Gegenwind fürs Regieren per Dekret
Neubrandenburg / Lesedauer: 6 min

Jürgen Mladek
Wir wissen jetzt schon ziemlich lange, dass mit dem Virus nicht zu spaßen ist. Mit Angela Merkel in diesem Zusammenhang schon gar nicht, und mit Ministerpräsidentinnen vom Schlage einer Manuela Schwesig erst recht nicht. Frau Schwesig sperrte bekanntlich im Frühjahr einfach mir nichts, dir nichts ihr ganzes Bundesland zu, damit die Seuche schön draußen bleibt. Sie hatte Erfolg, die Maßnahmen insgesamt offensichtlich auch, sie wurden ja auch mitgetragen vom allergrößten Teil der Bevölkerung, der sich geduldig den Einschränkungen unterwarf. Wie hoch die Zustimmung zu diesen Maßnahmen war, zeigte noch im September eine große Nordkurier-Umfrage.
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Und das alles, obwohl es durchaus schon Anfang des Jahres Irritationen gab. Erst wurde das Coronavirus verharmlost und zwar genau von den Leuten, die es später an vorderster Front bekämpften: Gesundheitsminister Spahn und der Virologe Drosten sprachen zuerst von einer „milden Grippe“. Dann wurde mit angeblich erschreckenden Sterberaten dramatisiert. Erst hieß es, Masken würden nicht helfen, dann waren sie plötzlich Allheilmittel. Aber die Bevölkerung verzieh das, denn das Virus war ja auch neu und auch die Politik kann und darf lernen.
Einschränkungen bedürfen der Diskussion
Dann kam der Sommer. Die Menschen wurden fast schon dazu ermuntert, wieder zu reisen, aber was mit den Rückkehrern aus Infektionsgebieten passieren sollte, war völlig ungeklärt. Da gab es das erste Stirnrunzeln. Und die ersten Akzeptanzprobleme.
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Dann kam der Herbst. Steigende Raten von positiven Tests. Eine ganze Reihe von Maßnahmen – darunter die Einreiseverbote für Berliner von Brandenburgs Ministerpräsident Woidke und MV-Ministerpräsidentin Schwesig – wurden binnen weniger Tage von den Gerichten gekippt. Auch deshalb reifte die Einsicht über alle Parteien hinweg: So kann es nicht weitergehen, dass einfach ohne Beteiligung des Parlaments (also der gewählten Volksvertreter) über drastische Einschränkungen von Grundrechten entschieden wird. Denn jede Einschränkung von Freiheitsrechten bedarf einer Diskussion und einer daraus hervorgehenden Begründung, ja eigentlich sogar einer Entschuldigung. Denn unsere Rechte als Bürger werden uns nicht gnädig gewährt, sie gehören uns!
Ganz Deutschland soll die Fehler einzelner Regionen ausbaden
Und genau das sorgt bei spürbar immer mehr Menschen – nicht nur bei Journalisten – für wachsendes Stirnrunzeln. Denn in diese Situation hinein kam gestern Angela Merkel und dekretierte im Verein mit den Landesregierungen einfach neue drastische Einschränkungen. Ohne, dass ein Parlament beraten hätte. Ohne dass die Fragen aus dem Sommer, die man längst hätte klären können, wirklich geklärt sind.
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Aber mit der glasklaren Botschaft: Wir machen das, weil die Dummerchen von Bürgern (das sind dann übrigens Sie und ich) es einfach nicht anders begreifen. Deshalb muss man jetzt die Zügel wieder anziehen und eine „nationale Kraftanstrengung“ (O-Ton Merkel) veranstalten. Als wären die Bürger selbst nicht klug genug, der Lage Herr zu werden, sondern wie kleine Kinder, die noch nicht verstehen, was sie tun.
Millionen müssen Versäumnisse Weniger ausbaden
Nur: Das stimmt einfach nicht. Ich selbst lebe seit Ausbruch dieser Krise fast wie ein verdammter Mönch, viele Bürger tun das auch. Eigenverantwortlich, rücksichtsvoll, zu Opfern durchaus bereit. Vielen Menschen ist in den vergangenen Monaten ein ums andere Mal die Seele schwer geworden, weil sie lieber auf die Treffen mit ihren Enkelkindern, ihren Angehörigen und Freunden verzichtet haben – oder sogar in Alten- und Pflegeheimen regelrecht interniert waren. Einige dieser Heimbewohner sind an der Corona-bedingten Isolation regelrecht eingegangen, sie tauchen auf keiner Liste der Corona-Todesfälle auf. Und trotzdem waren die allermeisten sich einig: Es ist richtig und notwendig, dass wir äußerste Vorsicht walten lassen gegenüber diesem Virus, das niemand einschätzen kann.
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Aber: Was können die Menschen zum Beispiel in der Uckermark und Mecklenburg-Vorpommern dafür, dass in manch anderer Region – wie etwa einigen Bezirken Berlins – auf Rücksicht und Vorsicht gepfiffen wurde? Dass die Behörden dort einfach nicht auf die Einhaltung der Corona-Regeln gedrungen haben? Nur ein Beispiel: Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl gab es in Mecklenburg-Vorpommern acht Mal mehr Bußgelder wegen Verstoßes gegen Corona-Auflagen als in Berlin. Von Bremen und NRW gar nicht zu reden.
Jetzt müssen also Millionen Menschen in ganz Deutschland ausbaden, was dort versäumt wurde. Gigantische Schulden werden gemacht, befeuert von einem Finanzminister, der seit dem Frühjahr mit der „Bazooka“ (O-Ton Olaf Scholz) Milliarden herausfeuert und gestern nonchalant zu Protokoll gab, er wolle bis zu 75 Prozent der Umsatzausfälle aller vom neuen Lockdown betroffenen Firmen ausgleichen. Damit wäre dann wohl der Weg zur Staatswirtschaft geebnet. Millionen droht im nächsten Jahr die Arbeitslosigkeit.
Und dann war da noch ein Vorschlag von Karl Lauterbach ...
Und wo wir gerade schon bei den Grundpfeilern unserer Gesellschaft sind, erschien dann gestern auch noch Karl Lauterbach (SPD), einer der führenden Gesundheitspolitiker dieses Landes, auf der Bildfläche und verkündete allen Ernstes, der Staat müsse zur Kontrolle der Corona-Regeln auch in Privatwohnungen eindringen dürfen. Ja, Lauterbach meint genau jene Staatsmacht, die es in Berlin und vielen anderen Großstädten seit Monaten nicht hinbekommt, zumindest gröbste Corona-Verstöße zu ahnden.
Und die es, nur nebenbei gesagt, in vielen Großstädten unseres Landes schon seit Jahren nicht schafft, das staatliche Gewaltmonopol gegen Kriminelle und Betrüger aller Art durchzusetzen. Genau diese Staatsmacht will Lauterbach nun also in die Wohnzimmer schicken, weil er im Kampf gegen Corona offensichtlich Maß und Mitte verloren hat. Und weil ihm schon lange kein Bundestag und kein Gericht mehr auf die Finger geklopft hat.
Oppositionsparteien erheben Stimmen
Kein Wunder (und ein Glück!), dass der Widerspruch dagegen lauter wird. Von der Linken über die AfD bis zur FDP erheben die Oppositionsparteien ihre Stimme, unterstützt von Wissenschaftlern und Ärzten, die am Sinn der neuen Pauschal-Maßnahmen zweifeln, die womöglich mehr schaden als nutzen können.
Es muss endlich wieder lauter über diese Dinge gesprochen werden, es muss endlich wieder hörbare Gegenstimmen in Politik, Presse und dem Rest der Gesellschaft geben – denn ohne freie Rede und freie Gegenrede, ohne Meinung und Gegenmeinung, kann unsere Demokratie nicht funktionieren.
Und wer am Ende dieses Textes nun eine Einladung zur illegalen Corona-Party erwartet, irrt gewaltig: Ich persönlich werde auch in den nächsten Wochen so weit wie möglich aus dem Homeoffice arbeiten und so weit wie möglich meine Kontakte reduzieren. Weil ich es ja auch nicht besser weiß und weil ich dazu beitragen will, das Virus aufzuhalten. Aber es ist trotzdem richtig und wichtig, dass es jetzt starken Gegenwind für dieses Regieren per Dekret gibt. Denn so toll, wie immer getan wird, haben unsere Mächtigen das jetzt alles auch wieder nicht gemacht.