jetzt beantworten muss. Sie lautet: Brauchen wir ein solches LNG-Terminal überhaupt noch zur Energieversorgung von Deutschland? Wir haben jetzt die schwer zu erklärende Situation, dass in Deutschland gerade drei Atomkraftwerke abgeschaltet wurden und der Bund gleichzeitig sagt, dass wir unbedingt noch ein LNG-Terminal vor Rügen brauchen. Da habe ich schon eine Menge Fragezeichen, ob das so zusammenpasst, und die Leute auf Rügen erst recht.
Die Bürger haben gar nichts zu entscheiden in der Frage?
Doch, aber das hängt auch von der gerade erwähnten Kernfrage ab. Wenn wir das Terminal wirklich brauchen, damit Deutschland durch den Winter kommt, dann reklamiert der Bund für sein Projekt ein „überragendes öffentliches Interesse“, das anderen Interessen vorgeht. Aber ich habe momentan Zweifel, dass wir das Terminal benötigen.
Als das Projekt neu war, klangen Sie noch ganz anders. Hat sich die Landesregierung nicht ein Stück weit verrannt bei dem Thema?
Natürlich haben wir auch eine Verantwortung für eine sichere Energieversorgung. Im vorigen Jahr, als das Thema LNG-Terminal in Mecklenburg-Vorpommern aufkam, gab es noch sehr große Bedenken, wie wir eigentlich über diesen Winter kommen. Die Diskussionen waren zum Teil dramatisch. Wir haben uns nicht nur beim LNG-Terminal in Lubmin eingebracht, sondern auch beim Thema Rohöl für Schwedt. Worüber im vorigen Jahr niemand mit uns gesprochen hat, ist der konkrete Standort im Bereich der Ostseeküste. Dass das Terminal fünf Kilometer vor der Seebrücke von Sellin entstehen soll, ist für uns so erst bei Terminen Anfang des Jahres bekannt geworden. Meine erste Reaktion – daran kann ich mich noch gut erinnern – war Skepsis. Sowohl aus Naturschutz-Gründen als auch wegen des Tourismus.
Reinhard MeyerWir sind aus Notwehr an die Presse gegangen.
Trotzdem hat letztlich Ihr Ministerium das Projekt zuerst vorgestellt.
Wir sind aus Notwehr an die Presse gegangen, weil RWE nicht kommuniziert hat. Wir haben das gemacht, damit wir überhaupt eine Diskussion darüber führen können, was dort passieren soll. Meine persönliche Auffassung war: fünf Kilometer vor Sellin, das geht nicht.
Das Stichwort Tourismus ist jetzt schon gefallen. Zurzeit kriselt die wohl wichtigste Branche des Landes. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Als ich vor zehn Jahren nach Schleswig-Holstein gegangen bin, war beim Tourismus das große Vorbild Mecklenburg-Vorpommern. Weil hier alle an einem Strang gezogen haben, weil eine Menge Innovationen geschaffen worden sind. Jetzt ist es ein Stück weit umgekehrt: Die in Schleswig-Holstein sind inzwischen in vielen Feldern innovativer als wir. Wir haben uns zu sehr auf unseren Erfolgen ausgeruht. Wir haben nicht geguckt, was andere tun und die haben sich fortentwickelt. Schleswig-Holstein hat sich zum Teil Mecklenburg-Vorpommern als Beispiel genommen.
Und nun?
Wir müssen die Weiterentwicklung besser hinbekommen. Deshalb diskutieren wir in der Koalition über ein Tourismusgesetz. Es geht insbesondere darum, dass die Kommunen eine vernünftige finanzielle Basis haben. Es hat aber auch den qualitativen Gesichtspunkt, in Destinationen, in Regionen zu denken, gemeinsame Angebote attraktiver zu machen. Oder eine Tourismus-Akademie zu gründen, um Fachkräfte zu schulen. Wenn die Wirtschaft diese aber nicht mitfinanzieren will, ist das für mich ein schlechtes Zeichen. Politik kann nur ein Angebot hinstellen, aber diejenigen, die davon profitieren, nämlich die Unternehmen, die müssen auch mitmachen und dann müssen sie am Ende auch mitfinanzieren.
Die Preise im MV-Tourismus steigen stark, sogar stärker als in anderen Bereichen. Wer kann sich hier künftig überhaupt noch Urlaub leisten?
Wir brauchen ein vernünftiges Preis-Leistungsverhältnis, damit sich auch Familien mit Kindern und nur einem Einkommen einen Urlaub leisten können. Dabei geht es nicht nur um die Übernachtung, sondern auch um das Fischbrötchen vor Ort. Während der Coronazeit hat Campingurlaub geboomt. Die Leute haben gemerkt, dass die Plätze heutzutage mit hoher Qualität ausgestattet sind, auch was das Angebot für Kinder mit Familien angeht.
Das sind Segmente, die bei uns in Mecklenburg-Vorpommern weiter wachsen werden. Aber wir können ja nicht allen Leuten sagen: Ihr habt nicht so viel Familieneinkommen, geht mal campen! Sondern wir müssen auch dafür sorgen, dass an unterschiedlichen Orten im Land das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Hier können gerade auch die Regionen im Landesinneren profitieren.
Viele Bürger aus MV machen gerne im eigenen Land Urlaub. Sie erleben dann aber, dass sie selbst im Nachbarort schon Kurtaxe zahlen müssen. Muss das wirklich sein?
Nein. Deshalb wollen wir auch dieses Thema mit dem Tourismusgesetz angehen. Aus meiner Sicht kommt es darauf an, dass man für die Kurkarte auch etwas bekommt. Wenn ich 3 Euro zahle und dafür nur an den Strand gehen darf, dann stimmt etwas nicht. Wenn ich aber Ermäßigungen, freie Fahrt mit dem Bus und so weiter bekomme, dann gibt es auch eine Gegenleistung für die Kurtaxe.
Sie sind nicht nur Wirtschafts- und Tourismus-, sondern auch Verkehrsminister. Das 49-Euro-Ticket wird wahrscheinlich viele neue Fahrgäste in die Züge bringen. Ist das Land darauf überhaupt vorbereitet?
Das Ticket stellt uns vor eine historische Situation und wir tun, was wir können. Zum einen, indem wir für zwei Altersgruppen – Auszubildende und Senioren – das Ticket auf 29 Euro weiter rabattieren. Zum anderen, indem wir dafür sorgen, dass möglichst große Kapazitäten vorhanden sind. So wird man beispielsweise zwischen Rostock und Stralsund, wo es wegen der eingleisigen Strecke keine Möglichkeit für zusätzliche Züge gibt, auch die ICEs mit dem 49-Euro-Ticket nutzen können. Im Sommer bestellen wir an den Wochenenden zudem zusätzliche Züge auf den Strecken von und nach Hamburg und Berlin.
Ist das 49-Euro-Ticket nicht trotzdem sehr ungerecht? Zwei Drittel der Bürger in MV nutzen den ÖPNV nicht oder nur sehr selten. Die subventionieren jetzt Großstädtern ihre Monatskarte.
Ja, das 49-Euro-Ticket ist in erster Linie ein Ticket für die Menschen in den Metropolen. Ich habe in internen Diskussionen immer gesagt, dass es für das Ticket eigentlich so etwas wie einen Länderfinanzausgleich geben muss, um diese Ungerechtigkeiten abzufedern. Aber das war nicht durchsetzbar. Andererseits ist das Ziel des Tickets, mehr Leute zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen, richtig.
Ist das denn in Mecklenburg-Vorpommern realistisch? Für die meisten Anlässe ist der ÖPNV hierzulande nicht zu gebrauchen.
Es gibt durchaus taugliche Angebote, etwa in den größeren Städten oder entlang der Hauptstrecken. Aber ich verstehe, worauf Sie hinauswollen …
Sind Sie selbst schon einmal Bahn in MV gefahren?
Ja, oft, aber ich gebe zu: Vor allem bei Fernfahrten, außerhalb unseres Landes. Aber zu meinem letzten Interview beim Nordkurier in Neubrandenburg bin ich zum Beispiel mit dem Regionalexpress aus Schwerin gekommen. Im Alltag eines Ministers ist es aber oft nicht möglich, weil die Termine zu dicht beieinander liegen und die Wege zu weit sind.
Und weil das Angebot ziemlich schlecht ist …
Wir nehmen jetzt zusätzliches Geld pro Jahr in die Hand, um bestehende Angebote zu verbessern. Wir verstärken Takte – etwa vom Zwei-Stunden- auf einen Stundentakt – und verlängern Linien, etwa die von Rostock nach Züssow, die in Zukunft bis Pasewalk fährt.
Trotzdem wird man auf diese Weise viele Bürger nicht erreichen.
Deshalb wollen wir ab dem kommenden Jahr ein regionales, kreisübergreifendes Busnetz einrichten, um die Verbindungen jenseits der Hauptstrecken zu verbessern. Man kann zum Beispiel ganz gut von Greifswald nach Rostock fahren, aber nicht von Anklam über Demmin und Dargun nach Sanitz. Hier greift unser Konzept von Regionalbussen, deren Einrichtung wir mit 1,80 Euro pro gefahrenem Kilometer unterstützen werden.
Von der drittgrößten Stadt – Neubrandenburg – in die viertgrößte – Greifswald – fährt man mit dem Auto 50 Minuten und mit dem Zug mehr als zwei Stunden. Trotzdem taucht die Linie nicht im neuen Fernbuskonzept auf.
Weil es noch nicht fertig ist. Die Landkreise haben dabei schließlich ein Wort mitzureden und das ist auch gut so. Das Konzept ist in Arbeit und wir werden im Laufe des Jahres erste Ergebnisse sehen. Wir wollen noch in diesem Jahr mit „Pilotlinien“ starten und dann kann auch die Verbindung Neubrandenburg–Greifswald dabei sein, wenn die Landkreise zustimmen.
Wenn das Angebot besser wird, müssen vermutlich auch die Nutzungszahlen steigen, damit es sich rentiert. Bis wann muss dieser Effekt eintreten, ehe die Mittel wieder zurückgefahren werden?
Natürlich müssen die Nutzungszahlen mittel- und langfristig steigen. Unsere Finanzplanung reicht derzeit bis 2028.
Gibt es in dieser Hinsicht konkrete Ziele?
Wenn ich mich auf die Nordkurier-Umfrage beziehe, nach der derzeit nur ein Drittel der Bevölkerung mindestens einmal im Monat den ÖPNV nutzt, würde ich als politisches Ziel ausgeben: Es wäre schön, wenn es bis 2028 wenigstens 50 Prozent wären.
In den vergangenen Jahren sind immer wieder Züge wegen Personalmangels ausgefallen. Sind die Bahnunternehmen in MV in der Lage, noch mehr Züge fahren zu lassen?
Davon gehe ich aus. Die Situation ist schwierig, das sagen uns die Unternehmen immer wieder. Letztlich sind sie aber dafür verantwortlich, dass sie die Strecken bedienen können. Schließlich hatten sie sich einmal dafür beworben und den Zuschlag erhalten.
Auf manchen Strecken hatte man zuletzt den Eindruck, dass Ausfälle eher zur Regel gehören, als dass sie die Ausnahme sind. Für die Anbieter scheint es nicht sonderlich schlimm zu sein, wenn mal ein Zug ausfällt. Und das Land spart Geld, weil es für Züge, die nicht fahren, auch nichts bezahlen muss.
So einfach ist das nicht. Klar ist aber auch: Die Bahn-Unternehmen – seien es die Deutsche Bahn oder private Anbieter – müssen liefern, wozu sie sich vertraglich verpflichtet haben. Wir werden da als Land in Zukunft nicht mehr so kulant sein, wie wir in der Vergangenheit vielleicht mitunter waren.
Blicken wir zum Schluss noch einmal auf das Auto als das mit Abstand wichtigstem Verkehrsmittel in MV. Dient die Offensive im ÖPNV als Vorbereitung darauf, dass Autofahren in Zukunft so teuer wird, dass es sich nicht mehr jeder leisten kann?
Zunächst einmal: Es ist richtig, den ÖPNV zu stärken, weil es eine klimafreundliche und oft auch sehr angenehme Alternative zum Auto ist. Wir haben uns hier im Land in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark aufs Auto konzentriert. Aber auch in Zukunft wird das Auto für viele in Mecklenburg-Vorpommern unverzichtbar bleiben, das ist vollkommen klar. Und das muss auch möglich sein. Das bedeutet unter anderem, dass alle, die E-Mobilität wollen, auch dafür sorgen müssen, dass sie bezahlbar ist.
Heißt das, dass sich jeder, der sich heute ein Auto leisten kann, auch künftig eins leisten kann?
Das ist abhängig von vielen Faktoren. Wichtig ist, dass wir jetzt anfangen, darüber zu diskutieren, wie das Verbrennerverbot ab 2035 so umgesetzt werden soll, damit es eben nicht dazu kommt, das Autofahren unbezahlbar wird.
Wird es in Zukunft ein Tempolimit auf den Autobahnen Mecklenburg-Vorpommerns geben?
Das entscheidet der Bund. Persönlich bin ich gegen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen, es gibt heute ohnehin schon viele Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den Strecken. Im Übrigen finde ich, dass wir gerade viel drängendere Probleme haben als dieses.